Ferien in Corona-ZeitenRückkehr nach Mallorca – ein erster Erfahrungsbericht
Andreas Drouve, dpa
9.7.2020
Reif für die Insel war ich längst. Aber ist Mallorca überhaupt reif für mich? Ein Selbstversuch.
Die Sehnsucht nach Mallorca war nie weg. Das weiche Licht und glasklare Wasser, die Buchten, Bergdörfer und Konzerte der Zikaden. Nun ist die Baleareninsel nach dem Corona-Chaos der vergangenen Monate wieder bereisbar – und ich will die Chance nutzen.
Mein Basislager werde ich im Süden beziehen, den ich besonders mag, weil er abseits der Hauptrouten liegt: in Colònia de Sant Jordi.
Ich übernachte in einem kleinen Apartmentkomplex. Ein Zeichen der Solidarität mit einer familiengeführten Unterkunft. Laut Besitzerin Apolonia Bonet sind noch ein Pärchen und zwei Familien angekündigt. Sonst bleibt alles leer: der Pool, die Liegen, die Parkplätze.
Natürlich gilt es, Abstriche in Kauf zu nehmen. Kaum die Hälfte der Hotels ist buchbar, da geschlossen. Einzelne Bauwerke haben zu, manche Läden und Restaurants haben die Schotten dicht gemacht. Wer sich der Urlauberspezies der Ballermänner zurechnet, wird ernüchtert sein. Die Party fällt in dieser Saison aus. Corona hat aus Malle wieder Mallorca gemacht. Das zu erleben, könnte eine einzigartige Chance sein, die vielleicht nie mehr wiederkommt.
Ankunft in Palma
Wer hätte gedacht, dass es sich einmal sehr exklusiv anfühlen wird, in einem Ferienflieger nach Mallorca zu fliegen? Nun sitze ich im Flugzeug, und die Belüftung ist so eingestellt, dass ich glaube, Desinfektionsmittel zu inhalieren. Der Geruch durchdringt die Gesichtsmaske, die sein muss in diesen Zeiten.
Nach der Landung in Palma stehen erst einmal praktische Aufgaben an. Die spanischen Behörden geben ein Einreiseformular aus. Doppelseitig, 42 Punkte. Doch den Zöllnern reichen lückenhafte Angaben. Wichtiger ist, ohne Auffälligkeiten die zwei Schleusen mit Wärmebildkameras zur Fiebermessung zu passieren. Dann trete ich hinaus in die Sonne.
Die Altstadt ist leer
Mich trennen 0,6 Grad Celsius vom Zutritt in eine der schönsten Glaubensburgen Spaniens: die Kathedrale von Palma. Kartenkontrolleur Toni misst meine Körpertemperatur: 36,6 Grad. Glück gehabt. Wären es etwas mehr gewesen, hätte ich draussen bleiben müssen.
Drinnen sind kaum Besucherinnen und Besucher unterwegs – so wie in der gesamten Altstadt. Ich kann fantastische Fotos ohne Menschenmassen schiessen.
Stadtführer Miguel Ángel Beltrán kann der Leere nichts abgewinnen. Der 43-Jährige sehnt sich nach «Ambiente, Lärm und vollen Restaurantterrassen», wie er sagt. Er kennt Kneipen, die durch die Krise bereits Geschichte sind. Zuletzt war er auf dem eigentlich riesigen Inselmarkt, jeden Mittwoch in Sineu, und fand es dort «supertraurig» mit den wenigen Ständen. Kann nur besser werden.
Skurril in Palma wirken nun Anti-Tourismus-Parolen als Graffiti und auf Plakaten. Die Geister, die man rief – nun sind sie da.
Einsame Strände und Buchten
Gespenstische Szenarien hatte ich mir ausgemalt. Zugangskontrollen, Patrouillen von Strandsheriffs, vielleicht sogar Polizeidrohnen. Alles Hirngespinste, wie der persönliche Test zeigt.
Die Sorge vor dem Virus ist der eigentlich Regulator, der Zustrom an Touristen ist dadurch auch ohne strenge Kontrollen abgeebbt. Das führt zu einem erfreulichen Erlebnis: An den Stränden und Buchten Mallorcas geht das Herz auf wie immer – aber der Verkehrsinfarkt bleibt aus. Kein Anfahrtstress mehr, kein nerviger Kampf um den Parkraum, kein Sardinendosen-Gefühl beim Ausbreiten des Handtuchs.
Lebensretterinnen wie Ainhoa Espinosa, 21, fällt die Zusatzaufgabe zu, ein Auge auf Mindestabstände zu werfen und bei Bedarf ermahnend einzuschreiten. Ihr Terrain ist die Strandperle S'Amarador im Naturpark Mondragó. Die Leute seien alle sehr diszipliniert, sagt Espinosa. Nicht anders sieht es in der kleinen Cala Sa Nau oder an weitläufigen Giganten wie Es Trenc aus.
Eine Zugreise als Sinnbild
Eine Touristin dreht sich ängstlich um, als im Aussenbereich des Museums Joan Miró der Kies unter meinen Schuhsohlen knirscht. So weit ist es gekommen: Man erschreckt sich fast voreinander. Gezahlt habe ich nichts. Heute am Samstagnachmittag ist der Eintritt kostenlos. Einsamer könnte Kunstgenuss nicht sein. Das gleiche Bild im Museum für zeitgenössische Kunst.
Bevor es zurück nach Deutschland geht, bin ich noch einmal auf andere Weise mobil: im Nostalgiezug von Palma nach Sóller. Die geöffneten Holzschiebefenster sind wie Bilderrahmen, in denen die Gemälde wechseln. Felsgipfel. Kiefernwälder. Hibiskus. Orangengärten.
Diese Reise auf Schienen durch Berge und Tunnel erscheint mir auf einmal wie ein Sinnbild für den touristischen Neustart auf Mallorca: Es gibt deutlich mehr Licht als Schatten. Es ruckelt, hat aber langsam Fahrt aufgenommen. Das Signal steht vorerst auf Grün.