Kolumne Frauen-WC – eines der letzten Paradiese

Von Marianne Siegenthaler

11.11.2019

Frauen sind auf der Toilette so nett zueinander wie sonst nirgendwo.
Frauen sind auf der Toilette so nett zueinander wie sonst nirgendwo.
Bild: Getty Images

Auf dem Frauen-WC ist die Welt noch in Ordnung. Denn da herrschen ein paar ungeschriebene Gesetze, die allen zugutekommen und an die sich – mit wenigen Ausnahmen – alle Frauen halten.

Was ist wohl das Allerpeinlichste, was einer Frau passieren kann?

Dass sie nach dem Toilettenbesuch aus Versehen ihren Rock in der Strumpfhose einklemmt und sich halbnackt der Öffentlichkeit präsentiert.

Oder fast noch schlimmer: Dass ihr ein Stück Klopapier wie eine Fahne aus der Hose hinterherflattert.

Nicht in der Öffentlichkeit blamieren

Zum Glück kommt es aber nur ganz selten so weit. Befindet man sich nämlich nicht allein auf einer öffentlichen Toilette, gelten ein paar ungeschriebene Regeln, also eine Art WC-Knigge. Dazu gehört unter anderem, dass eine Frau, deren Jupe in der Unterhose klemmt, noch VOR Verlassen der Toilette darauf aufmerksam gemacht wird.

Das gilt übrigens auch für Klopapier am Schuh. Oder einen offenen Reissverschluss an der Hose. Einen falsch zugeknöpften Mantel. Lippenstift auf den Zähnen. Und so weiter. Da ist jede Frau dankbar, wenn sie diskret auf das Missgeschick aufmerksam gemacht wird – bevor sie sich damit in aller Öffentlichkeit blamiert.

Auf dem sozialen Netzwerk Reddit, einer der meistbesuchten Seiten des Internets, wird das Thema ebenso diskutiert wie vor Kurzem im Magazin der Süddeutschen Zeitung.

Fazit: Frauen sind auf dem WC so nett zueinander wie sonst nirgendwo.

Interessantes Experiment

So ist es ganz selbstverständlich, dass man die Nachfolgerin darauf aufmerksam macht, dass es kein WC-Papier mehr hat. Wenn man auf eine verdreckte Toilette trifft, meidet man die nicht nur, sondern warnt auch andere Frauen. Ist ja wirklich nicht nötig, dass die sich den Ekel auch noch antun.



Warum aber ist das WC eine Art geschützte Werkstätte für Frauen? Warum sind Frauen hier so solidarisch, wo sie sich doch im Job, als Mütter, als Nachbarinnen, ja manchmal sogar als Freundinnen gegenseitig das Leben schwer machen?

Dazu gibt es ein interessantes Experiment, das Tracy Vaillancourt, Psychologin an der Universität von Ottawa, in Kanada durchgeführt hat:

Eine Frau betritt in unauffälliger Kleidung einen Raum voller Frauen. Sie wird von den anderen Frauen nicht mal wahrgenommen. Dann erscheint sie erneut, diesmal aber in körperbetontem Outfit. Nun wird sie genauestens unter die Lupe genommen – und nach Verlassen des Raums werden Figur, Frisur und Outfit mit spitzen Bemerkungen kommentiert.

Frauen stehen in einem steten Konkurrenzkampf – auch heute noch, wo sie nicht mehr darauf angewiesen sind, dass ein Mann für sie tagelang mit der Keule hinter dem Mammut herrennt, während sie das Feuer in der Höhle am Brennen halten.

Offenbar hat sich die Evolution hier noch nicht durchgesetzt, und nach wie vor wird allfällige Konkurrenz zwar nicht unbedingt in die Flucht geschlagen, zumindest aber schlecht gemacht.

Auf dem WC sind alle Frauen gleich

Nicht so auf der Toilette. Da sind alle Frauen gleich: Sie hassen es, wenn es kein WC-Papier mehr hat. Wenn sich die Türe nicht abschliessen lässt.

Oder wenn sie plötzlich ihre Tage bekommen und keinen Tampon zur Hand haben. Ganz klar, dass da andere Toiletten-Besucherinnen sofort Hilfe leisten und auch mal Klopapier oder einen Tampon unter der Trennwand durchschieben.



Ein weiterer Grund für die friedliche Stimmung auf der Toilette: Sie bietet einen Rückzugsort. Etwa für Tränen, weil es trotz der ganzen Büfflerei bei der Matheprüfung doch wieder nur zu einem Zweieinhalber reichte. Oder man suchte die Toilette auf, um eine dicke Schicht Schminke aufzutragen, mit der einem die Mutter nie und nimmer aus dem Haus hätte gehen lassen.

Aber nicht nur paradiesische Zustände

Zurück zu den Regeln: Natürlich würde man niemals, wirklich niemals bei Bezahl-WCs die Tür nach Verlassen der Kabine vor der nächsten Benutzerin zuschlagen lassen.

Denn diese Situation kennt jede Frau: Man muss dringend, ganz dringend mal pinkeln, hat aber das richtige Münz für den Apparat an der WC-Tür grad nicht zur Hand. Also bleibt diese verschlossen. Es sein denn, jemand hält einem die Tür auf.


So weit, so gut. Aber wie überall herrschen auch auf dem Damenklo nicht nur paradiesische Zustände. Was nervt die WC-Besucherinnen am meisten? Auch diese Frage wurde auf Reddit diskutiert.


Das Ergebnis: Die Digitalisierung macht auch vor der Klotür nicht halt, und so wird wegen des nervigen Handygeplappers aus dem stillen ein lautes Örtchen – sehr zum Ärger der anderen Toilettenbenutzerinnen, die sogar auf dem WC ungewollt teils privatesten Details aus der Nachbarkabine mithören müssen.

Das WC sollte deshalb zu einer der letzten Handy-freien Zonen erklärt werden.

Marianne Siegenthaler ist freie Journalistin und Buchautorin. Wenn sie grad mal nicht am Schreiben ist, verbringt sie ihre Zeit am liebsten im, am und auf dem Zürichsee.

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In der Rubrik «Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine Mail an: redaktion2@swisscom.com

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