Satire Der umstrittene Renato Kaiser findet nun einmal: Satire kennt keine Tabus

Von Carlotta Henggeler

15.9.2019

Im SRF-Format «Tabu» verbringt Renato Kaiser vier Tage mit einer Randgruppe und macht daraus ein Stand-Up-Stück, dieses polarisiert.  Gibt es eine Schmerzgrenze bei Witzen? «Bluewin» hat Kaiser getroffen und ihn auch das gefragt.

Zwischen zwei Verpflichtungen macht Renato Kaiser am Zürcher Hauptbahnhof halt. Eine Schweizer Tageszeitung hat an diesem Tag getitelt: «Comedian Renato Kaiser polarisiert mit Witzen über Behinderte und Kranke». Damit einhergehend warf jene Zeitung die Frage auf, ob man Witze über Todkranke oder handicapierte Menschen überhaupt machen dürfe, so wie er es in «Tabu» tut.

Das Konzept von «Tabu» ist simpel und erprobt: Vier Tage verbringt Kaiser mit unterschiedlichen Randgruppen. Mal sind es körperlich behinderte Menschen, mal unheilbar Kranke. Mal von Armut Betroffene, mal Übergewichtige oder eine Gruppe aus der LGTBQ-Community. Diese Erlebnisse mixt er zu einem kurzen Stand-up-Bühnenprogramm, das er ihnen präsentiert.

Renato Kaiser sagt, er sei mit den jüngsten Schlagzeilen gelassen umgegangen. Er könne hinter jedem Witz stehen. Besonders dann, wenn man ihn erklären könne. Er habe viel Zeit mit den Protagonisten verbracht, viel erfahren und es eben zu einem kurzen Comedy-Stück gemixt. Kaisers Kredo: Satire darf alles – wenn man sich Mühe gibt. Aber er würde auch verstehen, wenn jemand damit nichts anfange könne. Satire? Sei halt nicht jedermanns Sache.

Positive Reaktionen

Überhaupt seien die Reaktionen zu «Tabu» durchwegs positiv gewesen, sagt der Wortakrobat. Vom anwesenden Publikum beim Stand-Up bis hin zu den meisten TV-Zuschauern – und auch bei SRF.  Der Sender habe ihm grosses Vertrauen geschenkt, er habe quasi eine Carte Blanche erhalten. Ein mutiger Schritt vom Schweizer Fernsehen, das sonst immer auf politische Korrektheit bedacht ist.

Ist Kaiser eine Begegnung mit einem der todkranken oder stark behinderten Menschen besonders nahe gegangen? Der Gefragte überlegt kurz: «Es gab keine Story, die für mich besonders herausstechend gewesen wäre, das einzige Problem der Senderreihe ist, dass man anfängt zu vergleichen. Man kann die einzelnen Schicksale aber nicht vergleichen.» Ausserdem ginge es bei der Sendung ja genau um mehr als nur Mitleid.

Und wie war es, solch schwierige medizinische Fachbegriffe wie Totale intestinale Aganglionose auswendig zu lernen? Kein Problem, winkt Renato Kaiser ab. Schon Lateinwörter hätte er zu Schulzeiten leicht gelernt, ein angeborenes Talent, quasi. 

Schmaler Grat zwischen Bescheidenheit und Feigheit

Dass er sich in der Sendung mit Randgruppen auseinandergesetzt hat, führt zwangsläufig zu der Frage: Wie normal findet er sich eigentlich selbst? Die Antwort kommt rasch: «Ich bin etwas vom Normalsten, was es es gibt. Also wenn es darum geht, was die Gesellschaft als normal einstuft. Ich bin nicht besonders klein, nicht besonders gross, weder dick noch dünn, bin weiss, männlich, hetero und cis.»

Cis? Das sei ein grosses Thema bei der Folge mit den LGBTQ-Leuten gewesen. Es heisse Cisgender. Das sei, wenn die Geschlechtsidentität dem Geschlecht entspricht, das einem bei der Geburt zugewiesen wurde.

Aha. Renato Kaiser ist in Fahrt. «Normal» sei er durch und durch, denn: «Ich habe nicht mal eine Frisur, ich habe keinen erkennbaren Migrationshintergrund. Was sehr lustig ist, weil ich Halbitaliener bin und Renato heisse. Aber ich werde immer als Schweizer angesehen. Was mich von der Norm abhebt, ist das, was ich mache.»

Im Alter zwischen zehn und 16 Jahren sei er, Kaiser, moppelig gewesen, da habe es geholfen, rhetorisch stark zu sein: «Ich habe immer gewusst, ich kann mit reden alles ausbalancieren.»

Im Gegenzug sei er schon immer schlecht darin gewesen, sich selbst als Künstler wahrzunehmen – für sich zu werben. Der Grat zwischen Bescheidenheit und Feigheit sei schmal: «Bescheidenheit ist es zu wissen, dass man gut ist, aber nicht die ganze Zeit damit angibt. Feigheit ist zu wissen, dass man zwar gut ist, aber das nicht sagt, sonst muss man Erwartungen erfüllen.»

Noch mehr Satire

Apropos Bescheidenheit: Pünktlich zum Wahlherbst ist eine zweite Staffel «LateUpdate» von Michael Elsener und Renato Kaiser bestätigt worden. Ab 22. September geht es mit acht Folgen des Nachrichtensatire-Formats weiter. Könnte sich Kaiser auch eine zweite Runde «Tabu» vorstellen?

Ja, durchaus, sagt er, denn interessante Randgruppen gebe es viele, Ideen ohnehin: «Eine Folge mit Vertretern aus verschiedenen Religionen würde mich interessieren. Oder Menschen aus dem Islam. Vorstellbar wäre auch «eine Sendung mit Häftlingen – und wie es ist, wenn du aus dem Gefängnis kommst». sagt Kaiser.

Er nimmt einen letzten Schluck Kaffee, dann muss er los – ein Engagement in Sankt Gallen wartet.

«Tabu» läuft Sonntag, 15. September, um 21.55 Uhr auf SRF1. Mit Swisscom Replay TV können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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