Bötschi fragt Nicolas Senn: «Seither denken die Nachbarn, ich sei total übergeschnappt»

Von Bruno Bötschi, Gais

18.8.2020

Nicolas Senn: «Während des Lockdowns spielte ich im Altersheim, in dem meine Grossmutter lebt. Das war unglaublich schön. Am Schluss hat meine Grossmutter, sie ist ein bisschen dement, sogar noch getanzt.»
Nicolas Senn: «Während des Lockdowns spielte ich im Altersheim, in dem meine Grossmutter lebt. Das war unglaublich schön. Am Schluss hat meine Grossmutter, sie ist ein bisschen dement, sogar noch getanzt.»
Bild: zVg

Keiner spielt das Hackbrett mit mehr Charme. «Potzmusig»-Moderator Nicolas Senn, 30, macht sich Gedanken über seine Heimat, spricht über seine Handysucht – und erzählt, warum er jeden Sommer eine Töfflitour mit Kollegen unternimmt.

Nebelschwaden kleben an den Appenzeller Hügeln und der Himmel weint Bindfäden: Heute macht der Sommer in der Ostschweiz Pause. Nicolas Senn lässt sich darob die Laune nicht verderben. Er sitzt im Gasthaus Unterer Gäbris in Gais AR und lächelt.

Möglicherweise hat die gute Laune des Musikers damit zu tun, dass er bereits vor fünf Jahren in einer Zürcher Bar ein ziemlich fröhliches Intermezzo mit dem Journalisten hatte.

Senn trägt T-Shirt, Jeans und Turnschuhe und trinkt Kaffee. Erst beim Hinausgehen wird der Schreibende bemerken, dass der Hackbrettspieler ziemlich stark humpelt.

Herr Senn, wir machen heute ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 30 bis 45 Minuten möglichst viele Fragen – und Sie antworten möglichst schnell und spontan. Passt Ihnen eine Frage nicht, sagen Sie einfach ‹weiter›.

Ich bin parat.

Romanshorn oder Gais?

In Romanshorn wuchs ich auf, mein Lebensmittelpunkt ist jedoch seit über zehn Jahren Gais. Als ich mit 19 an der HSG in St. Gallen anfing zu studieren, zog ich hierher – in das ehemalige Ferienhaus meiner Eltern.

Hardrock oder Punk?

Hardrock – allerdings ohne Detailkenntnisse. Ich bin grundsätzlich offen gegenüber jeder Art von Musik und freue mich, dass ich mit meinen verschiedenen Formationen auch unterschiedliche Musikstile pflegen darf, aktuell zum Beispiel gerade Kombinationen mit Klassik oder Boogie-Woogie.

Android oder iPhone?

iPhone.

Vor einem Jahr fassten Sie einen Vorsatz: Sie wollten weniger Zeit fürs ‹Grätli› aufwenden, also für Ihr Smartphone, dafür pro Tag mindestens eine halbe Stunde mehr für Ihre Instrumente. Hat es geklappt?

Es hat so weit geklappt, dass der Vorsatz nach wie vor existiert. Vor einem Jahr habe ich bei den von mir am meisten benutzten Apps Sperren eingesetzt, damit ich sie nicht länger als 15 bis 30 Minuten pro Tag benutzen kann. Nach monatelanger Erfahrung weiss ich allerdings auch, wie man diese Sperren wieder ausschalten kann.

Zum Autor: Bruno Bötschi
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«Bluewin»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus-Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.

Wie viele Stunden verbrachten Sie gestern am Handy?

Drei Stunden und sechs Minuten.

Und wie viele Stunden verbrachten Sie gestern mit Ihren Instrumenten?

Gestern gab ich an der Musikschule St. Gallen während 90 Minuten Hackbrett-Unterricht. Am Abend, ich kam gegen halb elf Uhr nach Hause, übte ich dann noch eine halbe Stunde Hackbrett. Klavier habe ich nicht gespielt.

