Bundesrät*innen im Style-Check «Viele Männer tragen schlimme Schuhe»

Von Bruno Bötschi

9.4.2022

Schweizer Politiker*innen im Style-Check // Jeroen van Rooijen: «Es herrscht ein Gesetz der Mittelmässigkeit»

Schweizer Politiker*innen im Style-Check // Jeroen van Rooijen: «Es herrscht ein Gesetz der Mittelmässigkeit»

Ob klassisch oder modern, eher graue Maus oder bunter Hund: Bei den Schweizer Politiker*innen ist alles dabei. Der Mode- und Stilexperte Jeroen van Rooijen hat ihre Outfits für blue News beurteilt.

29.03.2022

Ob klassisch oder modern, eher graue Maus oder bunter Hund: Bei den Bundesrätinnen und Bundesräten ist alles dabei. Der Mode- und Stilexperte Jeroen van Rooijen hat ihre Outfits für blue News beurteilt.

Von Bruno Bötschi

Jeroen van Rooijen, immer wieder sorgen Politiker*innen gewollt oder ungewollt mit ihren Outfits für Aufsehen. Ich möchte deshalb heute mit dir über den modischen Aufritt unserer Bundesrätinnen und Bundesräte reden.

Als Vorbereitung auf dieses Interview lancierte ich auf meinem Instagram-Account eine Umfrage. Ich fragte meine Follower*innen, wie sie das Modebewusstsein unserer Bundesrätinnen und Bundesräte einschätzen.

Wie ist das Resultat ausgefallen?

Über 90 Prozent meiner Follower*innen finden, der Bundesrat habe in Sachen Mode Nachholbedarf. Es gibt also guten Grund für dieses Gespräch.

Kleider machen Leute, sagt der Volksmund. Machen demnach Kleider auch Politiker*innen?

Tatsache ist: Mode kann eine unheimlich starke Waffe sein. Aktuell ist das besonders gut an den Auftritten des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zu sehen. Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine zeigt er sich im Fernsehen und den sozialen Medien in T-Shirt und leichter Jacke in Militärfarben. Das lässt ihn mutig und kämpferisch aussehen, ein Held aus der Mitte der Bevölkerung. Das Outfit zeigt deutlich: Selenskyj ist im Kampfmodus.

Zur Person: Jeroen van Rooijen
Bild: zVg

Jeroen van Rooijen, Jahrgang 1970, aufgewachsen in der Ostschweiz, hat an der Zürcher Hochschule für Gestaltung in den späten 1980er Jahren Mode studiert. Das journalistische Handwerk erwarb in den mittleren 1990er Jahren bei Radio Zürisee, Radio 24, der Annabelle und der Modezeitschrift Bolero. Ab 2003 prägte er während 15 Jahren die Lifestyle-Berichterstattung der NZZ und der NZZ am Sonntag, wo er das Ressort «Stil» leitete und vielbeachtete Kolumnen schrieb. Von 2014 bis 2019 war er ausserdem wöchentlich mit dem «Stiltipp» auf Radio SRF3 zu hören. Seit 2018 ist van Rooijen als selbständiger Texter und Entwickler von Content-Strategien tätig und schreibt Kolumnen.

Was hältst du vom Auftritt von Emmanuel Macron, der sich für eine Fotoserie kürzlich äusserlich Wolodymyr Selenskyj angenähert hat. Der französische Präsident liess sich dafür unrasiert, mit Augenringen und strubbliger Frisur in Szene setzen.

Ich fand den Auftritt okay, wenn auch etwas wichtigtuerisch. Macron trug einen Kapuzenpullover des 10. Fallschirmjäger-Regiments, einer französischen Elitetruppe. Seine Botschaft war etwas verschlüsselter. Die logofreie Variation in Militärgrün von Selenskyj gefällt mir jedoch besser.

Findest du, der Bundesrat könnte sich modisch auch zum Krieg in der Ukraine äussern?

