Interview Reinhold Beckmann: «Jeder ist anders bekloppt – das muss man aushalten!»

tsch

9.7.2018

Reinhold Beckmann hat sich zuletzt rar gemacht im TV. Im Schutze der Nacht und des «Dritten» Programms will sich der TV-Querdenker nun an einer neuen Art der Talkshow versuchen.

Im Mai 2017 lief Beckmanns letzte «Sportschau». Und «Beckmann», seine intime, nach ihm benannte ARD-Talkshow, musste nach 15 Jahren im Programm bereits 2014 weichen. Gehört Reinhold Beckmann also in die Kategorie «Leute von gestern»?

In den 90ern revolutionierte der heute 62-Jährige als Sportchef von SAT.1 mit sinnlicher Herangehensweise die Fussball-Berichterstattung. Später gehörte er zu den Top-Allroundjournalisten und Moderatoren der ARD. Vor zwei Jahren machte er dann einen Schnitt im Leben. Beckmann und seine Frau trennten sich, stattdessen wurde die Musik zur Vollzeitgeliebten.

Mit seiner umtriebigen Produktionsfirma «beckground tv» tüftelt der auch gesellschaftlich engagierte Norddeutsche derweil an innovativen TV-Formaten. Nun kehrt er mit einer besonderen Talkshow namens «Beckmann trifft ...» (ab Montag, 9. Juli, 23 Uhr) ins NDR-Fernsehen zurück, die zunächst aber nur fünf Folgen umfassen wird. Als Moderator oder Gastgeber sieht sich Beckmann dabei nicht.

«Bluewin»: Sie bringen Menschen wie Bundestags-Abgeordnete Sahra Wagenknecht und Mode-Designer Wolfgang Joop zusammen. Ist das Ihr neues Talk-Konzept, dass Sie ungewöhnliche Konstellationen schaffen wollen?

Reinhold Beckmann: Ungewöhnliche Gäste-Kombinationen ist ein Gedanke unseres Konzepts. Es können auch Freunde, Kollegen oder politische Gegner sein, die sich schon immer mal in einem anderen Rahmen unterhalten wollten. Möglich ist auch, dass die Gäste aus komplett unterschiedlichen Lebenswelten kommen. Unsere Gesprächssendung ist eine Art Experiment, ein Versuchsspiel mit kreativen und kritischen Aspekten.

Bleiben wir doch mal bei Ihren ersten Gästen, Wagenknecht und Joop. Beide sind oft im TV. Was ist also das Besondere?

Sie haben sich noch nie getroffen, obwohl beide regelmässig in den Medien sind. Die beiden jedenfalls haben sehr viel Vorfreude aufeinander. Wir sprechen mit allen Gästen auch mehrfach in der Vorbereitung und suchen gemeinsam nach interessanten Themen. Wenn man eine Personen-Talkshow macht, geht es um Biografisches, in das selbstverständlich auch Gesellschaftliches eingebunden wird. Es geht darum, gemeinsame oder konträre Wahrnehmung von Themen zu finden, und nicht hinlänglich bekannte, gegensätzliche Positionen einfach aufeinanderprallen zu lassen.

Was ist Ihre Rolle bei dieser Begegnung?

Wahrhaftige und besondere Momente zu entdecken, die mich und die Zuschauer bewegen. Ich fühle mich gar nicht so sehr als Moderator oder Gastgeber im klassischen Sinne. Mein Ziel ist, mich auch selber in die Gespräche einzubringen. Es wird, wenn Sie so wollen, eine gemeinsame Entdeckungsreise.

Sie glauben, dass man bei den medial gut ausgeleuchteten Wagenknecht und Joop noch neue Dinge entdecken kann?

Natürlich. Ich kenne Wolfgang Joop seit vielen Jahren. Er ist ein zauberhafter Gesprächspartner. Da ist eine Lust zu philosophieren und zu suchen, die bei ihm nicht nachlässt. Mit ihm einen Abend zu verbringen, ist niemals verschenkte Zeit. Und da sind wir wieder bei der Konstellation: Wolfgang Joop äussert sich sehr körperlich. Er gibt sich mit allen Sinnen dem Dialog hin. Sahra Wagenknecht kennt man dagegen als sehr kontrollierten Menschen. Ich bin gespannt, wie das zusammen wirkt und was dabei herauskommt.

