Neue Corona-Einschränkungen«Es gibt massiv mehr Leute, die sich ins Elend saufen»
Von Tobias Bühlmann
14.1.2021
Wieder wird das öffentliche Leben stillstehen. Darum müssen wir gut auf uns aufpassen, sagt eine Psychologin – und hat einen Kniff, wie man sich vor einer Abwärtsspirale retten kann.
Frau Frossard, die Corona-Massnahmen dauern nun schon Monate. Wie haben sie sich bisher auf die Schweizerinnen und Schweizer ausgewirkt?
Das ist sehr wechselhaft gewesen. Im März war die Situation neu, da gab es enorm viel Unterstützung und Solidarität für Menschen, denen es nicht gut geht. Mit der Zeit wurde es aber immer schwieriger. Ich denke, dass es inzwischen sehr viele gibt, die unter der Situation leiden. Nun gibt es auch eine erhebliche Zahl von Menschen, die derart stark unter der Pandemie-Situation leiden, dass sie psychisch krank werden oder sich bestehende Krankheiten verstärken.
Neu gilt wieder eine Homeoffice-Pflicht, und Treffen von Menschen werden weiter eingeschränkt. Was wird das mit Menschen machen, die schon jetzt mit der Situation kämpfen?
Zur Person
zVg
Jacqueline Frossard ist Psychologin und Juristin. Sie ist sitzt im Vorstand der Föderation der Schweizer Psychologinnen und Psychologen.
Ich denke, dass das die Probleme verstärken wird. Vor allem bei jenen, die es nicht geschafft haben, sich alternative Wege für soziale Kontakte aufzubauen. Abgesehen davon, dass Videokonferenzen und Telefonate sowieso kein vollwertiger Ersatz sind. Aber auch wer neue Wege gefunden hat, für den wird es langsam hart.
Trifft es bestimmte Gruppen härter als andere?
Für Kinder, Jugendliche und junge Menschen ist die Situation besonders schwierig. Jede Generation hat ihre Aufgabe. Die der Jungen ist es, sich im Leben zu etablieren. Da findet man heraus, wer man ist, mit wem man sich umgeben will, was man machen will. Sammelt ganz viel Lebenserfahrung im Gebiet der Beziehungen für die Zukunft. Und das geht nur, indem man sich mit anderen trifft und sich mit ihnen auseinandersetzt. Und auch mal auf die Nase fällt. Zum Glück werden immerhin die Schulen nicht geschlossen.
Was raten Sie Menschen, denen es angesichts der weiteren Isolation den Hals zuschnürt?
Wenn sie belastende Symptome entwickeln, gibt es im Internet einige Tools, mit denen man abschätzen kann, ob man sich Hilfe suchen soll. Doch leider ist das schwierig: In Teilen der Schweiz fehlt es an Therapieplätzen und die Finanzierung von Online-Therapie ist nicht geregelt.
Diese Probleme bestanden doch schon im Frühling?
Hilfe für Betroffene
Auf dem Portal dureschnuufe.ch finden sich Angebote und Tipps, wie sich in der Corona-Pandemie die eigene psychische Gesundheit pflegen lässt.
Ja, und nun werden sie sich noch verstärken, und die Folgen der Pandemie und die Massnahmen dagegen lassen sich immer noch nicht abschätzen. Ein weiteres wichtiges Thema ist übrigens der Alkohol: Es gibt massiv mehr Leute, sie sich auf gut Deutsch ins Elend saufen. Wer schon vorher ein Problem mit dem Alkoholkonsum hatte, bei dem akzentuiert sich das nun, wenn das soziale Netz und auch die Kontrolle wegfällt. Und wer solche Probleme hat, der sucht sich selber keine Hilfe. Hat man Freunde oder Bekannte mit einem problematischen Konsum, muss man sich jetzt um sie kümmern. Sonst könnten sie einfach alleine zu Hause sterben.
Wir sind mitten im Winter, draussen ist es kalt und dunkel, bis zu allfälligen Lockerungen kann es lange dauern. Was kann man tun, um den Mut nicht zu verlieren?
Versuchen Sie auf das eigene Denken einzuwirken, wenn sich Ihre Gedanken im Kreis zu drehen beginnen. Fokussieren Sie darauf, was Sie tun können, nicht darauf, was nun unmöglich ist. Und machen Sie sich eine Liste, wenn es Ihnen gut geht. Darauf kommen Dinge, die man schon lange tun wollte: Fotos ordnen, in der Wohnung etwas ausbessern oder so. Geht es Ihnen dann schlecht, greifen Sie zu der Liste und erledigen was davon – das gibt ein gutes Gefühl und Befriedigung. Oder probieren Sie Neues aus, seien Sie kreativ, machen Sie sich auf die Suche nach neuen Unternehmungen. Und gehen Sie raus an die Sonne, wann immer es möglich ist, bewegen Sie sich an der frischen Luft. Oder trainieren Sie zu Hause vor dem Fernsehen. Aber überfordern Sie sich nicht, damit Sie sich nicht frustrieren.
Was tun Sie, wenn die derzeitige Lage einfach zu viel wird?
Ich koche mehr, bin kreativer geworden. Aber mit meinen 62 Jahren bin ich auch kein junger Mensch mehr, der sich sein Leben aufbauen muss. Und ganz wichtig zu erwähnen: Mich plagen keine Existenzängste, ich bin fest angestellt, meine Zukunft ist gesichert. Da fällt eine erhebliche Belastung weg.
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