Warum eigentlich nicht? Ich fände es gut, würde im Bundeshaus hin und wieder bewusster mit dem Thema «Mode» umgegangen. Bundespräsident Ignazio Cassis könnte zum Beispiel einmal Worker-Jäckli anziehen, statt immer im Anzug aufzutreten. Auch senden die Farben Blau-Gelb aktuell ein starkes Signal der Solidarität.

Vor 15 Jahren hast du den Bundesrat schon einmal einem Style-Check unterzogen. Damals sagtest du über den ehemaligen Bundesrat Moritz Leuenberger: «Einst war er der bestangezogene Politiker. Doch je länger er in Bern ist, desto mehr hat er den Chic fédéral angenommen.»

Dieser Chic fédéral ist ein interessantes Phänomen. Offenbar befällt er fast alle Politiker*innen, die ins Bundeshaus nach Bern abkommandiert werden. Auch die schnittigsten Jungpolitiker*innen fallen ihm früher oder später zum Opfer. Es scheint fast so, als herrsche ein Konsens darüber, dass man sich unter der Bundeshauskuppel nicht zu modisch kleiden darf. Wahrscheinlich schadet zu viel Modebewusstsein dem politischen Vorwärtskommen.

Vor 15 Jahren sagtest du zudem: «Wieso können gebildete Menschen ihren Kleiderschrank nicht mit derselben Sorgfalt bestücken wie das Bücherregal und den Weinkeller?»

Es ist nicht mehr so dramatisch: Die modische Sorgfalt der Schweizer Politiker*innen ist in den letzten Jahren besser geworden. Sie legen heute deutlich mehr Sensibilität bei diesem Thema an den Tag, was wohl auch mit den sozialen Medien zu tun hat. Mir scheint, unsere Politiker*innen sind sich bewusster, dass sie die non-verbale Kommunikation der Mode nicht komplett vernachlässigen sollten. Denn Tatsache ist: Kleider signalisieren immer etwas – manchmal auch nur Langeweile.

«Mein erster Gedanke beim Anblick dieses Bildes war: wie bestellt und nicht abgeholt»: Jeroen van Rooijen über das Bundesratsbild 2022.
«Mein erster Gedanke beim Anblick dieses Bildes war: wie bestellt und nicht abgeholt»: Jeroen van Rooijen über das Bundesratsbild 2022.
Bild: Keystone

Dann nehmen wir uns jetzt die aktuellen Bundesrätinnen und Bundesräte vor. Wir starten mit dem Bundesratsfoto 2022.

Mein erster Gedanke beim Anblick dieses Bildes war: wie bestellt und nicht abgeholt. Ob die Bundesrätinnen und Bundesräte mit diesem Bild etwas Regionaltypisches mitteilen wollen?

Karin Keller-Suter trägt ein Kleid mit dem Print eines alten St. Galler Stadtplanes darauf. Ein äusserst auffälliges Outfit, aber für mich sieht es in diesem Kontext etwas zu bemüht aus. Die Bundesrätin steht ja bereits mit ihren Füssen auf dem Kanton St. Gallen. Wieso muss sie dann noch ein Kleid tragen, welches nochmals auf ihren Heimatkanton hinweist?

Nun zeige ich dir in alphabetischer Reihenfolge jeweils ein Bild unserer sieben Magistrat*innen. Nach kurzer Bedenkzeit möchte ich von dir jeweils eine kurze, knackige Einschätzung zu jedem Outfit hören.

Viola Amherd

«Das pinkfarbene Jäckli ist eine gute Wahl und die Qualität scheint ordentlich zu sein»: Jeroen van Rooijen über Viola Amherd.
«Das pinkfarbene Jäckli ist eine gute Wahl und die Qualität scheint ordentlich zu sein»: Jeroen van Rooijen über Viola Amherd.
Bild: Keystone

«Ich möchte mit meiner Kritik nicht in die Genderfalle tappen, aber: Viola Amherd hat – also im Vergleich zu den beiden anderen Bundesrätinnen – eine etwas schwierigere Figur. Das heisst, sie kann nicht einfach so alles anziehen. Ich finde aber, sie könnte mutiger sein, sich etwas von der Walliser Gemütlichkeit lösen. Das pinkfarbene Jäckli ist eine gute Wahl und die Qualität scheint ordentlich zu sein. Etwas eigenartig finde ich hingegen den kleinen Bogen am Ausschnitt ihrer Bluse. Auffällig ist zudem, dass Frau Amherd kaum Schmuck oder sonst etwas Dekoratives trägt. Das ist schade. Auch ihre Frisur ist kein Höhepunkt.»

