In Zeiten von Netflix und Co. Warum der «Tatort» nicht totzukriegen ist

dpa/fts

6.10.2020

Nach 50 Jahren Fernsehgeschichte, in Zeiten von Netflix und Video on demand, da wäre eigentlich Zeit für einen Abgesang. Beim «Tatort» fällt das aber schwer.

Am «Tatort» scheiden sich die Geister. Für die einen ist er Kult, für die anderen die Pest. Oder allenfalls ein zu belächelndes Relikt aus Zeiten des Röhrenbildschirms. Nichtsdestotrotz können sich die Sonntagabend-Erstausstrahlungen über ein Millionenpublikum freuen. Ausgerechnet die Krimireihe über Mord und Totschlag ist nicht totzukriegen. Experten sehen den Grund gerade darin, dass es eben nicht DEN «Tatort» gibt.

«Manche ‹Tatort›-Standorte haben hervorragende Drehbuchautoren, manche erlauben auch Experimente», sagt die Kulturanthropologin Regina Bendix von der Universität Göttingen. Der Zuschauer habe somit eine Auswahl. «Wer schon lange ‹Tatort› schaut, kann diese Unterschiedlichkeit auskosten. ‹Tatort› ist nicht gleich ‹Tatort›.»



«Wenn man zehn Millionen Zuschauer haben will, muss man eine Mischkalkulation machen», erklärt Germanist Stefan Scherer vom Karlsruher Institut für Technologie. Für jüngere, netflixerprobte Generationen müsse etwas dabei sein, dass sich am Kino orientiert. Die Wiesbadener Folgen um Ulrich Tukur oder das Weimarer Team um Christian Ulmen und Nora Tschirner seien Beispiele. Großeltern sei das womöglich zu schnell, die bräuchten eher Kammerspielartiges.

Gerade die Abwechslung mache es aus, sagt Scherer. «Man muss schon Experimente wagen, aber nicht zu viele.» Folgen von Regisseur Dominik Graf etwa, der auch einen Teil der Jubiläumsdoppelfolge verantwortet, überforderten viele. «Aber ich glaube, das Format ist unverwüstlich.»

Eine «Tatort»-Miniserie für die junge Generation?

Zudem baue sich der «Tatort» kontinuierlich um. «Dass er sein 50. Jubiläum feiern kann, leitet sich aus der recht genialen föderalen Anlage ab, der es nach 1989 auch gelang, in gewisser Weise integrativ zu wirken.» Früher noch stärker habe der «Tatort» zur Landeskunde beigetragen, sagt auch Scherer. «In Norddeutschland hat man die Lebensverhältnisse in Bayern kennengelernt und umgekehrt.»

Selbst, wenn der Sendeplatz für viele nicht mehr in den Tagesablauf passe: Viele guckten heute zeitversetzt. Das habe aber auch Folgen für den «Tatort» als Gesprächsthema: «Man kann sich nicht mehr sicher sein am Montagmorgen, dass das Gegenüber ihn auch geguckt hat.» Das sei früher anders gewesen. «Da wusste man, dass der Kollege ‹Wetten, dass..?› oder ‹Tatort› geguckt hatte.»



Die «Erzählform der Stunde» ist zudem die horizontal erzählte Serie. «Vielleicht sollte es den ‹Tatort› daher auch in Form von Miniserien geben, eventuell sogar mit eigenen Teams dafür, die dann über mehrere Folgen einen Fall lösen.» Das entspreche mehr der Netflix-Generation und den neuen Sehgewohnheiten. Zudem liege ein wichtiger Faktor auf der Mediathek und ähnlichen Nutzungsformen: «Wenn man junge Zuschauer halten will, dann online.»

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