ErlösungsfantasieBenjamin von Wyl: «Meine Schreibe ist vielleicht atemlos, weil mich Dorf-Faschos traten»
Von Bruno Bötschi
27.10.2020
Mit 30 Jahren veröffentlicht Benjamin von Wyl bereits seinen zweiten Roman. Ein Gespräch über Hyänen, das Scheitern und seine Probleme mit den Basler Steuerbehörden.
Herr von Wyl, was für ein Verhältnis haben Sie zu Hyänen?
Lange war es geprägt vom ‹Der König der Löwen›, vielleicht der allererste Film, den ich im Kino gesehen habe. Die Hyänen sind dort irre Kichererinnen und Kicherer und dienen dem bösen Löwen. Dabei ist das ja doppelt falsch: Hyänen kichern nicht bloss, sondern kommunizieren untereinander. Und statt dass sie den Löwen dienen, sind es eher die faulen Löwen, die sich an Hyänen-Beute bereichern wollen. Nun ist mein Verhältnis zu Hyänen – denen ich im realen Leben nicht begegne – von grossem Respekt geprägt. Anders darf mein Verhältnis zu ihnen auch gar nicht sein: In Hyänen-Klans steht das ranghöchste Männchen unter dem rangniedrigsten Weibchen.
Verstehe ich so richtig: Es gibt Menschen, deren Benehmen jenen von Hyänen gleicht, aber Sie kennen keine solchen.
Hmm. Ich weiss nicht, ob es die gibt. In meinem neuen Buch geht es ja um die Hyäne als Erlösungsfantasie. Ich will jetzt nicht der Lektüre vorgreifen. Wenn Sie auf den letzten 20 Seiten spicken, ist das Ihre freie Entscheidung. Eine Hyäne würde aber nicht spicken, denke ich.
Hyänen sind schnelle Tiere, sie können bis zu 60 Stundenkilometer schnell rennen. Ist deshalb Ihre Schreibe im Buch so atemlos?
Vielleicht ist mein Schreibstil auch atemlos, weil mich in der Oberstufe Dorf-Faschos oft genug traten und schlugen, bis meine Stirn offen war und ich stundenlang hyperventiliert habe? Vielleicht liegt es an zu viel Kaffee? Es tut mir leid: Auch auf diese Frage kenn ich die Antwort nicht.
Sie haben maximal fünf Sätze zur Verfügung, um einer Ihnen unbekannten Person zu erklären, um was es in Ihrem Roman ‹Hyäne. Eine Erlösungsfantasie› geht.
Es geht um Widerstand. Den Widerstand einer Frau, der die Verhältnisse nicht erlauben, im gemächlichen Leben anzukommen. Den Widerstand einer zweiten Frau gegen das gemächliche Leben, das sie als Schein empfindet. Aber auch um den Widerstand eines gescheiterten Social-Media-Superunternehmers, der seine noch immer beträchtliche Macht nervös gegen alles und jeden wendet. Am Ende sind aber alle froh – weil der Roman als Märchen endet.
Können Bücher die Welt verändern?
Romane wohl nicht. Aber alle Bücher zusammen verändern sie. Die Bücher haben ja Beziehungen zueinander, sprechen miteinander, stehen in Verhältnissen, die weder die Wikipedia noch alle Bibliotheken der Welt aufschlüsseln können. Sie erzählen und bleiben und verändern.
Sie sind 30 und die ‹Hyäne› ist bereits Ihr zweiter Roman. Warum schreiben Sie Bücher?
Um durchzuatmen. Weil es wunderbar ist, Geschichten zu entwickeln, zu verwerfen, eine Sprache für sie zu finden, wenn man niemandem – schon gar nicht der Realität – verpflichtet ist.
Durchatmen von was? Von der harten Realität, der Sie als Polit- und Investigativjournalist und Social-Media-Kommentator begegnen?
Natürlich begegnen mir Themen im Rahmen meiner Arbeit als Journalist ebenso wie auf Social Media, die ich – wie übrigens 98 Prozent der Bevölkerung in der Schweiz – nutze. Und ja, generell finde ich, dass der Strom aus Nebensächlichem, Schrägem, Hard News und Machtpolitik die Wahrnehmung umstülpt. Das prägt auch die Art, wie ich literarisch schreibe …
Die Frage war, ob der Journalismus anstrengend ist?
