Geschichte eines HochstaplersBenjamin Quaderer, ist Majestätsbeleidigung in Liechtenstein strafbar?
Von Bruno Bötschi
24.10.2020
Benjamin Quaderer, 31, erzählt im Roman «Für immer die Alpen» von einem Hochstapler, der Liechtenstein zum Zittern brachte. Im Interview gibt er Einblicke in die liechtensteinische Volksseele, erzählt vom Fürsten und verrät, warum es keine Witze über sein Heimatland gibt.
Soweit ich weiss, stehen die Grenzen für mich immer noch offen. Zumindest war das vor ein paar Wochen noch so, da war ich für eine Lesung in Liechtenstein und die Einreise hat mir keine Probleme bereitet. Allerdings hat auch niemand nach meinen Papieren verlangt. Ich hoffe, das war kein Versehen.
Sie schreiben nicht nur nett über die Fürstenfamilie. Ist im Ländle Majestätsbeleidigung eigentlich als Straftatbestand definiert?
Das weiss ich nicht. Ich bin ja nur Staatsbürger und nicht Strafgesetzbuch. Aber ich finde eigentlich nicht, dass sich durch das Buch eine Majestät beleidigt fühlen muss. So drastisch geht es im Text dann doch nicht zu.
Sie sind in Liechtenstein aufgewachsen. Kennen Sie ein Mitglied der Fürstenfamilie persönlich?
Einmal im Jahr werden alle 18-Jährigen, die in Liechtenstein wohnen und die Staatsbürgerschaft besitzen, zur Feier ihrer Volljährigkeit von einem Reisebus in ihrer Heimatgemeinde abgeholt und vor Schloss Vaduz wieder abgeladen. Dann bildet sich eine lange Schlange und jede und jeder der Volljährigen wird von Fürst und Fürstin mit Handschlag begrüsst, während ein Fotograf ein Erinnerungsfoto schiesst, das später per Post an den jeweiligen Volljährigen verschickt wird. Danach wird ein Apéro offeriert. Als ich 18 war, habe ich an diesem Event teilgenommen. Zählt das als persönlich kennen?
Nicht, dass ich mich erinnern könnte. Aber ich war auch schon lange nicht mehr in Vaduz im Ausgang.
Sie erzählen in Ihrem Roman die Geschichte von Johann Kaiser, einem Datendieb, der sich als Hilti-Spross ausgibt, in Südamerika in einem Folterkeller landet und sich schliesslich an seiner Heimat Liechtenstein rächt. Inspiriert hat Sie der Fall Heinrich Kieber, der mit dem Verkauf von Kundendaten zur Aufdeckung einer Steueraffäre beitrug.
Zunächst ist es mir wichtig zu betonen, dass der Roman nicht so funktioniert, dass überall, wo «Johann Kaiser» steht, einfach «Heinrich Kieber» eingetragen werden könnte. Die beiden Figuren stehen fraglos in einem gewissen Verhältnis zueinander, in einigen Punkten sind sie sich ähnlich, in den meisten aber sind sie weit voneinander entfernt. Der Eine ist also nicht gleich der Andere.
Wie kamen Sie auf Kieber?
Auf Kieber gestossen bin ich, weil es nicht anders ging. Jeder und jede, der oder die in Liechtenstein wohnt, weiss, wer Heinrich Kieber ist. Es war am 14. Februar 2008, Valentinstag und Geburtstag von Fürst Hans-Adam II., als Klaus Zumwinkel, damaliger Chef der deutschen Post, live im Frühstücksfernsehen von Steuerfahndern abgeführt worden ist. Im Laufe des Tages stellte sich heraus, dass ein ehemaliger Mitarbeiter der Liechtensteiner Bank LGT, der Bank, die dem Fürstenhaus gehört, Kundendaten geklaut und dem Bundesnachrichtendienst verkauft haben soll.
Dieser Mann war Heinrich Kieber.
Ich war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt und gerade dabei, Liechtenstein in Richtung Wien zu verlassen, um dort zu studieren. Seitdem begleitet mich diese Figur. Wie viel aber eigentlich in dieser Geschichte steckt – dass die Figur dieses Datendiebs zum Beispiel mit so vielen Milieus verstrickt ist, die für Liechtenstein typisch sind, dass sich darüber nicht nur eine aussergewöhnliche Biografie, sondern vielleicht sogar ein ganzer Kleinstaat erzählen lässt –, ist mir erst viel später klar geworden.
Von welchen Milieus reden Sie?
Das fängt beim Fürstenhaus an, geht über die Politik und den Finanzplatz bis hinein ins einzige Kinderheim des Landes, zu den Stammtischen, Turnvereinen und freiwilligen Feuerwehren. Nahezu jede Person, mit der ich mich über Heinrich Kieber unterhalten habe, schien eine Geschichte mit ihm zu haben.
Ihr Roman ist zwar Fiktion. Viele Details, etwa die Tiefgarage, die direkt zum Finanzinstitut führt, sind aber real. Und Vaduz ist zudem stark untertunnelt. Details, wie mir scheint, die dafür sorgen, dass das Ländle viel Thriller-Potenzial hat.
