Anna Rosenwasser über Männergewalt «An solchen Abenden lasse ich im Tram die Hand meiner Freundin los»

Bruno Bötschi

12.7.2024

«Ich rede explizit nicht nur von einem Bierchen – deshalb schreibe ich auch in meinem Post bewusst von Alkoholmissbrauch»: Anna Rosenwasser.
«Ich rede explizit nicht nur von einem Bierchen – deshalb schreibe ich auch in meinem Post bewusst von Alkoholmissbrauch»: Anna Rosenwasser.
Bild: Jane Barlow/PA Wire/dpa

Anna Rosenwasser, SP-Nationalrätin und bekannte Stimme der LGBTQ+-Community, spricht über die Unterschiede zwischen Fussballspielen und den Taylor-Swift-Konzerten im Stadion Letzigrund in Zürich. Ein Interview.

Bruno Bötschi

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Anna Rosenwasser setzte sich diese Woche auf Instagram mit Grossveranstaltungen im Stadion Letzigrund in Zürich auseinander.
  • Die SP-Nationalrätin und queere Aktivistin überlegt, warum Veranstaltungen mit einer weiblichen Mehrheit friedlicher verlaufen und was getan werden könnte, um bei Grossevents mehr Sicherheit zu gewährleisten.
  • «So normal es ist, dass alkoholisierte Männer ein Quartier unsicher machen, so normal ist es, jegliche Leidenschaften von jungen Frauen zu belächeln – also egal, ob es dabei um die Musik von Taylor Swift oder die Liebe zu Pferden geht», sagt Rosenwasser im Interview mit blue News.

Anna Rosenwasser, Sie haben diese Woche folgenden Text auf Instagram gepostet: «Grossalass im Letzi mit Männermehrheit: Gwalt, Alkoholmissbruch, s ganze Quartier unchillig. Grossalass im Letzi mit Frauemehrheit: ales blibt friedlich, Lüt hät cuti Outifts a. Ratet mal, über wele Alaas me sich meh lustig macht.» Ich nehme an, bei Ihrem Post geht es um die Konzerte von AC/DC und Taylor Swift, die kürzlich im Stadion Letzigrund in Zürich stattfanden. Stimmt’s?

Ja und nein.

Sondern?

Ich habe meinen Post abgesetzt, nachdem ich in der Zeitung gelesen habe, wie viel weniger Alkohol vom Publikum während der Konzerte von Taylor Swift im Vergleich zu anderen Konzerten und Fussballspielen getrunken wird.

Waren Sie bei den Konzerten von Taylor Swift und AC/DC vor Ort?

Das zweite Konzert von Taylor Swift habe ich teilweise von ausserhalb vom Stadion beobachten können. Ich habe verfolgt, wie die Menschen danach das «Letzi» verliessen. Ich kenne das Quartier um das Fussballstadion auch sonst gut, weil ich längere Zeit dort gewohnt habe.

Sie wissen also, wie es dort vor, während und nach Veranstaltungen zu- und hergehen kann?

So ist es. Als Zürcherin bin ich nach wie vor regelmässig im Quartier Altstetten unterwegs, auch weil Freundinnen und Freunde von mir dort wohnen. Ich gehe zudem regelmässig dort in den Sport.

Was wollten Sie mit Ihrem Post auf Instagram konkret aussagen?

Ich wollte damit auf Veranstaltungen hinweisen, die mehrheitlich von stark betrunkenen Männern besucht werden. Und ich rede explizit nicht nur von einem Bierchen – deshalb schreibe ich auch in meinem Post bewusst von Alkoholmissbrauch. Solche Anlässe haben ungute Auswirkungen auf das Sicherheitsempfinden von minorisierten Menschen – also für Frauen genauso wie für queere Personen.

Sprechen Sie aus eigener Erfahrung?

Durchaus. Ich erinnere mich noch gut daran, als ich noch neben dem Letzigrund-Stadion wohnte, wie ich an solchen Abenden im Tram sicherheitshalber die Hand meiner Freundin losgelassen habe.

Sind es diese betrunkenen Männer, die jetzt auch die Swifties belächelt haben?

Das ist das zweite Thema meines Instagram-Posts. So normal es ist, dass alkoholisierte Männer ein Quartier unsicher machen, so normal ist es, jegliche Leidenschaften von jungen Frauen zu belächeln – also egal, ob es dabei um die Musik von Taylor Swift oder die Liebe zu Pferden geht.

Was denken Sie, was ist nötig, damit alle Grossveranstaltungen im Letzigrund so chillig ablaufen wie die zwei Konzerte von Taylor Swift?

Die Antwort auf diese Frage ist komplex. Ich frage mich einfach: Wie kann es passieren, dass ein Konzert von Taylor Swift mit 50'000 mehrheitlich weiblichen Fans im «Letzi» grossmehrheitlich friedlich abläuft, derweil, wenn bei Konzerten oder Fussballspielen die Männer in der Mehrheit sind, viel mehr Gewalt im Spiel ist?

Könnte ein Alkoholverbot im Stadion Letzigrund eine Lösung sein?

Das Thema ist viel zu gross, als dass reine Verbote die Lösung sein können.

Demnach ist Alkohol nicht der alleinige Sündenbock?

Natürlich spreche ich mich immer dafür aus, dass unsere Gesellschaft ein gesünderes Verhältnis zur Droge Alkohol bekommen sollte. Das würde sicher zur Lösung des Problems beitragen. Der zu hohe Alkoholkonsum ist ein Problem, das durch alle Schichten unserer Gesellschaft geht.

Vielleicht sollten sich die Veranstalter ein Beispiel an den Werten im Rugby-Sport nehmen?

Ich kenne die Werte vom Rugby-Sport nicht gut. Hat diese Sportart eine friedlichere Fangemeinde? Oder wie meinen Sie das?

Viele Spieler*innen haben sich gerade wegen der Wertekultur von gegenseitiger Akzeptanz und Vielfalt im Rugby für diesen Teamsport entschieden.

Dazu kann ich nur sagen: Ich wünschte mir, dass Fangemeinden sich grundsätzlich mehr mit Fairness und Solidarität auseinandersetzen würden. Und das nicht zuletzt deshalb, wenn es um Veranstaltungen geht, die von vielen Menschen besucht werden.

Wollen Sie das Thema weiterverfolgen oder allenfalls einen politischen Vorstoss dazu einreichen?

Mein Post auf Instagram war ein kurzer Kommentar. Für einen politischen Vorstoss müsse ich mich vertiefter mit dem Thema auseinandersetzen und auch mit Fachleuten darüber reden.

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