Suchtmittel-Bericht Die Sucht hat zu viele Lobbyisten

Philipp Dahm

5.2.2019

11'000 Todesfälle au dem Jahr 2018 hängen mit Suchtmitteln zusammen. Die Zahl könnte weit tiefer sein, wenn Lobbyisten in Bern nicht so viel Einfluss hätten.

Der Gesetzgeber ist grosszügig und die Leute verdienen viel – das macht die Schweiz zu einem berauschenden Ort für Konsumenten. Und damit natürlich auch zu einem lukrativen Markt für Dealer.

Dass die Letztgenannten sowohl mit legalen als auch mit illegalen Stoffen und auch mit Glücksspielen hierzulande derart satte Gewinne einfahren können, liegt auch daran, dass die entsprechenden Lobbygruppen in Bern zu viel Gehör fänden, kritisiert Sucht Schweiz. Die gemeinnützige Stiftung untersucht Jahr für Jahr die Konsumtrends in Sachen Drogen und Glücksspiel.

Tabak tötet am meisten Süchtige

Tausende Todesfälle gehen jedes Jahr auf das Konto von Suchtmitteln: Die Organisation schätzt, dass jedes Jahr 11'000 Personen ihrer Sucht erliegen. Wie kommt diese hohe Zahl zustande? «Das Gros ist dem Tabak zuzuschreiben», erklärt Monique Portner-Helfer, die Mediensprecherin von Sucht Schweiz, auf «Bluewin»-Nachfrage. «9'500 Personen sterben aufgrund des Rauchens. Dazu kommen 1'600 alkoholbedingte Todesfälle. 130 Personen sterben an illegalen Drogen.»

Die Opioid-Krise in den USA:

Das verursacht nicht nur Leid bei den Hinterbliebenen, sondern auch enorme Kosten: Auf 14 Milliarden Franken beziffert Sucht Schweiz den Schaden, der der Rausch und seine Folgen für unsere Gesellschaft bedeutet. Das liegt auch daran, dass Interessenvertreter in Bern immer wieder erfolgreich für ihre Sache einstünden, kritisiert Sucht Schweiz: Bei den legalen Produkten Alkohol, Tabak oder Geldspiel lobbyierten die Anbieter im Parlament und beim Bundesrat und wehrten sich erfolgreich gegen Einschränkungen.

Welche Massnahmen ergriffen werden könnten

Gesundheitsfachleute kontern, dass wirksame Prävention nicht viel koste. Sie fordern mutige Massnahmen. «Viele alkoholische Getränke sind zu billig. Ein Rausch ist für ein Butterbrot zu haben», sagt Monique Portner-Helfer. Ein Mindestpreis für Bier und Co könnte Alkohol unattraktiver machen, glaubt ihre Stiftung. Ein Dorn im Auge ist Sucht Schweiz ausserdem die Tabak-Reklame: «Es ist unverständlich, dass für ein Produkt geworben werden darf, das jedes Jahr so vielen Menschen in der Schweiz das Leben kostet.»

Das Geldspiel ist nach Einschätzung von Sucht Schweiz ein weiteres Beispiel für die Macht des Markts und seiner Fürsprecher. Die Bruttospielerträge und damit die Geldverluste der Spielenden belaufen sich pro Jahr auf 1,6 Milliarden Franken. Während im Lotteriegeschäft die Verluste der Glücksritter zwischen 2007 und 2017 insgesamt leicht zugenommen hätten, würden Zocker weniger Geld in den Casinos liegenlassen.

Doch der Markt sei äusserst dynamisch und warte mit immer neuen Online-Spielformen auf, die weitere Konsumentengruppen binden wollten. Das neue Geldspielgesetz öffne nun auch den Markt für Online-Casinos. «Im Online-Bereich ist eine äusserst rasche Spielabfolge und das Spielen auf mehreren Plattformen gleichzeitig und unbeschränkt möglich – dieser Faktor erhöht das Suchtpotenzial massgeblich», erläutert Portner-Helfer.

Emotionale Debatte versachlichen

Es brauche viel Wissen, um die Marktdynamik zu begreifen und Mut, suchtmittelbedingte Probleme anzugehen, schreibt Sucht Schweiz in ihrem Suchtpanorama 2019, das einen Überblick über den Konsum von Suchtmitteln gibt. Die Forschung zeige aber klar: Ein freier Markt vergrössere das Risiko von Suchtproblemen.

Wie illegale Drogenmärkte beschaffen seien, dafür habe sich bislang kaum jemand interessiert. Für Gesundheitsfachleute stünden primär die Konsumierenden im Zentrum, für Justiz und Polizei die Fahndung.

Mit einem dreiteiligen Projekt zu Heroin, Kokain und Cannabis habe Sucht Schweiz mit Teams des Universitätsspitals und der Universität Lausanne einen neuen Ansatz gewählt: Das Ziel sei, mit mehr Wissen über die Funktionsweise der Märkte zu einer Versachlichung der oft emotional geführten drogenpolitischen Debatte beizutragen.

Problemlose Beschaffung

Alkohol, Zigaretten und weitere Nikotinprodukte, Geldspiele oder illegale Drogen: Letztere seien in den Städten schnell und relativ problemlos zu beschaffen. Legale Produkte seien sowieso allgegenwärtig und billig rund um die Uhr zu haben, schreibt Sucht Schweiz.

Alkohol beispielsweise sei ein konstant gutes Geschäft. Der Markt profitiere seit Jahrzehnten von einer besonders liberalen Regulierung. Beim Tabak sei der Markt im Umbruch. Gefragt seien weniger schädliche Alternativen zum Rauchen, was die Entwicklung des E-Zigarettenmarkts erkläre.

Legale Hanfprodukte, die Sie testen sollten:

Die illegalen Drogenmärkte folgten je einer eigenen Logik, schreibt Sucht Schweiz weiter. Im Stimulanzienmarkt mache Kokain den grössten Anteil aus. Das geschätzte jährliche Handelsvolumen betrage in der Schweiz rund fünf Tonnen. Das Angebot sei gross, die Preise günstig.

Billiges Heroin

Die sich auf dem Schweizer Markt im Umlauf befindliche Menge an gestrecktem Heroin wird jährlich auf 1,8 bis 2,5 Tonnen geschätzt. Der grösste Teil gehe auf das Konto regelmässig Konsumierender. Die Preise seien viel tiefer als noch vor 20 Jahren.

Der Markt mit legalen CBD-Produkten (Cannabidiol) habe beispielhaft die Dynamik mit einer Vielzahl von Marktzutritten in der Anfangsphase gezeigt. Noch sei offen, wo sich das Marktvolumen stabilisieren werde. Auch eine öffentliche Debatte über den Medikamentenmissbrauch sei notwendig.

Die gesundheitspolitische Diskussion, wie denn mit Suchtmitteln umgegangen werden sollte, verlaufe in alle Richtungen. Bei der Frage der Cannabisregulierung drehe sich die Debatte oft im Kreis.

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