Ruhe nach dem Ansturm Sind die Touristen weg, steigt die Sorge ums Familien-Einkommen

Michelle de Oliveira

3.11.2024

Wenn blue News Kolumnistin Michelle de Oliveira und ihr Mann Anfang November in ihrem portugiesischen Wohnort an den Strand gehen, sind sie meist allein unterwegs.
Wenn blue News Kolumnistin Michelle de Oliveira und ihr Mann Anfang November in ihrem portugiesischen Wohnort an den Strand gehen, sind sie meist allein unterwegs.
Bild: Privat

Die Kolumnistin liebt die Zeit, wenn die Gäste weniger werden und wieder Ruhe einkehrt im portugiesischen Ort, in dem sie lebt. Gleichzeitig leidet das Einkommen der Familie. Das klassische Dilemma des Tourismus.

Michelle de Oliveira

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • blue News Kolumnistin Michelle de Oliveira liebt die Zeit, wenn die Besuchenden weniger werden und wieder Ruhe einkehrt im kleinen portugiesischen Ort, in dem sie seit ein paar Jahren lebt.
  • Gleichzeitig leidet das Einkommen ihrer vierköpfigen Familie darunter. Es ist das klassische Dilemma des Tourismus.
  • «Während ich im November die Ruhe und die Verschlafenheit geniesse, schwingt auch Besorgnis mit: Mein Mann hat hier vor ziemlich genau einem Jahr ein Kleidergeschäft eröffnet», so de Oliveira.

Wenn ich dieser Tage meinen täglichen Strandspaziergang mit Hund an der Leine und Wind im Gesicht mache, bin ich dabei fast alleine.

Einige Fischer stehen unbeirrt am Wasser, nur ein paar wenige Mutige stellen sich mit ihren Surfboards den mächtigen Wellen, statt Menschen auf farbigen Badetüchern sitzen Möwen in grossen Gruppen am Strand.

Hin und wieder begegnet mir eine andere spazierende Person, der Sand ist kalt und das Meerwasser, das gegen meine Füsse klatscht, kommt mir wegen der kühlen Luft wärmer vor als im Sommer.

Die Tourist*innen sind alle abgereist

Zur Person: Michelle de Oliveira
Bild: Privat

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogini, Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren, aber auch aus ihrem ganz realen Leben mit all seinen Freuden und Herausforderungen. Sie lebt mit ihrer Familie in Portugal.

Es ist Herbst, die Sommersaison ist endgültig vorbei und die Besuchenden – aus Portugal und aus dem Ausland – werden weniger.

Die manchmal fast greifbare Intensität des Sommers ist vorbei, das Licht ist weicher, der Verkehr weniger und ich finde jederzeit und überall einen freien Platz an der Sonne.

Ich liebe diese Zeit.

Es war denn ja auch im Februar vor einigen Jahren, als ich mich in diesen kleinen, fast schon langweiligen Küstenort verliebt hatte.

Und mit jedem Tag, der kürzer ist als sein Vorgänger, verwandelt sich meine neue Heimat wieder in diesen magischen Flecken Erde, den ich so sehr liebe.

Die Wellen in Santa Cruz sind unberechenbarer

Dabei ist es nicht einmal so, dass Santa Cruz ein ausgesprochener Touri-Hotspot ist. Die Wellen sind hier unberechenbarer als an anderen Stränden und das Mikroklima bringt im Sommer oft kühle Temperaturen und dicken Nebel wie im Zürcher November.

Das schreckt einige Besuchende ab. Andere Regionen hingegen – etwa Lissabon, Porto oder die Algarve – haben viel stärker mit den negativen Auswirkungen des Overtourism zu kämpfen: Bis ins Absurde steigende Preise für Wohnraum, Dienstleistungen und Lebensmittel, verstopfte Strassen, Verdrängung der Einheimischen und ihren oft kleinen Geschäften.

Portugal ist ein beliebtes Ferienziel, auch für Kurz-Trips am Wochenende: Es ist von der Schweiz aus in gut zweieinhalb Stunden erreichbar, im Vergleich noch immer eher günstig, die Strände schier endlos weit und die Temperaturen auch im Winter relativ mild.

Laut dem Instituto Nacional de Estatística besuchten 2023 fast 27 Millionen Menschen Portugal – mehr als im bisherigen Rekordjahr 2019.

Mit der Winterruhe leidet das Einkommen der Familie

Aber während ich Anfang November die Ruhe und die Verschlafenheit geniesse, schwingt auch Besorgnis mit: Mein Mann hat hier vor ziemlich genau einem Jahr ein Kleidergeschäft eröffnet.

Neben seinen portugiesischen Stamm-Kundinnen und -Kunden bringen natürlich auch Besuchende aus der ganzen Welt Umsatz. In den ruhigen Monaten hält also auch sein Geschäft eine Art Winterruhe – und unser Einkommen leidet.

Es ist ein typisches Dilemma, das wir erleben: Unser Örtchen soll seinen Charakter und seine Ruhe bewahren und gleichzeitig sind wir froh um die Geschäftigkeit im Sommer.

Uns geht es damit wie fast allen, die hier ein Geschäft haben, ein Restaurant oder eine Unterkunft betreiben.

Aber das hat auch seine schönen Seiten: Wir sitzen alle im gleichen Boot, beziehungsweise am gleichen Strand. Und geniessen gemeinsam die ruhigeren Zeiten, erholen uns von der brummenden Sommerzeit und schmieden Pläne für die Gäste-Wellen im nächsten Jahr.


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