Demnach war gestern musikalisch gesehen ein eher schlechter Tag?

Das stimmt – allerdings könnte man es auch positiv betrachten: Ich hätte auch, ohne Hackbrett zu üben, ins Bett gehen können.

Welches Alltagsgeräusch geht Ihnen auf den Wecker?

Es gibt ein Geräusch, das mir auf den Wecker geht. Aber es tangiert einen meiner Nachbarn, der mich immer mit feinem Angus-Beef versorgt, und deshalb möchte ich das lieber nicht erwähnen …

Akzeptiert.

Ach was, ich sage es trotzdem: Mich nervt das Geräusch eines Heugebläses. Aber ich weiss natürlich auch, dass diese Maschine von existenzieller Bedeutung ist und einen Brand im Heustock verhindert. Nur leider läuft das Gebläse meistens dann, wenn es draussen schönes Wetter ist. Es soll damit ja trockene Luft in den Heustock geblasen werden. Vielleicht finde ich ja irgendwann eine Lösung, um dieses Geräusch etwas zu optimieren oder das Heugebläse wenigstens so zu programmieren, dass es eine Melodie spielt ...

Was tun Sie normalerweise nach dem Aufwachen als Erstes?

Das, was ich mir eigentlich abgewöhnen möchte: Zu lange am Handy sein und mich über das Weltgeschehen informieren.

Mögen Sie Langeweile?

Langeweile kenne ich nicht.

Nicolas Senn: «Ich bin grundsätzlich offen gegenüber jeder Art von Musik und freue mich, dass ich mit meinen verschiedenen Formationen auch unterschiedliche Musikstile pflegen darf.»
Nicolas Senn: «Ich bin grundsätzlich offen gegenüber jeder Art von Musik und freue mich, dass ich mit meinen verschiedenen Formationen auch unterschiedliche Musikstile pflegen darf.»
Bild: Keystone

Die Coronapandemie sabotierte in den letzten Wochen und Monaten den Arbeitsalltag für freischaffende Künstler wie Sie. Wo wären Sie heute, wenn es das Virus nicht gäbe?

Heute ist Dienstag und deshalb wäre es gut möglich, dass der Tag nicht viel anders verlaufen wäre, als er bis jetzt verlaufen ist. Wegen der Coronapandemie wurden mir bisher über 80 Auftritte gestrichen. Ich löschte die gestrichenen Konzerte immer sofort aus meiner Handy-Agenda.

Warum?

Ich möchte nicht ständig daran erinnert werden, was heute wäre, wenn es das Virus nicht gäbe.

Aus den Augen, aus dem Sinn – für einmal sicher nicht die schlechteste Variante.

Sie leben im Appenzellerland in einem alten Bauernhaus, mitten in einem Wandergebiet. Wirklich wahr, dass Sie während des Lockdowns hin und wieder mit Ihrem Hackbrett vor die Tür gingen und Ihren Nachbarn ein Ständli brachten?

Wegen der Coronapandemie bewältigte ich mein Pensum an der Musikschule St. Gallen während der letzten Monate per Fernunterricht. An einem besonders schönen Tag installierte ich das Hackbrett inklusive Kamera in meinem Garten vor meinem Haus. Mit dem Effekt, dass die Nachbarn seither denken, ich sei total übergeschnappt.

Wieso das denn?

Ich sass den ganzen Tag vor dem Hackbrett, redete scheinbar ins Leere raus und gestikulierte dazu wild.

Sie sollen während des Lockdowns auch Konzerte in Seniorenheimen gegeben haben.

Das stimmt – ich spielte unter anderem im Heim, in dem meine Grossmutter lebt. Das war unglaublich schön. Am Schluss hat meine Grossmutter, sie ist ein bisschen dement, sogar noch getanzt und Musikwünsche angebracht.

Die ganze Welt, also wirklich alle Menschen, hören Ihnen für 15 Sekunden zu: Was sagen Sie ins Mikrofon?

Seid lieb miteinander und schaut, dass ihr gesund bleibt.



