Kolumne Die Krux mit dem Intervall-Fasten

Von Jürg Hösli

25.1.2021

Nur hie und da zuzulangen, hat auch seine Tücken.
Nur hie und da zuzulangen, hat auch seine Tücken.
Gardie Design & Social Media Marketing, Unsplash

Mit intermittierendem Fasten endlich abnehmen: Ein Ernährungshype oder der Schlüssel zum Erfolg? Warum das Intervall-Fasten keine gute Idee ist.

Intermittierendes Fasten wird heute als Allerheilmittel gepriesen. Es lässt scheinbar Körperfett nur so dahinschmelzen, soll die Langlebigkeit fördern und bei allen möglichen Erkrankungen helfen. Da wir in der Ernährung jedoch oft von neuen Hypes hören, sollte man etwas genauer hinschauen.

Was ist Intervallfasten

Ihren Ursprung hat diese Ernährungsform in einem einfachen Gedanken: Wenn wir den Körper fasten lassen, dann wird er auch vermehrt Körperfett und überflüssige Strukturen abbauen. Er braucht die Reserven endlich als Energiequellen und dies bewirkt natürlich dann, dass unsere Körperfett-Depots schneller schmelzen. Beim Intervallfasten wird folglich empfohlen, dass der Körper in den 24 Stunden eines Tages nur während acht Stunden Nahrung aufnimmt, die restliche Zeit man aber fastet.

Ernährung mit Beipackzettel

Zum Autor: Jürg Hösli
Jürg Hösli
zVg

Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur und Zürich.

Und es scheint zu funktionieren, denn das Internet ist voll des Lobes über diese neue Form der Ernährung. Doch halten diese oft euphorischen Berichte einem genaueren Blick stand? Nein, tun sie eben nicht. Wir haben immer mehr Menschen in unseren Praxen, welche starke körperliche und mentale Probleme haben genau aufgrund des Intervallfastens. Wenn eine Ernährungsweise für eine gewisse Menschengruppe auch Negatives mit sich bringt, dann braucht sie schlicht und einfach einen Beipackzettel.

Zwei Formen des Intervallfastens

Aber betrachten wir diese Ernährungsform einmal ein bisschen näher. Es gibt zwei Arten des Intervallfastens. Beiden ist gemeinsam, dass 16 Stunden gefastet wird. Bei der einen Gruppe wird die Essenszeit einfach zwischen Morgen und früher Abend gesetzt. Die zweite Gruppe isst von Mittag bis Abend.

Warum funktioniert es?

Intervallfasten ist bei vielen Menschen so erfolgreich, weil zu Beginn eine Änderung des Lebensstils steht. Man will endlich abnehmen und wird sich bewusst, dass der bisherige Lebensstil in eine Erkrankung, Kniebeschwerden oder Energielosigkeit führen kann. Durch den Entscheid, das Thema Gewicht endlich anzugehen, ändert sich natürlich auch der Lebensstil.

Viele bewegen sich mehr. Die Nussschokolade zwischendurch wird mit etwas schwarzer Schokolade getauscht, ebenso das Bier und der Wein gegen Wasser. Natürlich nehmen wir dann ab. Der Grund dafür ist aber nicht das Intervallfasten, sondern die Änderung des Lebensstils. Es ist derselbe Mechanismus – wie bei den vielen Stoffwechsel-Programmen der Nahrungsergänzungs-Industrie –, der hier spielt. Wir brauchen oft eine Krücke, um unser Leben zu ändern. Hier ist es das Intervallfasten.

Was sind die Folgen?

Wer abnimmt aufgrund der Änderung seines Lebensstils, dem ist grundsätzlich zu gratulieren. Doch leider gibt es viele Menschen, die nicht nur keinen Erfolg auf der Waage haben, sondern auch massive Nebenwirkungen. Diese treten vor allem dann auf, wenn wir das Frühstück generell auslassen.

