Zombie-Plakat gegen «Ehe für alle»«Für die politische Werbung gelten maximale Freiheiten»
Von Gil Bieler
29.6.2021
Ein Zombie-Plakat gibt zu reden. Weniger um die «Ehe für alle», um die es eigentlich gehen sollte, sondern um die Frage: Was ist in der politischen Werbung erlaubt? Die Antwort: Erstaunlich viel.
Von Gil Bieler
29.06.2021, 15:02
29.06.2022, 15:59
Gil Bieler
Was haben Zombies mit der «Ehe für alle» zu tun? Das erschliesst sich nicht einmal allen Gegner*innen der Abstimmungsvorlage. EDU-Politiker Hans Egli etwa kämpft ebenfalls für ein Nein am 26. September, findet aber: Das mittlerweile schweizweit bekannte Plakatsujet lasse die Gegner der Vorlage als unseriös erscheinen, wie er bei «Top Online» beklagt .
Und selbst SVP-Politiker Anian Liebrand, Koordinator des Komitees «Nein zur Ehe für alle», zeigt sich bei «20 Minuten» verwirrt, «was hier genau die Botschaft ist».
Das Plakat mit dem Slogan «Kinder mit einem Toten», daneben ein gruseliges Gesicht, fällt mit seiner grellen Aufmachung aus dem Rahmen des hiesigen Abstimmungskampfes. Es stammt von einem Westschweizer Nein-Komitee und hat eines zweifellos erreicht: Es gibt zu reden. Seit Tagen. Auch darüber, was in der politischen Werbung in der Schweiz erlaubt ist.
Ziemlich viel, lautet die Antwort. Staatliche Verbote und Vorgaben gibt es nur wenige. Dazu gehören: Das Verbot von politischer Werbung am Fernsehen und im Radio, in den übrigen Medien ist sie dagegen erlaubt. Auch am Strassenrand ist Werbung grundsätzlich erlaubt, wenn die Verkehrsteilnehmer*innen nicht abgelenkt werden – an Autobahnen dagegen gilt ein Verbot.
Die meisten übrigen Fragen fallen in die Kompetenz der Kantone und Gemeinden, die etwa über Bewilligungen für Standaktionen entscheiden. So lässt die Stadt Genf das Zombie-Plakat auf ihrem Gebiet nicht zu.
Nicht nur betreffend der Form, auch inhaltlich ist der gesetzliche Rahmen bewusst weit gefasst. «Die politische Auseinandersetzung lebt von Übertreibungen, einseitigen Darstellungen oder Halbwahrheiten», hält der Staatsrechtsexperte Andreas Kley in einem Aufsatz zum Thema fest, in dem er die Rechtsprechung des Bundesgerichts beleuchtet.
Politische Äusserungen seien durch das Recht auf Meinungsfreiheit und die Medienfreiheit gedeckt. Die Argumentation dürfe auch «auf Schlagworte verkürzt» werden, die «in Form von Übertreibungen, Polemiken und unerfüllbaren Versprechungen an die Stimmberechtigten gebracht werden», schreibt Kley. Den Stimmbürgerinnen und -bürgern werde zugetraut, solche Manipulationsversuche zu durchschauen und vernünftig zu entscheiden.
«Maximale Freiheiten»
«Für die politische Werbung gelten maximale Freiheiten, die das Strafrecht zulässt», sagt Philipp Kutter auf Anfrage von «blue News». Der Zürcher Nationalrat der Mitte-Partei ist Werbefachmann und präsidiert die Schweizerische Lauterkeitskommission der Branche. Diese sei für kommerzielle Werbung zuständig, nicht für politische, schickt Kutter voraus. Eine Einschätzung kann er gleichwohl vornehmen.
Er findet es richtig, dass in der politischen Werbung fast alles erlaubt sei. Denn dafür gebe es gute Gründe: «Bei politischen Fragen geht es immer um die freie Meinungsäusserung, und politische Diskussionen sollen so frei wie möglich geführt werden können.»
Alles geht natürlich gleichwohl nicht: So macht sich strafbar, wer gegen die sonst geltenden Gesetze verstösst. «Die Grenzen gibt das Strafrecht vor», sagt Kutter. «Wenn etwas ehrverletzend oder rassendiskriminierend ist, wird das strafrechtlich verfolgt.»