Alain Berset

«Warum trägt der aktuelle Fashion-Leader im Bundesratszimmer fast ausschliesslich die Farbe Grau?»: Jeroen van Rooijen über Alain Berset.
«Warum trägt der aktuelle Fashion-Leader im Bundesratszimmer fast ausschliesslich die Farbe Grau?»: Jeroen van Rooijen über Alain Berset.
Bild: Keystone

«Eigentlich ist er ja ein cooler Typ. Alain Berset hat eine gute Figur, lacht oft und mit seiner Glatze macht er Telly Savalas à la Kojak ordentlich Konkurrenz. Seine Anzüge sind okay. Aber warum trägt der aktuelle Fashion-Leader im Bundesratszimmer fast ausschliesslich die Farbe Grau? Hat es vielleicht mit seiner Freiburger Bescheidenheit zu tun, dass er seine Vorteile nicht besser nutzt? Was hingegen beim grössten Teil der Schweizer ein Problem ist, und oft auch eines von Herrn Berset, sind die Schuhe. Zu viele Männer in unserem Land tragen echt schlimme Schuhe.»

Ignazio Cassis

«Die Kleidung von Herr Cassis ist nicht zu modisch, aber auch nicht zu bünzlig»: Jeroen van Rooijen über Ignazio Cassis.
«Die Kleidung von Herr Cassis ist nicht zu modisch, aber auch nicht zu bünzlig»: Jeroen van Rooijen über Ignazio Cassis.
Bild: Keystone

«Unser Dottore aus dem Ticino sieht oft älter aus, als er in Wirklichkeit ist. Dabei macht Ignazio Cassis bei näherer Betrachtung seiner Kleidung kaum etwas falsch. Mit dem gespreizten Hemdkragen signalisiert er Italianità. Mit dem absolut symmetrischen Krawattenknoten zeigt er zudem, dass er es gern ordentlich hat. Ein weiterer Hinweis darauf ist auch die sauber zur Gürtelschnalle abgestimmte Länge der Krawatte. Die Kleidung von Herr Cassis ist nicht zu modisch, aber auch nicht zu bünzlig. Aber leider sieht sie farblich – silbergraue Kleidung zu silbergrauem Haar – immer etwas zu fad aus.»

Karin Keller-Suter

«Die oft streng wirkende Bundesrätin sieht in diesem Kleid darum auch deutlich mütterlicher aus»: Jeroen van Rooijen über Karin Keller-Suter.
«Die oft streng wirkende Bundesrätin sieht in diesem Kleid darum auch deutlich mütterlicher aus»: Jeroen van Rooijen über Karin Keller-Suter.
Bild: Keystone

«Ist Karin Keller-Suter auf dem Weg in die Ferien? Oder kommt sie gerade von einem Yoga-Retreat? Es fehlen nur die Sneakers. Der Ordner unter dem Arm verrät, dass sie wohl auf dem Weg zu einer Sitzung ist. Von Frau Keller-Suter weiss man, dass sie fast ausnahmslos Kleider von Akris trägt. Ob dieses Modell ebenfalls aus der Produktion des St. Galler Modehauses stammt, kann ich nicht sagen. So oder so: Ich finde es eine gute Wahl. Das Zickzack-Muster heisst übrigens Dazzle Camo. Damit wurden einst Kriegsschiffe und Militärflugzeuge bemalt, um sie für den Gegner unkenntlich zu machen. Das Muster verändert die Proportionen. Die oft streng wirkende Bundesrätin sieht in diesem Kleid darum auch deutlich mütterlicher aus.»