Manchmal ja – insofern atme ich davon durch und schreibe so, wie ich es als Journalist nicht kann. Aber wahrscheinlich hätte ich als schreibender Tierarzt oder schreibender Versicherungssachbearbeiter genauso das Bedürfnis, durchzuatmen und einen Kontrast zu meinem Beruf zu schaffen. Der Wortwahl in Ihrer Frage entnehme ich, dass Sie den Verriss in der ‹Aargauer Zeitung›/bz Basel gelesen haben. Sonst hat mir nämlich noch niemand diese drei Berufstitel gegeben. Was halten Sie davon? Ist der Roman in Ihrem Eindruck ebenfalls ‹blutleer› und von ‹Pappkameraden› erzählt?
Blutleer? Ich sagte ja bereits, Ihre Schreibe ist atemlos – wer die ‹Hyäne› anfängt zu lesen, sollte das in absolut wachem Zustand tun.
Okay. Das freut mich, solange Sie nicht extra dafür Ritalin, Adderall oder andere Wachmacher nehmen.
Viele Menschen träumen davon, ein Buch zu publizieren. Sie haben es bereits zweimal getan. Bleibt die Frage: Wie schreibt man einen Roman?
Wie lange hält man es aus, allein in einem Zimmer zu sitzen? Darum geht es, glaube ich. Das ist nicht mein Gedanke, sondern schon oft gedacht, gesagt oder geschrieben worden: Wie viele Nächte und Tage sitzt man, plus ou moins, nüchtern vor dem Bildschirm, tippt, schreddert und hinterfragt Getipptes wieder.
Wie oft haben Sie die ‹Hyäne› geschreddert?
Keine Ahnung mehr … das geschieht rauschhaft. Zuletzt habe ich Freitagnacht 35 Seiten von einem neuen Entwurf gestrichen. Mit den fünf hinterbliebenen Seiten bin ich auch noch nicht zufrieden.
Was macht das Romanschreiben so schwierig?
Was das Romanschreiben speziell ätzend macht, ist, dass es wenig Normen und noch weniger Gründe gibt. Wer Fichtenarten bei Innsbruck wissenschaftlich untersucht, tut das, um aufzugliedern, wie Fichten bei Innsbruck gedeihen. Unabhängig davon, wie viele das interessiert: Das Schreiben hat da einen pragmatischen Zweck.
Ein Roman ist eben zwecklos. Das ist das Ätzende. Das zehrt. Vor allem am Anfang, wenn die Erzählung nicht steht und der Stil erst gefunden werden muss. Und weil es so lange geht, sich in ein wachsendes Textgeschwulst hineinzugeben, habe ich auch Respekt, dauernd Freund*innen und Bekannte zur Testlektüre zu missbrauchen. Auch aus Scham. Aber irgendwann, wenn schon zu viel Zeit im Text steckt, um es bleiben zu lassen, läuft es. Dann kenne ich die Figuren, dann kommen Ideen im Schreibtempo angeflogen, dann stehe ich morgens ohne Wecker auf und das Erste, woran ich denke, ist der Text. Dann ist die Sache auch recht atemlos. Aber bis zu diesem Zeitpunkt muss ich mich immer wieder zwingen, allein in einem Zimmer zu sitzen und zu schreiben. Irgendwann ist dieser Flow-Modus wieder durch und es geht darum, Fehler auszubeulen, den Text zu straffen, die Figuren runder zu machen. Das ist dann wieder anstrengend. Warum das alles? Die Fichtenforschung erscheint mir naheliegender.
An was haben Sie heute Morgen als Erstes gedacht?
Habe ich Rückenschmerzen oder nicht? Die Frage konnte ich nach einigen Dutzend Sekunden mit Nein beantworten. Ausserhalb von Text-Hochphasen bin ich vor der ersten Kanne Espresso unbrauchbar.
Warum schreiben Sie?