Welche Sorte Denken fehlt in diesen Tagen?

Dankbarkeit ist etwas vom Wichtigsten im Leben überhaupt – gerade in der Schweiz. Wegen des Coronavirus droht uns zwar eine Wirtschaftskrise, aber gleichzeitig leben wir nach wie vor an einem wunderschönen Ort. Wir hatten einen wettermässig traumhaften Frühling, konnten fast jeden Tag draussen sitzen und die meisten Menschen in der Schweiz – anders als in vielen anderen Ländern – hatten jeden Tag genug zu essen. In den letzten Wochen und Monaten wurde mir wieder einmal bewusst gemacht, in was für einem schönen und gut organisierten Land ich leben darf.

Was nehmen Sie immer mit, wenn Sie aus dem Haus gehen?

Etwas Geld, mein iPhone und fast immer dabei habe ich auch meine Spiegelreflexkamera.

Fotografieren Sie nicht mit dem Smartphone?

Doch – aber ich habe einen speziellen Instagram-Account, auf dem ich nur Landschaftsbilder poste, die ich mit meiner Spiegelreflexkamera gemacht habe.

Während des Lockdowns waren Sie regelmässig per pedes unterwegs.

Das stimmt, also bis vor einem Monat, als ich mir den Fuss übertreten habe. Seither muss ich mit dem Wandern leider pausieren.

Sind Sie gestürzt?

Ich war einen Moment unkonzentriert und blieb mit dem Fuss hängen.

Was ist alles kaputt am Fuss?

Das Röntgen hat ergeben, dass die Knochen okay sind. Ich hoffe deshalb, dass ich in zwei, drei Wochen wieder einfache Wanderungen unternehmen kann.

Nicolas Senn: «In den letzten Wochen und Monaten wurde mir wieder einmal bewusst gemacht, in was für einem schönen und gut organisierten Land ich leben darf.»
Nicolas Senn: «In den letzten Wochen und Monaten wurde mir wieder einmal bewusst gemacht, in was für einem schönen und gut organisierten Land ich leben darf.»
Bild: zVg

Ihre Lieblingswanderungen?

Ich bin gerne im Alpstein unterwegs, also direkt vor meiner Haustüre. In den letzten Monaten war ich aber auch im Berner Oberland, in der Innerschweiz und in Liechtenstein wandern. Meistens bin ich mit Kollegen und Bekannten unterwegs. Manchmal wandere ich aber auch alleine. Das geniesse ich sehr. Was ich auch schätze: Früh am Morgen loslaufen oder spät am Abend. Ich habe deshalb immer eine Lampe dabei, wenn ich wandern gehe.

Was ist Ihre schweizerischste Seite?

Von aussen betrachtet erfülle ich möglicherweise ziemlich viele Klischees. Spiele ich dann auch noch in der Appenzeller Tracht Hackbrett, ist das schon sehr schweizerisch.

Trotzdem würden Sie, zumindest haben Sie das mal gesagt, gerne länger in Berlin wohnen. Warum?

Ich hatte mehrere Auftritte in Berlin und fand es immer recht amüsant. Ich habe die Stadt auch schon zusammen mit Kollegen besucht. Wahr ist aber auch und das ist jetzt keine Koketterie: Ich bekomme, wenn ich wegfahre, spätestens ab Winterthur bereits Heimweh.

Wunderbar, diese Ehrlichkeit. Man muss ihn einfach mögen, den Nicolas Senn. 

Ich nenne Ihnen drei Nicolas-Senn-Sätze und Sie sagen, was sie bedeuten: ‹Ich brauche einen Rückzugsort und möchte mir mein kleines, ganz privates Reich bewahren. Dazu gehört auch meine Freundin.›

Ich habe nichts dagegen, wenn über mich als Musiker oder Fernsehmoderator berichtet wird. Aber ich will nicht um jeden Preis in den Medien erscheinen. Ich verzichte lieber einmal, als dass es eine Homestory über mich gibt. Denn ich geniesse es, dass ich nach wie vor in den Boxershorts Rasen mähen kann und keine Angst haben muss, dass vor meinem Haus ein Reisecar voller Touristen einen Stopp einlegt.

