Ein Rennen für die Formel-1-Geschichtsbücher und -Rückblicke: Dramen, Crashs, Rote Flaggen. Und Max Verstappen dominiert. Er beeindruckt selbst die Kritiker im Land des WM-Herausforderers.
Nach der Triumphfahrt mit dem Zeug für Legenden-Erzählungen genoss Max Verstappen die klebrige Sekt- und Energy-Drink-Dusche. Keine Flüche, kein Wüten wie noch wenige Stunden zuvor. Der Sieg auf dem so geschichtsträchtigen Formel-1-Kurs in São Paulo und in einem Rennen, das seinesgleichen sucht, wirkte wie ein Turbo-Frust-Katalysator und liess auch sein allerengstes Umfeld des Vertrauens nicht unberührt.
Freundin Kelly Piquet, die Tochter des brasilianischen Ex-Champions Nelson Piquet, blickte im Autódromo José Carlos Pace schwer ergriffen nach oben zum Siegerpodest. Bei Vater Jos Verstappen herrschte nach dem Regen-, Unfall- und Unterbrechungschaos von Interlagos einfach nur purer Stolz und extreme Genugtuung: «Die ganze Welt hat gesehen, wer der Allerbeste ist.» Nämlich Max Verstappen.
Grand-Prix-Sieg Nummer 62 in der Karriere des 27-jährigen Niederländers war nicht irgendein Sieg. Es war eine Demonstration des Ausnahmekönners in einer höchst entscheidenden Phase der WM. 17 Mal fuhr Verstappen allein die schnellste Rennrunde, knapp 20 Sekunden betrug sein Vorsprung auf den Überraschungs-Zweiten Esteban Ocon aus Frankreich im Alpine.
«Das war pures Talent, pure Magie unter extremen Bedingungen», schrieb die spanische Sportzeitung «As» und forderte: «Gebt ihm jetzt den (WM-)Pokal.»
Vierter Titel ganz nahe
Der GP von Brasilien hat alles auf den Kopf gestellt. Herausforderer Lando Norris wurde die Wende im WM-Rennen immer noch zugetraut, nachdem Norris am Samstag im Sprintrennen der Sieg geschenkt worden war und Verstappen fürs Hauptrennen nur der 17. Startplatz blieb. Aber Max Verstappen vergrösserte mit seiner «Wunderfahrt» am Sonntag den Vorsprung von 44 auf 62 Punkte. Die Vorentscheidung? «Der dreifache Champion hat nun eine Hand und vier Finger am vierten Titel», schrieb die brasilianische Sportzeitung «Lance».
In Las Vegas in drei Wochen braucht Verstappen nach dem Rennen noch 60 Punkte mehr als Lando Norris, dann ist der 24 Jahre Brite geschlagen und Verstappen mit Red Bull zum vierten Mal hintereinander Weltmeister. «Es war natürlich unglaublich wichtig, denn letztlich bin ich davon ausgegangen, dass ich Punkte verliere», erklärte Verstappen nach seinem Sieg. An eine vorzeitige WM-Entscheidung in Las Vegas denke er aber nicht: «Ich will nur saubere Rennen fahren.» Zuletzt in Mexiko (zweimal) und in Brasilien im Sprintrennen wurde Verstappen für heikle Manöver dreimal bestraft. Das Verhältnis zu den Rennkommissären bleibt angespannt.
Die permanente Kritik an seiner kompromisslos-konsequenten Fahrweise sporne den Weltmeister aber nur zusätzlich an, sagt Vater Jos Verstappen: «Sie meinen, dass sie ihn aus seiner guten Laune holen... Aber er wird dadurch nur besser!»
Lob auch aus Grossbritannien
Max Verstappen lieferte auf jeden Fall Fakten für die Worte des Vaters. Nach vier sieglosen Monaten liegt ihm bereits wieder die Welt zu Füssen. Sogar in Grossbritannien, dem Land seiner grössten Kritiker, schreiben der «Guardian» und die «Daily Mail» von einer «Wunderfahrt». Verstappen habe die Elemente besiegt. Erst zum fünften Mal in 1121 Formel-1-Rennen triumphierte ein Fahrer vom 17. Startplatz (oder von noch weiter hinten) aus.
Und Lando Norris, der grosse Konkurrent von Max Verstappen? Für Norris war Verstappens Sieg «eigentlich vor allem Glück». Derweil im Rennen viel gegen Norris gelaufen war, bekundete Verstappen tatsächlich auch Glück – beispielsweise, als er während einer der vielen Unterbrechungen die Reifen wechseln lassen konnte, ohne auch nur eine Sekunde Zeit zu verlieren. Danach fragt aber schon bald niemand mehr: «Wir sind ruhig geblieben. Und wir sind geflogen!», sagt Verstappen. Und der Sieger hat immer Recht.