Die häufigsten Nebenwirkungen sind:

  • Übermüdung am Morgen und Schlafstörung im Bereich Durchschlafen
  • Innere Unruhe, Dünnhäutigkeit bis zu depressiven Zuständen
  • Kalte Extremitäten
  • Kurzatmigkeit
  • Leistungseinbrüche vor allem beim Sport
  • Konzentrationsprobleme
  • Schnelle Stagnation der Körperfettreduktion nach acht Wochen

Natürlich treten diese Symptome zum Glück nicht bei allen auf. Aber leider viel zu oft. In der Beratung sehen wir fast ausschliesslich Probleme bei den Menschen, die diejenige Form des Intervallfastens gewählt haben, die das Frühstück auslässt. Wenn wir uns einmal den Körper als ökonomisches System betrachten, ist das auch ganz logisch. Wir starten in den Tag, erwarten vom Körper, dass er optimal funktioniert. Wir fordern den Körper, fördern ihn aber nicht mit Energie.

Was würdet ihr denn als Chef einer Firma machen? Natürlich die Leistung senken und Mitarbeiter entlassen. Genau so sehen wir es auch, wenn wir den Stoffwechsel der Fastenden anschauen. Der Sauerstofftransport im Körper wird reduziert. Zudem verringert der Körper die Kapazität der einzelnen Zellen, mit Stress umzugehen (Puffersysteme, beides gemessen über Spiroergometrie und Laktatanalyse). Somit reduzieren wir aber auch den Gesamtstoffwechsel auf Dauer. Solange wir deutlich weniger wiegen, ist dies kein Problem. Wenn aber plötzlich eine Stagnation eintritt, merken wir bald, dass es uns immer schlechter geht. Leistungsfähigkeit im Alltag kostet uns Kalorien. Das sollte uns klar sein.

Intervallfressen für Sportler – Darmproblem ahoi

Wenn Hobbysportler Intervallfasten betreiben, sollten sie ja auch ihren Kalorienbedarf decken, sonst verlieren sie besagte Leistungsfähigkeit. Nun hat ein Durchschnittsmann mit einer Stunde Sport einen Bedarf von 3000 bis 3500 Kilokalorien am Tag, eine Frau sicherlich 2500 bis 3000 Kilokalorien. Wenn ich diese nun in acht Stunden zuführen soll, überlaste ich den Darm massiv. Dieser Umstand führt die Aussage ad absurdum, dass Intervallfasten vor allem für den Darm besonders gut sein soll.

Wenn jemand am Abend zudem eine sehr grosse Mahlzeit zu sich nimmt, braucht der Darm deutlich mehr Sauerstoff und entzieht diesen dem restlichen Körper. Darum regeneriert er dann auch deutlich schlechter. Wir haben in der Praxis bei keinem einzigen Sportler einen positiven Effekt des Intervallfastens gesehen. Wenn wir danach die Ernährung optimiert haben, sind die Leistungen stets besser geworden. Wenn er sich natürlich vorher von McDonald's und Kebap ernährt hat, mag sich vielleicht das Resultat zuerst verbessern, aber auch hier geht es dann vor allem um den Lebensstil.

Was beim intermittierenden Fasten besonders bemerkenswert ist: Es passt so sehr in die heutige Zeit. Wir haben aufgrund des täglichen Stresses immer weniger Zeit und Lust zu frühstücken. Die Folge: Am Morgen ist der Körper ein Billiglohn-Arbeiter, am Abend wird er ertränkt in Völlerei. Dass dies nicht sinnvoll sein kann, haben unsere Urgrosseltern schon gewusst. Denn eigentlich haben sie eine abgeschwächte Form des Intervallfastens erfunden: Esst am Morgen wie ein Kaiser, mittags wie ein König und abends wie ein Bettler. Und dies erweist sich auch noch heute als bester Essensrhythmus.

Mehr zu «blue News»-Kolumnist Jürg Hösli finden Sie auf der Website des erpse-Instituts.

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