‹Ich kann mir gut vorstellen, später einmal mit meiner eigenen Familie hier zu wohnen. Für ein Kind gibt es doch nichts Schöneres, als so naturverbunden aufzuwachsen.›

Es gibt viele Menschen, die sagen: Wer so ab dem Schuss wohnt wie ich, muss seine Kinder in die Schule fahren. Aber ich hoffe nach wie vor, dass ein langer Schulweg auch eine gute Lebensschule sein kann.

‹Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass ich das – einfach so für mich – mal in Angriff nehme. Jodeln ist eine der vielen Sachen, die ich noch lernen möchte.›

Jodeln ist immer noch auf meiner To-do-Liste, aber ehrlich gesagt: Ich bin ein himmeltrauriger Sänger. Ich finde Jodeln zwar etwas Wunderbares, weiss aber gleichzeitig, dass ich nicht die beste Stimme habe. Ich müsste ziemlich viel daran arbeiten, aber es gibt in meinem Leben auch noch einige andere Baustellen, die meine Zuwendung benötigen – Klavier spielen zum Beispiel.



Seit mehreren Jahren unternehmen Sie jeweils im Sommer mit Freunden eine mehrtägige Töfflitour. Wohin fuhren Sie diesmal?

Diesmal liessen wir uns mit dem Bus nach Montreux transportieren. Von dort fuhren wir querfeldein mit unseren Töfflis durch den Kanton Fribourg und danach weiter durch das Simmental, das Diemtigtal und das Entlebuch, bevor wir über die Ibergeregg im Kanton Schwyz nach einem kleinen Abstecher ins Toggenburg wieder daheim im Appenzellerland ankamen. Wir waren fünf Tage lang unterwegs.

Was für ein Töffli fahren Sie?

Einen Puch Sport, handgeschaltet – das ist so etwas wie ein ungeschriebenes Gesetz unserer Töffligruppe. Die Konsequenz davon ist, dass es öfters Pannen gibt.

Stimmt es, dass Sie Ihr Töffli nicht selber reparieren können?

So ist es. Ich habe keine Ahnung von Motoren. Deshalb habe ich auch viel zu viel bezahlt, als ich vor einigen Jahren mein Töffli einem 14-Jährigen abgekauft habe. Er hatte behauptet, das Töffli sei in perfektem Zustand. Dem war leider nicht so. Ich musste dann nochmals eine Stange Geld in die Hand nehmen, damit es wieder richtig gefahren ist. Zum Glück haben meine Freunde viel mehr Ahnung von Töfflis als ich. Sie haben mir jedes Mal geholfen, wenn meins unterwegs wieder einmal gebockt hat. Das Fatale dabei ist jedoch: Jedes Mal, wenn ein Fahrer einen Zwangshalt verursacht, muss er die nächste Runde zahlen. Während der ersten zwei, drei Jahre habe ich deshalb den Kollegen oft einen Grossteil ihrer Ferien finanziert, weil mein Töffli derart viel ungewollt stehen geblieben ist.

Zwischenstand: gelöster Nicolas Senn. Von weichgespültem Musiker-Blabla weit und breit keine Spur. Und das ist gut so.

Wie viele Panne haben Sie heuer erlitten?

Holz anfassen! Keine einzige – dank der vielen Reparaturen in den vergangenen Jahren ist mein Töffli aktuell so gut in Schuss wie schon lange nicht mehr.

Welches war bisher die verrückteste Töfflitour, die Sie mit Ihren Freunden unternommen haben?

Letztes Jahr sind wir von Südtirol über das Timmelsjoch gefahren. Der Grenzpass zwischen Österreich und Italien liegt auf einer Höhe von 2'474 Meter über Meer. Wow, das war ein Abenteuer. Die Mautstelle auf der Talfahrt haben wir mit abgeschaltetem Motor als ‹Fahrradfahrer› und somit kostenlos passiert.

