Kolumne Wie mich vegane Ernährung Blutwurst-rünstig machte

Von Jürg Hösli

2.6.2020

95 Prozent der Veganer geben laut dem Vegan Barometer 2019 die Tiere als Grund für ihre Lebensweise an.
95 Prozent der Veganer geben laut dem Vegan Barometer 2019 die Tiere als Grund für ihre Lebensweise an.
Bild: Getty Images

Vegan ist in und zeigt die Einstellung einer wachsenden Anhängerschaft. Auch Ernährungsdiagnostiker Jürg Hösli hat sich entschieden, vorerst vegan zu essen. Wie es ihm dabei ergeht.

Es war keine leichte Entscheidung auf so vieles zu verzichten, was meinen täglichen Speiseplan ausmachte. Ich liebe Käse, Quark und Joghurt. Vollkornbrötchen vom Bäcker, Honig, Avocado oder ein qualitativ gutes Stück Fleisch kam bei mir regelmässig auf den Tisch, ich achtete dabei immer auf Qualität.

Einen Teil meiner Jugendzeit wuchs ich auf dem Bauernhof auf, was mir sicher auch die Sensibilität für lokale Produzenten und maximale Qualität der Lebensmittel einimpfte. Doch wer seine Kunden verstehen möchte, sollte nicht nur Studien lesen, sondern aus eigener Erfahrung schöpfen können – auch bei der Entscheidung, ob vegan für jemanden sinnvoll ist.

Tofu schmeckt wie Schuhkarton 

Der Beginn war mehr als harzig. Bei vielen Lebensmitteln, die nicht vegan angeschrieben waren, musste ich die Inhaltsliste durchgehen, um sicherzugehen, dass ich diese auch essen durfte. Im Restaurant musste ich immer nachfragen, ob es wirklich vegan sei oder ob sie etwas Veganes anböten. Nicht selten erntete ich auf meine Fragen böse Blicke. 



Das vegane Brot beim Bäcker war für mich eine Zumutung. Meine Eiweissquellen über Sojaprodukte wie Tofu zu decken, kam schlicht nicht infrage. Ich kann nicht aufgrund einer Ethik auf Fleisch verzichten, aber die Monokultur der Sojaindustrie unterstützen. Hier werden Millionen von Tieren über den Pflanzenschutz vernichtet. Tofu als Lebensmittel zu deklarieren, ist zudem mutig – genau genommen ist es eher Lebensmittelchemie, die vom Geschmack eher an einen Schuhkarton als an etwas Essbares erinnert.

Ein Kochkurs, viel Lebensqualität

Aber da musste ich nun durch. Zum Frühstück gab es als Standard-Zmorge Porridge mit Proteinpulver, Zimt und lokalen Früchten, als Zwischenmahlzeit vor allem Früchte und Nüsse. Zum Mittagessen ass ich Linsen oder Kichererbsen mit Gemüse und Beilage, abends dann wieder das Gleiche wie mittags. Es war ein relativ tristes Dasein, das ich führte.

Ich bat dann einen Spitzenkoch, der auch ein guter Freund von mir ist, mit mir einen veganen Kochkurs zu halten. Von diesem Moment an stieg meine Lebensqualität massiv. Ich hatte nun mehrere Gerichte, die ich liebte, und ich freute mich wieder aufs Essen. Klar vermisste ich noch Käse, Joghurt und meine geliebten Dinkelbrötchen. Fleisch fehlte mir aber eigentlich nicht mehr.

Im Kraftraum ging nichts mehr

In der Zeit trainierte ich im Fitnesscenter und auf dem Rennrad. Die Resultate waren erstaunlich. Im Ausdauerbereich fühlte ich mich fit und schnell erholt. Ich reduzierte mein Körpergewicht um ein paar Kilogramm, was aber sicher auch vom zielgerichteten Training kam.

Im Kraftraum ging aber plötzlich gar nichts mehr. Im ersten Monat sank meine Kraft durchschnittlich um 35 Prozent! Zudem merke ich, dass ich immer dünnhäutiger wurde und meine innere Ausgeglichenheit immer mehr verlor, was in meinem Beruf nicht wirklich förderlich ist.

Ich hätte sie ihr fast aus den Händen gerissen

So kam es, wie es kommen musste. In der Stresszeit von Corona merkte ich, dass ich immer mehr Gelüste nach Würsten entwickelte. Als ich eines Tages in der Migros neben der Wursttheke stand, war da diese Frau mit Landjägern in den Händen. Ich hätte ihr diese am liebsten entrissen und die fettigen, ungesunden Würste verschlungen. Ich muss anfügen, dass ich solche Würste eigentlich überhaupt nicht mag.



Ich kaufte dann selbst ein paar davon und hätte sie beinahe schon vor dem Bezahlen verschlungen. Von da an war es um mich geschehen. Mein Körper meldete mir Gelüste, die ich bisher nicht kannte. Ich hatte Lust auf Leber- und Blutwürste, die ich sonst nie essen würde, und ich stopfte alles in mich hinein. Nach zwei Wochen war die Phase endlich vorbei, und ich war auch psychisch wieder der Alte.

Mehr auf den Körper hören

Was nehme ich nun aus dieser Zeit mit? Wer die vegane Ernährung testen möchte, dem rate ich zu einem Kochkurs – das schenkt unglaublich viel Lebensqualität. Vegan kann dann sehr viel Spass machen. Ich glaube aber, dass man sich bei Einladungen oder im Restaurant relativ schnell unbeliebt macht. Mittlerweile gibt es aber immer mehr Alternativen, zumindest bei den Restaurants.

Wer merkt, dass einem in der Ernährung etwas fehlt, der sollte besser auf den Körper statt auf den Kopf hören – und die Signale richtig interpretieren. Ich würde dann eher empfehlen, ab und zu ein Stück lokales Biofleisch zu essen, statt wie ich immer mehr Lust auf Ungesundes zu entwickeln.

Wer fühlt, dünnhäutiger zu werden, sollte die Ernährungsform nochmals überdenken: Denn punkto wissenschaftlicher Aspekte gibt es keinen Vorteil einer veganen gegenüber einer ausgewogenen fleischmoderaten Ernährung.

Zum Autor: Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik Erpse in Winterthur und Zürich.

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In der Rubrik «Die Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion2@swisscom.com

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