Versunken in News, wird der Sprachpfleger aus seiner Tiefenentspannung herausgerissen. Schuld daran ist dieser Nebensatz: «... weil sich viele in falscher Sicherheit wägen». Allwäg!
Verwechslungen dieser Art gibt es zuhauf, etwa «die Mutter wägte ihr Kind auf dem Arm» oder «die Stimmung im Stadion wog hin und her». Höchste Zeit, ein paar Verben auseinanderzuhalten.
Wiegen und wägen sind prädestiniert für Fehler. Sie gehen auf denselben uralten Begriff zurück: wegan (eigentlich: [sich] bewegen). Und Jahrhunderte lang verwendete man nur das von Waage abgeleitete Verb wägen(wog, gewogen).
Heute jedoch herrscht wiegen vor: Ich wiege das Mehl – dies, obwohl man ein Gewicht ja nicht mit der Wiege bestimmt. Das von Waage abgeleitete wägen hält sich immer noch, wenn auch vorwiegend in der Fachsprache (und in der Mundart): Es heisst zum Beispiel Wägetechnik, nicht Wiegetechnik. Im übertragenen Sinn wird abwägen (= etwas überdenken) mehrheitlich schwach gebeugt: abwägte, abgewägt (auch möglich: abwog, abgewogen).
Wiegen – das sanfte Hin und Her
Beim schwach konjugierten Verb wiegen geht es um eine geradezu meditative Hin-und-her-Bewegung: Das Kind wird gewiegt, der Wind wiegt die Ähren, ein Boot wiegt sich auf den Wellen. So regelmässig die Bewegung, so harmonisch die Endungen: wiegen, wiegte, gewiegt. Auch das eingangs genannte Gefühl der Behütetheit – das Sich-in-Sicherheit-Wiegen – weist diese «unspektakulären» Konjugationsendungen auf. Dasselbe gilt für das Zerkleinern von Gewürzkräutern, sie werden gewiegt.
Wiegen Nummer zwei – das Verb der Schwere
Starke Verben wie das auf das Gewicht bezogene wiegen haben unregelmässige Endungen: wiegen, wog, gewogen – dies unabhängig, ob man etwas (ab)gewogen oder selbst 70 kg gewogen hat.
Das sanfte und das «gewichtige» wiegen haben den Infinitiv und die Konjugation in der Gegenwartsform (Präsens) gemein: ich wiege, du wiegst, er/sie wiegt et cetera. Doch in seiner starken Ausprägung geht das zweite wiegen andere Wege. Und erst recht im Konjunktiv II: Wenn sie das Kind wöge, würde sie die Gewichtszunahme sehen. Im Vergleich dazu: Wenn sie das Kind wiegte, würde es schneller einschlafen.
Und da wäre noch das Adjektiv gewogen. Wörter wie dieses sind wahrscheinlich der Grund, weshalb die Begriffe gesinnt und gesonnen verwechselt werden.
Wohlgesinnt statt «wohlgesonnen»
Gewogen bedeutet so viel wie zugetan, freundlich gesinnt. Deutsche News-Moderatoren beschliessen ihre Sendung korrekt mit: Bleiben Sie uns gewogen! Gesonnen hingegen bedeutet: gewillt, geneigt. Mit der Zeit haben sich gewogen und gesinnt versehentlich gemischt: «(wohl)gesonnen». Dieser Ausdruck figuriert zwar im Duden unter umgangssprachlich; ich empfehle Ihnen: wohlgesinnt.
Wenn die Wogen hochgehen
Ein Fussballspiel schaukelt oft wellenartig, es kann hin und her wogen, es «wogte hin und her», heisst es rückblickend. Leider ist manchmal zu lesen: Das Spiel «wog» hin und her. Ich verstehe, dass manches Match eine schwere Kost ist. Doch derart schwer, dass es sogar «wog», da würde ich mich sprachlich verschaukelt fühlen.
Zur Person: Mark Salvisberg war unter anderem als Werbetexter unterwegs. Der Absolvent der Korrektorenschmiede PBS überarbeitet heute täglich journalistische Texte bei einer Tageszeitung.
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