Nicolas Senn: «Ich habe keine Ahnung von Motoren. Deshalb habe ich auch viel zu viel bezahlt, als ich vor einigen Jahren mein Töffli einem 14-Jährigen abgekauft habe.»
Nicolas Senn: «Ich habe keine Ahnung von Motoren. Deshalb habe ich auch viel zu viel bezahlt, als ich vor einigen Jahren mein Töffli einem 14-Jährigen abgekauft habe.»
Bild: zVg

Auf welchem Fachgebiet hätten Sie gerne ein tiefgründiges Wissen?

Medizin interessiert mich und ich finde Architektur und Bauphysik spannend. Was kann man zum Beispiel alles mit Holz machen? Für mich als Laie ist oft unverständlich, wie beim Bau eines Hauses die verschiedenen Materialien zusammengebaut werden und wie sich gegenseitig beeinflussen können.

Wirklich wahr, dass Sie manchmal, wenn Sie unterwegs sind und jemand meint, Sie kämen ihm bekannt vor, einfach so tun, als wüssten sie nicht woher?

Das kommt vor. Letzthin war ich jedoch in einem Laden, als mich eine ältere Frau angeschaut hat und ich gemerkt habe, dass es in ihrem Kopf zu rattern beginnt. Ich sagte ‹Grüezi› und lief weiter. An der Kasse stand ich dann hinter der Frau, als sie sich umdrehte und zu mir sagte: ‹Sie haben im Fall einen ganz bekannten Doppelgänger.› Ich lachte und sagte: ‹Ach ja …› Dann sagte die Frau: ‹Aber er ist noch etwas grösser als Sie.› Nach dem Zahlen ging ich zu der Frau hin, zeigte ihr meine Identitätskarte. Sie guckte mich an und sagte: ‹Ja, der heisst schon so, aber wie gesagt, er ist noch etwas grösser als Sie.›

Mit welcher berühmten Persönlichkeit wurden Sie schon auf der Toilette verwechselt?

Während einer Töfflitour machten wir einmal in einer Beiz eine Pause, als am Nachbartisch plötzlich darüber diskutiert wurde, dass ich einer vom Fernsehen sein müsse – irgendwann sagte einer: ‹Nein, der Sven Epiney ist es nicht.›

Die beste Seite des Ruhms?

Ich wollte und will nicht berühmt werden. Aber meine Tätigkeiten als Musiker und als Fernsehmoderator sorgen dafür, dass ich regelmässig erkannt werde. Aber ich muss sagen, es sind meist extrem schöne Begegnungen und ich habe so schon manch wunderbaren Abend mit Menschen erleben dürfen, die ich davor nicht gekannt habe.

Wonach schmeckt Glück?

Ich mag es, wenn die Luft nach einem Gewitter frisch riecht. Und ich liebe es, wenn mein Nachbar frisch gemäht hat und am Abend, wenn es langsam abgekühlt, sich der Geschmack des gemähten Grases im ganzen Haus verteilt.

Wann zuletzt ein Angus-Beef vom Nachbar auf den Grill gelegt?

Das war kurz nach Ende des Lockdowns, als meine Eltern zu Besuch kamen.

Bratwurst mit oder ohne Senf?

Ohne natürlich – ausser ich bin ganz, ganz weit weg und es ist kein St. Galler dabei. Dann in Ausnahmefällen auch einmal mit Senf.

Ein ehrlicher Typ, dieser Senn.

Wissen Sie schon, wann Sie Bernhard Russi das nächste Mal treffen werden?

Nein, aber ich hoffe, dass ich ihn nochmals treffen darf. Vor ein paar Jahren hatte ich eine ganz tolle Begegnung mit ihm. Bernhard Russi erzählte mir unter anderem, dass er begonnen habe, Klavier zu spielen, und seither bis zu fünf Stunden am Tag übe. Das finde ich grossartig. Ich dachte damals, wenn ich einmal mit über 70 noch so wach und fit sein darf, wäre das wunderbar.



