Kolumne am MittagQuarantäne-Konzert: Gianna Nannini singt daheim für Italien
Von Carlotta Henggeler
18.3.2020
Die Italienerinnen und Italiener stemmen sich mit Balkon-Konzerten gegen die Quarantäne-Tristesse, Rockstar Gianna Nannini hat sogar ein Stube-Konzert gestreamt – ma certo, die Italiener waren schon immer Chaos-Kreative.
«Das Schlimmste an diesem Virus ist die Einsamkeit. Ich bin in Mailand und möchte online akustische Rock-Serenaden organisieren, damit wir uns alle in Sicherheit näherkommen können», postete Gianna Nannini via Instagram.
Sie appellierte zudem, sich an die Gesundheitsmassnahmen zu halten, und: «Wir werden alles Mögliche tun, um gemeinsam diesen fürchterlichen Moment zu überwinden. Der Mensch muss wieder bei seiner Schwäche und Zerbrechlichkeit starten, um Neues und Vergessenes zu entdecken. Ohne sich dabei von der Angst ergreifen zu lassen.»
Kurzerhand rockte La Nannini aus ihrer Mailänder Quarantäne heraus – gratis und per Stream.
Openair-Konzerte sind seit Tagen von Mailand bis Sizilien angesagt und werden in den Sozialen Netzwerken gepostet. Mit den Hashtags #andratuttobene (es wird alles gut gehen) und #celafaremo (wir werden es schaffen).
Am liebsten würde ich auch mitmachen, aber bei uns sind Solidaritätskonzerte gegen die Corona-Vereinsamung (noch) kein Thema.
Ganz anders in Italien: Gianna Nanninis verzweifelter Konzert-Kampf gegen das Virus, das ganz Italien zu erwürgen droht, ist symptomatisch dafür, wie Italiener mit Krisen umgehen: Man ist kreativ mitten im Grande Chaos. So ein bisschen wie in Berlin – arm, aber sexy. Allerdings gilt dieser Spruch (leider) für ganz Bella Italia. Improvisieren gehört zum Alltag.
Singen für die Seele
Funktioniert die Bord-Anzeige im Bus mal wieder nicht? Der Chauffeur schreibt die Busnummer samt Endstation einfach per Papier und Filzstift auf. Ecco fatto! Meist ohne sich die Laune vermiesen zu lassen. Warum auch? Das Leben geht weiter, die Sonne scheint. Courant normal.
Schliesslich kämpft la Nazione seit Jahren mit einer Regierung, die so stabil ist wie ein frischzubereiteter Zabaglione – ein zauberhaft leichtes Eier-Dessert –, so zart wie unstabil.
Apropos Zabaglione, wer in Italien gelebt hat, der weiss, nichts ist dort so wichtig wie Essen, Fussball gucken, nonstop über Fussball reden, übers TV-Programm reden, mit La Famiglia Fernsehen, politisieren, sich über die Politikerinnen und Politiker aufregen – und singen.
Keine Party, kein Abendessen unter Freunden, kein Ausflug, an dem nicht heiter gesungen wird. Lucio Dalla, Francesco DeGregori, Claudio Baglioni, Gianna Nannini, Nek oder Eros Ramazzotti: Natürlich immer alles lauthals! Denn man weiss, singen tut der Seele gut (den Ohren nicht immer).
Schulausflüge eigenen sich besonders gut zum Singen. Ein Car voller Schülerinnen und Schüler, Lehrer, Aushilfslehrer und Buschauffeur klingt fast schon wie im Stadion.
Fröhlichkeit ist ansteckend
«Bella ciao», «Viva l' Italia» oder «Un estate italiana» – je mehr Balkon-Sing-Mobs ich schaue, desto bessere Laune bekomme ich. Liegt es an meinen italienischen Genen? Vielleicht.
Und wenn mir im Küchen-Office meine Gspändli zu sehr fehlen – und das tun sie sehr, dann zwickt es mich. Würde am liebsten den Spaghetti-Topf samt Kelle packen und auf meinem Gartensitzplatz mitten in Zürich-Altstetten meinen eigenen Italo-Musik-Mob starten. «Azzurro, il pomeriggio è tutto azzurooooooo!!!!!!»
Ich hätte bestimmt gute Laune, und den Kids im Quartier würde es wohl auch gefallen. Aber meinen Nachbarn?
Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr bei «Bluewin» die Kolumne am Mittag – es dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.
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