Der bekannteste Fall ist wohl jener der Schäfchen-Plakate, mit denen die SVP 2007 für ihre Ausschaffungsinitiative warb. Abgebildet sind weisse Schafe, die ein schwarzes Schaf quasi aus dem Land kicken. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hatte ihre Untersuchung einer möglichen Verletzung der Rassimus-Strafnorm damals eingestellt.
Die Begründung: Fremdenfeindlichkeit könne nicht mit Rassismus gleichgestellt werden. So seien durch die Rassismus-Strafnorm zwar Ethnie, Religion und Rasse geschützt, nicht aber Ausländer*innen an sich. Zudem «rechne das Publikum bei politischen Auseinandersetzungen mit Übertreibungen und pointierten Positionsbezügen».
Gut 15 Jahre später sind die Schäfchen von einst quasi in Zombieform wiederauferstanden – und senden dieselben Schockwellen durchs Land. «Die Aufmachung ist schon ziemlich drastisch», sagt Werbeexperte Kutter. «Ich verstehe auch, dass solch ein Sujet Reaktionen hervorruft.»
Bei der Plakatgesellschaft APG hat man das Sujet erst intern abgeklärt, aber keine Verstösse gegen Vorschriften festgestellt, wie Mediensprecherin Nadja Mühlemann auf Anfrage erklärt. Unerfreute Rückmeldungen aus der Bevölkerung gab es gleichwohl: Vor allem zu Beginn der Kampagne habe es Beschwerden gegeben. «Nach der differenzierten Berichterstattung in den Medien haben wir nun weniger Reaktionen.»
Vier Kriterien für Verstoss
Staatsrechtsprofessor Andreas Kley schreibt in seiner Analyse: Erst wenn vier Bedingungen erfüllt seien, verletzt politische Werbung nach Ansicht des Bundesgerichts die Wahl- und Abstimmungsfreiheit. Erstens müsse eine «objektiv feststellbare Tatsache» falsch dargestellt werden. Werturteile, «so fragwürdig sie sein mögen», könnten die freie Willensbildung bei Abstimmungen nicht beeinträchtigen.
Zweitens müsse diese Falschbehauptung «eine schwerwiegende Irreführung» bewirken, wobei wesentliche Teile oder der Hauptaspekt der Vorlage betroffen sein müssten.
Drittens müsse die Falschbehauptung extrem knapp vor der Stimmabgabe erfolgen, sodass die Gegenseite keine Zeit mehr habe, zu reagieren. Und viertens müsse «ausser Zweifel stehen oder zumindest als sehr wahrscheinlich erscheinen», dass diese Irreführung sich auf den Wahlausgang auswirke.
Für «blue News» war Kley am Freitag nicht zu erreichen, in seinem Aufsatz bilanziert er aber: «Das Strafrecht steckt ein weites Feld zulässiger politischer Werbung ab.» Wo es staatsrechtliche Schranken für politische Werbung gebe, dienten diese nicht dazu, den Akteuren Vorgaben zu machen. Vielmehr seien die Regierungen in der Pflicht, um ein «faires demokratisches Verfahren» zu ermöglichen. Artikel befindet sich in Publikationsprüfung.
Und des Rätsels Lösung ist ...
Was es mit den Zombies und der «Ehe für alle» auf sich hat, erklärt Oskar Freysinger, ehemaliger SVP-Nationalrat und Sprecher des Westschweizer Komitees, wie folgt: In der Gesellschaft finde «ein Ritualmord der Vaterfigur» statt, wie der Walliser bei «20 Minuten» sagte.
Das Zombie-Sujet sei «irrsinnig verletzend», entgegnet Priscilla Schwendimann, lesbische Pfarrerin und Befürworterin der «Ehe für alle», in der Talkshow «Lässer» . «Wir werden als Monster dargestellt.»
Ehe für alle: Das sagen Befürworterin Schwendimann und Gegnerin Lehmann
Am 10. September standen sich Priscilla Schwendimann und Regula Lehmann in der «Arena» des Schweizer Fernsehen gegenüber. Zuvor kreuzten die beiden bei «LÄSSER» die Klingen – und stritten über die Ehe für alle. Den ganzen Talk gibts hier.