Ein typischer Spruch von Ihrer Mutter?

Mein Vater sagte früher oft: ‹Was dich nicht umhaut, macht dich stärker.› Und meine Mutter? Da kommt mir gerade nichts in den Sinn. Aber sie war und ist die gute Seele unserer Familie.

Wie bereitet Sie Ihr Vater auf die schwierigen Seiten des Lebens vor?

Mein Vater war Sekundarlehrer und berichtete oft aus seiner Schulklasse. Einmal sagte er zu mir: ‹Wer seine Mitmenschen ständig in die Pfanne haut, hat irgendwann keine Freunde mehr.› Ich gehöre zu den Menschen, die daran glauben, dass es so zurückkommt, wie man in den Wald ruft und versuche deshalb, niemanden in die Pfanne zu hauen.

Sie sollen mit vier Jahren ein Konzert der Appenzeller Streichmusik Alder erlebt und danach nur noch einen Wunsch gekannt haben: Hackbrett spielen.

Das stimmt. Allerdings kann ich mich selber nicht mehr so genau daran erinnern. Meine Eltern haben mir später erzählt, mir hätte es die Sprache verschlagen, als ich an der Olma in St. Gallen die Alderbuebe spielen sah. Zu Hause erzählte ich noch wochenlang vom Hackbrett – meine Eltern fragten sich bereits: ‹Wohin führt das noch mit unserem Bub?›

Ich war als Primarklässler auch einmal bei den Streichmusik Alder in Urnäsch auf Besuch. Ich durfte sogar auf dem Hackbrett spielen.

Demnach sind Sie das auf dem Bild?

Ja.

Sehr cool.

Der Tag, an dem sich der Journalist (mit weisser Dächlikappe) als Hackbrettspieler versuchte.
Der Tag, an dem sich der Journalist (mit weisser Dächlikappe) als Hackbrettspieler versuchte.
Bild: Privat

Was denken Sie, warum waren Sie sofort vom Hackbrett fasziniert?

Dass weiss ich nicht mehr. Es ist auch ziemlich irrational. Meine Eltern haben nie selber Volksmusik gemacht und Hackbrett hat auch keiner meiner Vorfahren gespielt, obwohl meine Grossmütter im Appenzellerland und Toggenburg aufgewachsen sind.

Gelesen habe ich, dass die 125 Saiten auf dem Appenzeller Hackbrett eine Zugkraft von rund einer Tonne erzeugen. Mit Stegen werden je fünf Saiten in 25 Chöre aufgeteilt, was den typischen mehrstimmigen Klang beim Anschlagen mit der Rute erzeugt. – Was sollte ich sonst noch über Ihr Lieblingsinstrument unbedingt wissen?

Eine Eigenheit des Hackbrettes ist, das zwar alle Töne vorhanden, aber nicht wie bei einem Klavier nebeneinander. Wenn ich die chromatische Tonleiter spielen will, ist es ein ziemliches Chrüsimüsi. Das hat auch Konsequenzen beim Spielen, also wenn ich zum Beispiel die Tonart wechseln muss. Deshalb kann man auch nicht sagen, dass jede Melodie mit dem Hackbrett spielbar ist, sondern man muss es von Fall zu Fall ausprobieren, ob es geht oder nicht.

Gibt es unter den 125 Saiten solche, die besonders schwierig sind zu spielen?

Das kann man nicht so pauschal sagen. Was ich sagen kann: Es gibt Töne, die schlecht liegen. Und es gibt auch Töne, die rein stimmtechnisch schwieriger zu stimmen sind.

So grundsätzlich: Was macht Musik mit Ihnen?

Im besten Fall berührt sie mich.

Wo exakt im Körper spüren Sie Musik?