Sie haben mich das schon in Bezug auf Romane gefragt. Dann nun also generell, hm … also Schreiben ist eigentlich eine sehr primitive Form des Codens. Es unterscheidet sich vom mündlichen Sprechen darin, dass die Symbole Bestand haben und nicht flüchtig sind. Weil man Geschriebenes also in Ruhe anschauen und anpassen kann, kann man im Geschriebenen Möglichkeiten, Verbindungen, Assoziationen auch dann noch ausloten, wenn sie den Kopf bereits verlassen haben. Aber das bezieht sich nun auf alles Schreiben, also auch auf Briefe an die Gemeindeverwaltung.
Warum haben Sie zuletzt der Gemeindeverwaltung einen Brief geschrieben?
Uiuiui … Das wird nun sehr intim. Das war eine Einsprache zu meiner Steuerveranlagung. Aber wenn ich das nun so stehen lasse, malt man sich alles Verruchte aus, oder?
Steuern zahlen soll verrucht sein. Jesses, Ihre Fantasie möchte ich haben …
Nein, nein. Einsprachen gegen die Steuerveranlagung gelten aber vielleicht als verrucht? Aber wenn Sie nicht nachfragen, dann lassen wir es und Sie erfahren nichts über meine Verhältnisse als freischaffender Journalist und Autor – ohne hinterzogenes Luxusauto, nur schon mangels Führerschein! Und ohne akustische Privatsphäre, weil die Schiebetür meines WG-Zimmers zwei Zentimeter über dem Boden hängt!
Sie wollen also mehr über Ihr verruchtes Privatleben erzählen und was das mit den Steuerbehörden zu tun. Okay, ich höre.
In Basel bin ich Einwohner, in Zürich bin ich – einzig, weil mein Büro dort ist – selbstständig, also eine Einzelfirma. Das ging kürzlich auf einem Finanzamt vergessen. Leider gar nicht verrucht, aber weil das Private ja politisch ist und ich mich schon ab und an als Teil eines Freelancer-Proletariats fühle: Als Selbstständiger war ich im Frühjahr schockiert, als durch die Pandemie offenbar wurde, wie prekär so, so viele Selbstständige leben. Und dass genau die Prekärsten bei den schweizweiten Entschädigungen durch die Maschen gefallen sind, war ein Skandal. Schon vor der Pandemie war bekannt, wie viele Selbstständige auf Armut im Alter zusteuern. Hoffentlich bleibt das Thema nun im öffentlichen Bewusstsein.
Ich bin sicher, als Journalist, der regelmässig in der WOZ schreibt, werden Sie dafür besorgt sein, dass das Thema nicht so schnell vergessen geht.
Ich bin sicher, dass in der WOZ alle darum besorgt sind und ich weiss, dass Sie ein WOZ-Abo haben. Aber das gilt ja nicht für alle, die ‹blue News› lesen.
Bevor Sie sich in noch mehr Eigenwerbung suhlen, beenden wir dieses Interview mit zwei letzten Fragen: Welches Buch lesen Sie gerade?
Ich wollte damit doch Werbung für Ihre Zeitungsvorlieben machen! Gerade lese ich ziemlich viele Bücher parallel: von Elisa Shua Dusapin ‹Ein Winter in Sokcho›, von Anna Stern ‹das alles hier, jetzt› und ‹Inneres Lind› von Tom Combo. Alle diese Bücher tragen mich weit weg von den täglichen Positivitätsraten und Hospitalisierungen. Momentan kaufe ich in Massen Bücher. Der Stapel wächst und wächst.
Welche Bücher haben Sie zweimal oder mehr gelesen?
Als Kind wohl die Bibel, eine Nelson-Mandela-Biografie und die ersten vier Harry-Potter-Bände. Weil es ein Alter gab, in dem ich nicht oft genug dieselben Geschichten lesend miterleben konnte. Dann habe ich zum Glück mit so 14, 15 ‹Der Mythos des Sisyphos› von Albert Camus und ‹Alle Menschen sind sterblich› von Simone de Beauvoir oft genug gelesen, um mir die Bibel für den Rest des Lebens auszutreiben. Die späteren Harry-Potter-Bände habe ich aber auch danach noch gelesen, wenn auch bloss noch je einmal.
Das Ping-Pong mit Schriftsteller Benjamin von Wyl wurde schriftlich geführt.