Liechtenstein ist für einen Thriller ein sehr dankbarer Ort. Erstens, weil die meisten Menschen nicht so wahnsinnig viel darüber wissen – woher auch? Zweitens, weil das Land so klein ist, dass es sich gut überblicken und damit erzählen lässt. Drittens, aufgrund seines Settings: ein winziges Land in den Alpen, das von einem Fürsten regiert wird, der in einem Schloss wohnt, das auf einem Felsvorsprung liegt. Viertens, und das ist wahrscheinlich das, was das Thriller-Potenzial ausmacht, sind in Liechtenstein bis zum Auftauchen Heinrich Kiebers Finanzströme aus aller Welt zusammengeflossen, die ihren Ursprung nicht immer in sauberen Geschäften hatten. Das alles führt zu einer seltsamen Konstellation, einer Mischung aus Märchen und Finanzkapitalismus, die mich sehr interessiert hat.
Hat sich Ihr Verhältnis zu Liechtenstein, also zu Land, Fürstenhaus und Leuten, zum Guten oder zum Schlechten verändert während der fünfjährigen Recherche für Ihren Roman?
Das Verhältnis zum Land hat sich sicher verändert, das hat aber nicht allein mit der Arbeit am Roman zu tun, sondern auch damit, dass es immer mehr Zeit wird, dass ich nicht mehr in Liechtenstein lebe. Ob die Veränderung zu einem besseren oder schlechteren Verhältnis geführt hat, kann ich nicht sagen. Ich glaube: weder noch. Aus der Distanz sieht man vieles etwas anders, einiges klarer, andere Sachen kriegt man nicht mehr mit. Die Perspektive wird schärfer und unschärfer zugleich. Liechtenstein ist aber, und das wird es immer bleiben, das Land, in dem ich aufgewachsen bin und in dem meine Familie lebt. Ich kehre immer wieder gern dorthin zurück.
Sie sind vor zwölf Jahren aus Liechtenstein weggezogen, um in Wien zu studieren. Nun leben sie seit 2014 In Berlin. Wie sind die Reaktionen, wenn Sie dort jemandem erzählen: ‹Ich bin Liechtensteiner.›
Es ist fast immer dieselbe Reaktion. ‹Was›, sagen die Leute, ‹ich habe noch nie jemanden aus Liechtenstein getroffen.› Ich lächele dann und antworte: ‹Es gibt auch nicht so besonders viele.› Dann nimmt das Gespräch seinen Lauf.
Einen Lauf nahm auch das Gespräch, als ich kürzlich mit einigen Schweizer Freundinnen und Freunden über Liechtenstein sprach. Sie haben mir folgende Fragen an Sie mitgegeben: Warum wird Liechtenstein Ländle genannt?
Puh, keine Ahnung. Vielleicht, weil es so klein ist?
Wie ist die Existenz von Fürstentümern und Aristokratien im 21. Jahrhundert überhaupt noch zu rechtfertigen?
Das frage ich mich auch hin und wieder.
Wirtschaftlich ist Liechtenstein auf die Schweiz ausgerichtet, politisch jedoch auf Österreich: Warum?
Ich hoffe, ich erzähle jetzt keinen Blödsinn, aber ich erinnere mich an Folgendes: Bevor die Fürstenfamilie sich in Liechtenstein niedergelassen hat, zwischen den Weltkriegen war das, wurde der Kleinstaat von Wien aus regiert. Das erklärt die enge Bindung an Österreich. Ein Grossteil des Liechtensteiner Rechts zum Beispiel ist aus Österreich übernommen. Der Zerfall der Donaumonarchie war dann aber verständlicherweise ein Problem. Man brauchte einen neuen wirtschaftlichen Partner. Und den fand man in der Schweiz.
EWR-Beitritt je bereut?
Ich persönlich nicht.
Darf sich der FC Vaduz Schweizer Meister nennen, sollte das Team dereinst den ersten Rang in der Super League belegen?
So wie ich das verstanden habe, kann der FC Vaduz zwar den ersten Platz in der Super League belegen (Hopp Vadoz!), Schweizer Meister werden darf er aber nicht, das wäre dann in diesem Fall der Verein auf Platz zwei. Bei Bedarf kann ich aber einmal meinen Onkel fragen, der ist Präsident des Liechtensteinischen Fussballverbands.
Worauf muss ich besonders achten, wenn ich von einer liechtensteinischen Familie zum Weihnachtsessen eingeladen würde?
Nicht zu erkennen zu geben, dass Sie Schweizer sind.
Der beste Liechtensteiner-Witz?
Gibt leider keinen. Dafür ist das Land zu klein.
Das Ping-Pong mit Schriftsteller Benjamin Quaderer wurde schriftlich geführt.
Bibliografie: «Für immer die Alpen», Benjamin Quaderer, Luchterhand, 592 Seiten, 30.90 Franken