Hmmm … das ist schwierig zu erklären. Es gibt natürlich den Hühnerhaut-Effekt. Und in ganz wenigen Momenten kommt ein Tränchen.

Welche Musik rührt Sie zu Tränen?

Ein sehr berührender Moment ist, wenn an Silvester in der Morgendämmerung ein ‹Schuppel› (eine Gruppe von Silvesterkläusen, Anmerkung der Redaktion) vor der Haustür ein ‹Zäuerli› anstimmt.



Ihr Hackbrett wurde 1982 vom bekannten Hackbrettbauer Johann Fuchs gebaut. Hat Johann Fuchs unter den Hackbrettbauern einen ähnlichen Ruf, wie Antonio Giacomo Stradivari unter den Geigenspielern?

Johann Fuchs hat in den 1950er-Jahren angefangen mit dem Bau von Hackbrettern. Ursprünglich war er Antikmöbelschreiner. Mittlerweile pflegt sein Sohn Johannes das Handwerk weiter. Die Tradition ist also nicht so alt wie bei der Stradivari-Geigen, aber trotzdem würde ich sagen: Die Fuchs-Hackbretter sind die Stradivaris unter den Appenzeller Hackbrettern.

Johannes Fuchs spielt zwar selber Hackbrett, soll keine Noten lesen können.

Das ist möglich, aber er ist ein hervorragender Hackbrett-Spieler – im Gegensatz zu seinem Vater, der konnte kaum spielen, baute aber trotzdem hervorragende Hackbretter.

Nicolas Senn: «Meine Eltern haben mir später erzählt, mir hätte es die Sprache verschlagen, als ich an der Olma in St. Gallen die Alderbuebe spielen sah. Zu Hause erzählte ich noch wochenlang vom Hackbrett – meine Eltern fragten sich bereits: ‹Wohin führt das noch mit unserem Bub?›»
Nicolas Senn: «Meine Eltern haben mir später erzählt, mir hätte es die Sprache verschlagen, als ich an der Olma in St. Gallen die Alderbuebe spielen sah. Zu Hause erzählte ich noch wochenlang vom Hackbrett – meine Eltern fragten sich bereits: Wohin führt das noch mit unserem Bub?»
Bild: zVg

Für mich als Mensch, der kein Instrument wirklich gut beherrscht, tönt das nach einem ziemlichen Affront, wenn ein Musiker keine Noten lesen kann. Wahr oder nicht?

Es gibt viele Musiker, die nicht Noten lesen können. Mein Steckenpferd ist es auch nicht. Müsste ich entscheiden, ob ich ein Stück über die Noten oder über das Gehör einstudieren soll, würde ich mich für das Gehör entscheiden. Am allerschnellsten bin ich jedoch, wenn ich beides habe.

Wirklich wahr, dass Sie mit einer App namens Cleartune Ihr Hackbrett stimmen?

Das stimmt. Als Handyjunkie habe ich das iPhone immer dabei und deshalb ist das extrem praktisch. Früher musste ich immer ein relativ grosses Stimmgerät mitnehmen, was mühsam war.

Ihre Erklärung, warum Hits so einen schlechten Ruf haben?

Das ist wohl nicht nur bei Hits so, sondern auch bei beliebten Ausflugsorten, etwa dem Berggasthaus Aescher. Sobald alle etwas cool finden, ist es irgendwann Mainstream. Aber wir Menschen sind ja noch gerne einzigartig oder wollen zumindest das Gefühl haben, dass wir es sind. Jede und jeder möchte sich irgendwie von seinen Mitmenschen abheben können.

Ihr Lieblingstier?

Luchs.

Ihre Lieblingsfarbe?

Grün-Weiss. Ich bin Fan vom FC St. Gallen.

Sie sind im Thurgau aufgewachsen, tragen aber eine Appenzeller Tracht, wenn Sie mit dem Hackbrett auf der Bühne stehen. War dafür eine Spezialbewilligung nötig, oder darf jeder die Appenzeller Tracht anziehen, wenn er Lust hat?

