KolumneTiefere Krankenkasse-Prämien dank Schrittzähler? So ein Blödsinn!
Marianne Siegenthaler
4.11.2018
Wer gesünder lebt, soll weniger für die Krankenkasse bezahlen. Das möchte die CVP-Nationalrätin Ruth Humbel. Keine Freude an dieser Idee hat «Bluewin»-Kolumnistin Marianne Siegenthaler.
Kein Salz, kein Zucker, kein Fett, kein Nikotin, kein Alkohol, aber ganz, ganz viele Schritte – so sollen wir gesund bleiben und möglichst wenig Krankheitskosten verursachen.
Die Gesundheits-Fundis des Bundes sind besorgt: Wir sind ein übergewichtiges Volk von Rauchern und Trinkern, die zu faul sind, um sich zu bewegen.
Und darum verursachen wir enorme Gesundheitskosten. Und darum steigen die Krankenkassen-Prämien ständig an – obwohl uns damals vor der KVG-Abstimmung von Alt-Bundesrätin Ruth Dreifuss das Gegenteil versprochen wurde.
Aber eben – wir sind ja selber schuld. Weil wir nicht nur Pommes frites essen, sondern die auch noch nachsalzen, und dazu gibt es eine fettige Wurst. Das Ganze wird mit ein paar Bieren heruntergespült und zum Schluss gehen wir noch eins rauchen. Und dann bestellen wir ein Uber für den Heimweg.
Mindestens 10'000 Schritte täglich
Aber jetzt wird alles gut. CVP-Nationalrätin Ruth Humbel hat eine Idee: Sie will Anreize schaffen, sich gesünder zu verhalten und damit weniger Kosten zu verursachen.
Und das ist ganz einfach, wie die langjährige Spitzenläuferin im Orientierungslauf aus dem Kanton Aargau weiss: Viele, viele Schritte machen. Also mindestens 10‘000 täglich. Und die Schritt-Aktivitäten übers Smartphone durch die Krankenkasse überwachen lassen. Und dann Prämienverbilligung erhalten.
Prävention heisst das Zauberwort. Und das ist eine Art Fass ohne Boden. Denn mit den vielen Kampagnen werden Millionen von Franken verlocht. Ob sie was bringen, darf bezweifelt werden. Den zwei Millionen Raucherinnen und Rauchern in der Schweiz sind all die Präventionsbemühungen offenbar egal.
Und auch die übergewichtigen Kinder sind trotz der üblen Plakatkampagne mit den Doppelschlitten nicht plötzlich schlank. Fettiges und Salziges auf dem Teller ist nach wie vor beliebt, und auch Alkohol wird längst nicht nur zum Desinfizieren verwendet.
Offensichtlich wollen viele Schweizerinnen und Schweizer ihre Gewohnheiten gar nicht ändern – und das schon gar nicht unter dem Zwang, Prämien zu sparen.
Schrittzähler am Hundehalsband
Im Internet kursierten nach Bekanntgabe von Humbels Schrittzähler-Idee sofort einige kreative Ideen: Ein Handytäschchen für das Hundehalsband. Oder dem joggenden Kollegen den eigenen Schrittzähler mitgeben. So erreicht man die geforderten Schritte locker.
Und selbst wenn man nicht schummelt: Wichtig ist einfach, dass man das Smartphone immer dabei hat – beispielsweise wenn man zum Kiosk geht, um Zigaretten zu kaufen. Oder zum Coop für einen Sack Chips und eine Dose Red Bull.
Doch mal abgesehen davon, dass nicht jede und jeder bereit ist, sich von der Krankenkasse überwachen zu lassen – was ist mit denjenigen Menschen, die aus welchen Gründen nicht gut zu Fuss sind?
Ältere Leute, für die 10‘000 Schritte eine Art Marathon bedeuten? Menschen mit Gehbehinderungen? Gibt es für sie eine Speziallösung oder sind sie nur einmal mehr benachteiligt?
Keine neue Idee
Kurz: Die Idee der CVP-Politikerin ist nicht nur nicht ausgereift, sie ist nicht mal neu. Bereits vor zwei Jahren konnten Versicherte verschiedener Krankenkassen Informationen wie Schrittzahl, Herzfrequenz etc. ihrer Versicherung «verkaufen» und so Prämie sparen.
Für 10‘000 Schritte gibt es bei einer grossen Krankenkasse 40 Rappen pro Tag. Das sind 12 Franken pro Monat.
Mal ehrlich: Motiviert das einen Couchpotatoe zu mehr Bewegung? Wohl kaum. Profitieren würden aber alle, die sich gerne und viel bewegen. Marathonläuferin Ruth Humbel zum Beispiel.
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