Unter die HautTattoos sind mehr als eine harmlose Verschönerung
Sandra Arens, dpa/bb
17.5.2019
Erinnerungen festhalten, Liebe beweisen, sich verschönern: Menschen, die sich tätowieren lassen, wissen genau, warum sie das tun. Was sie häufig nicht wissen: Dass Tätowierungen gesundheitlich riskant sein können.
Die Generation der Tätowierten: Jeder fünfte Schweizer, jede fünfte Schweizerin ist tätowiert, bei den Jüngeren fast jeder zweite.
Manch einer geht heute zum Tätowierer wie zum Coiffeur. In den 1990er gab es hierzulande zirka 80 Shops, heute sollen es über 700 offizielle Tattoo-Shops geben – und etwa 1'400 weitere, die privat tätowieren.
Das Risiko steckt in der Farbe
Den meisten Menschen gelten Tattoos als harmlose Verschönerung. In einer Umfrage des deutschen Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) schätzte knapp die Hälfte von 1'000 Befragten das gesundheitliche Risiko als niedrig ein.
Professor Wolfgang Bäumler von der Klinik und Poliklinik für Dermatologie des Universitätsklinikums Regensburg sieht das anders. Er erforscht seit Jahren, welche Auswirkungen Tattoos auf den Körper haben. Besonders kritisch sieht Bäumler die Tätowierfarben. «Viele glauben, sie seien kontrolliert und absolut sicher. Aber so ist es nicht.»
Zwar gibt es seit 2006 in der Schweiz gesetzliche Vorschriften über Tätowiermittel, in der auch gesundheitlich bedenkliche Inhaltsstoffe aufgelistet werden. Eine Positivliste mit empfohlenen Farben existiert aber nicht.
Bäumler erklärt das Problem mit den Tätowierfarben: «Sie stammen aus der chemischen Industrie. Das sind hochkomplexe Chemikalienmischungen, die nur einem industriellen Standard entsprechen.» Seiner Meinung nach sollten sie hochwertig und rein sein wie Medikamente. Immerhin würden die Farben in die Haut gegeben.
Was genau in den Farben steckt, ist häufig nicht bekannt. «In Tätowierfarben sind im Wesentlichen Pigmente und Suspensionsmittel als Trägerflüssigkeit enthalten», sagt Bäumler. «Dazu kommen bis zu 100 weitere Substanzen, die nicht alle auf den Farbfläschchen aufgelistet sind.» Ein Bewusstsein dafür gebe es jedoch nicht. «Viele Menschen vertrauen den Farben. Sie haben die Einstellung: Wenn so viele Menschen tätowiert sind, kann das doch nicht schlimm sein.»
Krebserreger und Kleinstpartikel im Körper
Wie schlimm es wirklich ist, darüber gibt es keine absolute Klarheit. «Bei Stichproben werden allerdings krebserregende Stoffe in den Farben gefunden», sagt Ines Schreiver, Leiterin der Nachwuchsgruppe Tätowiermittel im Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR). Studien dazu, inwieweit Tätowierfarben tatsächlich Krebs auslösen, gibt es bislang nicht.
Was ein Forschungsprojekt des BfR aber definitiv gezeigt hat: Farbpigmente aus Tattoos können sich dauerhaft als Nanopartikel in Lymphknoten ablagern und werden durch das Lymphsystem zu anderen Organen transportiert.
Doch das Tätowieren birgt auch Gefahren, die sich schneller zeigen. «Beim Tätowieren entstehen tausendfache mikrokleine Verletzungen der Haut», sagt Uwe Kirschner, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten aus Mainz. Dabei könnten Infektionen entstehen.
Wolfgang Bäumler empfiehlt deshalb, professionelle Tattoostudios auszuwählen. «Sie werden noch am ehesten kontrolliert.» Spontane Tätowierungen in den Ferien am Strand sind dagegen nicht empfehlenswert.
Probleme bei der Hautkrebsvorsorge
Eine weitere Gefahr sind allergische Reaktionen auf Farbstoffe. «Das zeigt sich in der Regel durch Rötungen, Schuppungen oder nässende Wunden», erklärt Kirschner. Auch wenn die Symptome wieder abklingen, kann ein langfristiges Problem entstehen.
«Hat der Körper einmal eine Allergie gezeigt, wird er sich bei erneutem Kontakt maximal dagegen wehren», so der Hautarzt. Hat man zum Beispiel auf Metallbestandteile in Tattoofarben reagiert, könnte ein Transplantat problematisch werden.
Tattoos erschweren ausserdem die Hautkrebsvorsorge, bei der Muttermale untersucht werden. Kirschner rät auch dringend davon ab, über ein Muttermal stechen zu lassen. Sportler sollten vor dem Gang zum Tätowierer wissen, dass tätowierte Haut weniger Schweiss bildet, der dafür jedoch natriumhaltiger ist.
«Sind Sportler also grossflächig tätowiert, kann es Probleme mit der Temperaturregulation geben. Zusätzlich haben sie einen höheren Salzverlust», gibt Kirschner zu bedenken. «Sie müssen mehr Elektrolyte zuführen, um ihre Temperatur zu regulieren und nicht zu überhitzen.»