Es braucht eine Bewilligung – und ich muss sie jedes halbes Jahr bei den Behörden erneuern lassen (lacht).

Und ernsthaft?

Im Trachtenwesen ist es grundsätzlich so, dass man die Tracht trägt, wo man herkommt. Eine Bewilligung braucht es jedoch nicht, wenn man die Tracht aus einer anderen Region anziehen möchte.

Nicolas Senn: «Eine Eigenheit des Hackbrettes ist, das zwar alle Töne vorhanden, aber nicht wie bei einem Klavier nebeneinander. Wenn ich die chromatische Tonleiter spielen will, ist es ein ziemliches Chrüsimüsi.»
Nicolas Senn: «Eine Eigenheit des Hackbrettes ist, das zwar alle Töne vorhanden, aber nicht wie bei einem Klavier nebeneinander. Wenn ich die chromatische Tonleiter spielen will, ist es ein ziemliches Chrüsimüsi.»
Bild: zVg

Ihnen gefällt demnach die Thurgauer Tracht nicht?

Das stimmt so nicht, aber ich habe keinen Bezug zu dieser Tracht. Ich bezeichne mich eben primär nicht als Thurgauer, sondern als Ostschweizer. Meine Grosseltern sind vom Toggenburg, vom St. Gallischen und aus dem Appenzellerland arbeitsbedingt in den Thurgau ausgewandert. Die Appenzeller Tracht kam schon sehr früh in mein Leben – zusammen mit meinem ersten Hackbrett-Lehrer habe ich immer wieder ein Bestandteil davon gekauft. Einige Bestandteile meiner Tracht habe ich zudem noch von meiner Grossmutter geerbt. Bis ich irgendwann die ganze Tracht beisammen hatte.

Wo ist der Thurgau am schönsten?

Ich schätze die Bodensee-Region sehr.

Und wo das Appenzellerland besonders schön?

Meinen Lieblingsplatz verrate ich nicht. Aber so viel sei gesagt: Die Region Alpstein ist meine grosse Leidenschaft.

Zum Schluss noch der grosse Talenttest: Schätzen Sie bitte, lieber Herr Senn, Ihr Talent von null Punkten, kein Talent, bis zehn Punkte, Supertalent, ein – als Verlierer?

Vier. Ich bin ein Mensch mit einem grossen Spieltrieb, mag alle Arten von Herausforderungen und gewinne gerne.

Als Feminist?

Fünf Punkte. Ich denke, diese Thematik wird bei uns auf dem Land weniger heiss gegessen als in der Stadt. Ich jedenfalls wurde noch nicht stark gefordert.

Als Koch?

Sechs Punkte. Es gibt einige Gerichte, die ich sehr gerne und auch sehr gut kochen kann.

Was kochen Sie besonders gut?

Das Angus-Beef vom Nachbarn und Ghackets mit Hörnli ist ebenfalls ein Parademenü von mir.

Als Rock’n’Roller?

Sechs Punkte – je später die Stunde, je besser werde ich.

Als Politiker?

Sieben Punkte. Politik finde ich spannend, aber ich will mich wegen meiner Tätigkeiten, unter anderem als Fernsehmoderator, nicht zu stark exponieren. Nicht zuletzt auch deshalb, weil wenn man in Tracht gekleidet ist, eh schon einen Stempel trägt.

Als Schweizer des Jahres?

Drei Punkte. Ich habe nicht das Gefühl, dass ich so relevant bin, um bei dieser Wahl eine Chance haben zu können.

Agenda: Hackbrettspieler Nicolas Senn ist ab Mitte September auf Tournee mit Boogie-Woogie-Pianisten Elias Bernet. Die aktuellen Termine finden sich hier. Die nächste «Potzmusig»-Sendung wird am 5. September, 18:45 Uhr, auf SRF1 ausgestrahlt.

Interviews: Noch mehr «Bötschi fragt»-Gespräche finden Sie unter diesem Link.

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