blue Sport Experte Marcel Reif «Ich wollte nicht als Sohn eines Holocaust-Überlebenden sprechen»

Von Marko Schlichting

1.2.2025

Vor einem Jahr erzählte blue Sport Experte Marcel Reif (75) seine Familiengeschichte bei einer Veranstaltung zur Befreiung des KZ Auschwitz im Deutschen Bundestag.
Vor einem Jahr erzählte blue Sport Experte Marcel Reif (75) seine Familiengeschichte bei einer Veranstaltung zur Befreiung des KZ Auschwitz im Deutschen Bundestag.
Bild: Michael Kappeler/dpa

Wie blickt jemand auf das Erstarken von Rechtsextremen, der fast seine ganze Familie durch den Holocaust der Nazis verloren hat? blue Sport Experte Marcel Reif sprach darüber in der WDR-Talkshow «Kölner Treff».

Von Marko Schlichting

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Am 31. Januar 2024 rührte blue Sport Experte Marcel Reif den Deutschen Bundestag zu Tränen. Seine Rede zur Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus ging unter die Haut.
  • Dabei wollte er dort eigentlich nicht sprechen. Das erzählte der 75-Jährige gestern Freitagabend in der WDR-Talkshow «Kölner Treff».
  • «Ich wollte nicht als Sohn eines Holocaust-Überlebenden sprechen. Mein Vater wollte über seine Zeit nicht reden. Und ich dachte, wie ich denn dann dazu kommen sollte», so Reif.

Er ist eine lebende Legende. Marcel Reif lebt den Fussball. Schon als Jugendlicher spielte er in Kaiserslautern.

Doch ein Star wird er erst, als er schon lange beim Fernsehen ist. Eigentlich fängt alles mit Politik an, beim ZDF. 1984 wechselt er ins Sportressort im Zweiten.

Er wird so bekannt, dass ihn zwölf Jahre später RTL engagiert. Seine Reportagen von der Champions League sind ein Renner. Später geht es zu Sky, Sat1 und Sport1. Und schon seit einiger Zeit analysiert Reif auch für blue Sport als Experte Fussballspiele.

Marcel Reif ist auch ein politischer Mensch

Doch nicht nur als Sportreporter hat sich Marcel Reif einen Namen gemacht. Er ist auch ein politischer Mensch. Der Vater von Marcel Reif, der eigentlich Nathan heisst, ist Überlebender des Holocaust.

Vor einem Jahr erzählt Reif seine Familiengeschichte bei einer Veranstaltung zur Befreiung des KZ Auschwitz im Bundestag. Dabei wollte er dort eigentlich nicht sprechen, erzählte Reif am Freitagabend in der WDR-Talkshow «Kölner Treff».

«Ich wollte nicht als Sohn eines Holocaust-Überlebenden sprechen. Mein Vater wollte über seine Zeit nicht reden. Und ich dachte, wie ich denn dann dazu kommen sollte.»

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Doch dann überlegte er es sich anders, «weil ich irgendwann begriffen habe, dass es darum geht, Dinge weiterzutragen».

Und weiter: «Es gibt diese völlig richtigen und notwendigen Gedenkstunden: Alle ziehen dunkle Klamotten an, dann kommt ein Streichquartett, ernste Musik, alle gucken betreten, zwei reden, und danach gehen alle wieder ihrer Wege. Und irgendwann ist das dann nur noch ein Datum. Aber es ist dann doch was anderes, und grade in diesem Lande und grade für die nächsten Generationen.»

Reif: «Mein Vater war ein witziger, lustiger Geniesser»

Sein Vater, erzählte Marcel Reif bei der Veranstaltung, habe ihm immer wieder einen Satz gesagt, der ihn geprägt habe: «Sei ein Mensch». «Er war ein witziger, lustiger Geniesser, der gerne gegessen, getrunken und Spass am Leben gehabt hat», berichtet in der WDR-Talkshow «Kölner Treff» über seinen Vater.

Doch über seine Erlebnisse während der NS-Zeit habe der Vater nie gesprochen. «Davor hat er uns zu bewahren versucht, damit wir eine andere Kindheit hatten als er, und damit wir nicht in jedem Strassenbahnfahrer, Lehrer oder Bäcker den vermeintlichen Mörder unserer Grosseltern und anderer Verwandter sehen sollten.»

Heute hält er das Verhalten seines Vaters für heldenhaft. Gesagt hat er es ihm nie.

Marcel Reif habe gewusst, dass der grösste Teil seiner Familie von den Nazis während des Holocausts ermordet worden war. «Ich hatte keine Grosseltern. Ich hatte einen Onkel, eine Cousine und eine Tante. Den Rest gab es nicht.»

Wie der Vater das KZ überlebte, erfährt Reif erst nach dessen Tod

Wie sein Vater im Konzentrationslager überlebt hat, dass er nur durch Zufall und durch die Hilfe eines Krupp-Managers dem Vernichtungslager entronnen war, das alles erfährt Reif erst nach dem Tod des Vaters. Seine Mutter erzählt ihm davon.

«Mein Vater hat das nicht thematisiert, und wir Kinder haben es dort gelassen, wo er es haben wollte.» Als Jugendlicher ist Marcel Reif nicht unglücklich darüber. Er hat andere Sorgen, sein erstes Auto zum Beispiel, einen Fiat. Heute spricht er über die Geschichte seiner Familie. Das ist ihm wichtig.

In dieser Woche wurde wieder der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee gedacht, am 27. Januar vor 80 Jahren. Und ausgerechnet am Mittwoch, zwei Tage danach, wurde im Bundestag ein Entschliessungsantrag der Union mit den Stimmen der AfD beschlossen.

Ein Tabubruch? Nein, sagt Reif.

«Ich habe diesen Tabubruch nicht als Tabubruch erlebt, weil die AfD zugestimmt hat. Für mich ist der Tabubruch, dass eine so grosse Fraktion einer gesichert rechtsextremistischen, rassistischen Partei im Bundestag sitzt.»

Für ihn sei es angesichts von teils 30 Prozent Wählerunterstützung für die AfD zu kurz gedacht, pauschal über «Neonazis» zu sprechen: «Das heisst, man wird diese Wähler wieder zurückholen müssen.»

Reifs Forderung: «Die AfD thematisch stellen»

Marcel Reif stört, «was diese Woche passiert ist, wie die Parteien der Mitte miteinander umgegangen sind und wie viele Schmähungen und Verletzungen es gab. Aber die werden nach der Wahl koalieren müssen. Wie das gehen soll, weiss ich nicht.»

Seine Forderung: Die AfD thematisch stellen.

«Brandmauer ist ein schönes Wort, aber keine Politik. Man muss der AfD die Wähler entziehen, aber das kann man nur, indem man Dinge anbietet.»

Das sei den Parteien der Mitte in den letzten Jahren nicht gelungen. Reif: «Die AfD ist nicht per Ufo gelandet, sondern sie hat sich breit gemacht, weil ihr Leute gefolgt sind, die Sorgen haben. Aus Sorgen werden Ängste, Und auf diesem Grund lässt sich absahnen. Das hat die AfD gemacht.»

Doch die AfD wählen nur gut zwanzig Prozent. Das macht ihm Hoffnung: «Wir sind mehr als die AfD», bilanziert Marcel Reif.


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