Lasern und hoffen, dass alles verschwindet
Und was, wenn man das Tattoo dann doch wieder loswerden will? «Viele Menschen stellen sich das so einfach vor wie Tafelwischen», sagt Wolfgang Bäumler.
Uwe Kirschner empfiehlt das Lasern, betont aber: «Je grösser und bunter das Tattoo ist, desto schwieriger wird es. Es gibt keine Garantie, dass das Tattoo komplett verschwindet.» Wer Pech habe, müsse mit einer Art Negativabdruck leben. Also mit vernarbter, hellerer Haut.
Der erste Tattoo-Artist Englands und eines seiner Werke um 1903: Tom Riley führte einen der ersten Tattoo-Shops in London und tätowierte angeblich sogar König Edward VII. 1771 brachte Captain James Cook das Phänomen «tatau» von seiner Reise aus Polynesien in unsere Breitengrade, seither hat sich die Kunst des Tätowierens weiter entwickelt.
Bild: Getty Images
Sie liess sich in den 1940er Jahren ihr erstes Kunstwerk stechen. Über 200 Tattoos zierten den Körper der 78-jährigen Isobel Varley bei ihrem Tod im Jahre 2015.
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Mehr als 75 Prozent ihres Körpers waren tätowiert, auch den Intimbereich zierten 16 Tattoos und allein in ihren Ohrläppchen trug Varley 29 Piercings. Für die Engländerin war es eine Leidenschaft, die ihr den Titel «Seniorin mit den weltweit meisten Tattoos» im «Guinness Buch der Rekorde» einbrachte.
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Auch Julia Gnuse schaffte es ins beliebte Rekorde-Buch: «Meisttätowierte Frau der Welt» lautet ihr Titel. Tatsächlich sollen 95 Prozent ihrer Haut mit Tinte verschönert worden sein.
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Doch für Gnuse, auch bekannt als «Illustrated Lady» waren die Tattoos eher Mittel zum Zweck. Sie leidet an einer schmerzhaften Lichtempfindlichkeit, die Narben und Blasen auf dem Körper hinterlässt, und diese begann sie zu übermalen.
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John Kenneys Tätowierungen sind Ausdruck seines turbulenten Lebens. Im Alter von sieben Jahren floh er von Zuhause, Obdachlosigkeit, Drogen, Kriminalität und Gewalt dominierten seinen Alltag. Für 12'000 Dollar, um Speed und LSD zu kaufen, hackte er sich in den 1970ern den Finger ab.
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Selbst Kenneys Augäpfel sind tätowiert: Augen auf...
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... Augen zu. Heute tingelt der über 60jährige Australier durch die Schulen, warnt Jugendliche vor den Gefahren von Drogen und Alkohol und kümmert sich um die Obdachlosen in seiner Heimat.
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Oft scheint ein schweres Schicksal den Anstoss für die extreme körperliche Veränderung zu geben. So auch bei der Transfrau Eva Tiamat Medusa aka «Dragon Lady». Mit fünf sollen ihre Eltern sie und ihre Geschwister in der Wildnis ausgesetzt haben. Nach der Diagnose HIV im Erwachsenenalter begann die Transformation.
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Auch die Verwandlung von «Zombie Boy», mit bürgerlichem Namen Rick Genest, geschah aufgrund eines Schicksalsschlages. Er war bis zu seinem Tod 2018 als erfolgreiches Model und als Performancekünstler unterwegs.
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«Body Modification» ist für dieses Paar ein Lebensstil. Über 50 Piercings, mehrere Implantate, gespaltene Zungen, unzählige Tattoos: Gabriela und Victor Perralta führen ein Tattoo-Studio in Buenos Aires und zelebrieren auch privat die Kunst am Körper.
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Wolfgang Kirsch, aka Magneto, ist nicht nur am ganzen Körper tätowiert, seinen Spitznamen verdankt er mehreren Magneten unter der Haut. Erst mit 45 Jahren machte er seinem Spiesserleben ein Ende und begann mit den ersten Tattoos. Der heute 68-Jährige wollte einfach Anders sein, die Kunst am Körper zur Schau stellen.
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Auch die Schweiz hat einen Anhänger der extremen Körperverschönerung: Der Genfer Etienne Dumont gehört seit 40 Jahren zu den gefeiertsten Kunstkritikern der Schweiz.
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Seine Transformation begann mit dem ersten Tattoo im Jahre 1974. Neben unzähligen Kunstwerken auf der Haut, schmückt er seinen Körper mit Implantaten oder Ohrtunneln von 70 Millimetern Durchmesser.
Bild: news.am
Dieser Mann hält den absoluten Rekord: «Lucky Diamond Rich» soll zu 99.99 Prozent tätowiert sein. Gregory Paul McLaren aus Neuseeland begann aus Neugier mit den Tätowierungen. Hunderte von Tattoo-Künstlern haben sich auf seiner Haut verewigt. Er tourt als Performance- und Strassenkünstler durch die Welt.
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