Ueli Maurer

«Erfreulich ist die Armlänge – die bei den Mitgliedern der Partei von Herrn Maurer, der SVP, nur in seltenen Fällen stimmt»: Jeroen van Rooijen über Ueli Maurer.
«Erfreulich ist die Armlänge – die bei den Mitgliedern der Partei von Herrn Maurer, der SVP, nur in seltenen Fällen stimmt»: Jeroen van Rooijen über Ueli Maurer.
Bild: Keystone

«Diese Hosenstösse sind ein Desaster, welches viele Schweizer Männer mit ähnlichem Jahrgang wie Ueli Maurer mit sich herumtragen. Hosen, die über die Schuhe purzeln: So sieht der Chic fédéral aus. Die Hosen des Bundesrates sehen aus wie anno 1990er Jahre. Dabei bin ich mir sicher, dass er seither den einen oder anderen neuen Anzug gekauft hat. Die allerbeste Beratung hat er dabei wohl nicht. Immerhin fällt das einigermassen moderne Zweiknöpfer-Jacket positiv auf. Zudem hat die Krawatte eine halbwegs zeitgemässe Breite. Erfreulich ist auch die Armlänge – die bei den Mitgliedern der Partei von Herrn Maurer, der SVP, nur in seltenen Fällen stimmt.»

Guy Parmelin

«Diesen Männern ist die Mode egal. Sie ziehen Kleidung nur aus einem Grund an: Sie wollen nicht nackt aus dem Haus gehen»:Jeroen van Rooijen über Guy Parmelin.
«Diesen Männern ist die Mode egal. Sie ziehen Kleidung nur aus einem Grund an: Sie wollen nicht nackt aus dem Haus gehen»:Jeroen van Rooijen über Guy Parmelin.
Bild: Keystone

«Guy Parmelin gehört zu jener Kategorie Männern, bei denen der Zug schon vor Jahren abgefahren respektive gar nie angekommen ist. Diesen Männern ist die Mode egal. Sie ziehen Kleidung nur aus einem Grund an: Sie wollen nicht nackt aus dem Haus gehen. Die Originalität fehlt, von Persönlichkeit keine Spur. Der Anzug des Bundesrates sieht altmodisch aus und gut sitzen tut er auch nicht. Die Ärmel sind zu lang, die Schulter zu breit und eine derart altbackene Krawatte findet sich heute wohl nur noch im Brockenhaus. Herr Parmelin ist Weinbauer. Das spüre ich, wenn ich ihn im Anzug sehe. Er sieht darin immer etwas verkleidet aus.»

Simonetta Sommaruga

«Die schwarze Silhoutte unter dem Lederjäckli ist ideal. Mehr Statement muss nicht sein»: Jeroen van Rooijen über Simonetta Sommaruga.
«Die schwarze Silhoutte unter dem Lederjäckli ist ideal. Mehr Statement muss nicht sein»: Jeroen van Rooijen über Simonetta Sommaruga.
Bild: Keystone

«Das Lederjäckli von Simonetta Sommaruga ist etwas sehr knapp geschnitten. Gleichzeitig ist damit aber auch eine unmissverständliche modische Absicht spürbar. Ich erkenne dies unter anderem an den interessanten Details auf den Schultern. Gut finde ich, dass die Bundesrätin keine weiteren Effekte kumuliert. Die schwarze Silhoutte unter dem Jäckli ist ideal. Mehr Statement muss nicht sein. Der Haarschnitt gut, der Schmuck auch, der Ausschnitt dezent. Ich kenne allerdings den Kontext des Bildes nicht. Ich nehme an, es ist kein offizielles Bild, ansonsten fände ich die Kleidung für eine Bundesrätin etwas zu wenig offiziös.»

Damit waren alle sieben Bundesrätinnen und Bundesräte an der Reihe. So grundsätzlich: Findest du, sie kommunizieren gut mit ihrem Textil?

Ich vermisse im Bundesrat die absolute Speerspitze in Sache Mode – so wie es einst Micheline Calmy-Rey war. Sie war eine Klasse für sich, sie hatte es drauf, auch auf dem internationalen Parkett. So eine Figur fehlt in diesem Gremium heute.


Am nächsten Wochenende beurteilt Mode- und Stilexperte Jeroen van Rooijen für blue News die Outfits von mehreren National- und Ständerät*innen.


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