Können Sie noch weitere Gäste nennen?

Ein andere aussergewöhnliche Gesprächspaarung ist die Begegnung von Wolfgang Kubicki, einem der letzten klassischen, aber auch selbstkritischen Machos der Politik, mit Olivia Jones, der Drag Queen der Reeperbahn. Da treffen konservative Weltbilder auf die bunte Welt des Hamburger Kiez. Kubicki hat in der Vergangenheit Humor und Selbstironie bewiesen. Andererseits ist Olivia Jones ein sehr politischer Mensch. Auch da bin ich gespannt.

Sie denken sehr psychologisch über Ihre Gäste nach. Wollen Sie sie neu ergründen oder gar analysieren?

Ich will vor allem kein selbstkontrollierter Moderator sein, sondern gute Gespräch führen, die mir und unseren Zuschauern etwas bringen. Die Sendung ist ein Experiment, bei dem ich auch selbst Position und Meinung beziehen darf. Natürlich bin ich gespannt, wie so was funktioniert.

Der NDR hat recherchiert, Sie müssten in Ihrer Karriere um die 2000 Talkgäste begrüsst haben. Wie verhindern Sie, dass man angesichts dieser Zahl zu professionell wird beim Reden?

Meine letzte Talkshow liegt schon ein paar Jahre zurück. Man muss eine grundsätzliche Neugierde für Geschichten und Biografien mitbringen. Das war bei mir immer so, und 45 Minuten Gesprächszeit mit zwei Gästen ist doch ein Geschenk. Es hilft mir auch dabei, mit dieser Welt klarzukommen, die im immer schnelleren Tempo besinnungslos wird. Vor zehn Jahren hätte doch niemand gedacht, dass Europa, diese fantastisch gute Idee, infrage gestellt wird. Oder dass sich Parteien entzweien, die einen Grundpfeiler unserer Gesellschaft darstellten. In Köln, wo ich lange gelebt habe, gibt es einen tollen Spruch: Jeder Jeck ist anders. Es ist ein Aufruf zum gelassenen Umgang mit der Vielfalt. Ein Aufruf zur Toleranz. Jeder ist anders bekloppt - das muss man aushalten! Wer sich offen mit Menschen beschäftigt, lernt, dass dieses Aushalten keine Angst macht, sondern eine Bereicherung im Leben darstellt.

Sie schlagen jetzt einen weiten Bogen ...

Ja, weil ich sehe, dass diese Haltung, die ich lange Jahre als selbstverständlich erachtete, mittlerweile arg gefährdet ist. Die fundamentale Abgrenzung wird immer stärker - an allen Ecken und Enden der Gesellschaft. Menschen lassen sich wieder für politisch unlautere Zwecke benutzen. Ich möchte mit meinen Gesprächen auch ein bisschen für Toleranz oder eine toleranzorientierte Sicht auf die Welt werben.

Nun talken Sie im Dritten - nach Jahrzehnten in den grossen Programmen. Ein Abstieg?

Nein. Ich freue mich, diese Sendung im Dritten ausprobieren zu können. Vor zwei Jahren habe ich mein Leben neu geordnet. Ich wollte raus aus dem täglichen Produzieren und Machen-Müssen. Ich wollte Zeit haben fürs Musikmachen. Ich wollte auf Tour gehen können. Das alles habe ich geschafft. Wir spielen in diesem Jahr 50 bis 60 Konzerte. Die andere Hälfte meiner Zeit widme ich meiner Filmproduktion. Da arbeiten wir mit Künstlern und Menschen, die ich mag. Leute wie Ina Müller oder Olli Dittrich. Beides ist sehr viel erfüllender, als immer zu moderieren oder mir jede Woche eine Show aus den Rippen zu schneiden.

Will man im Alter mehr - oder das Richtige?

Man wird auf jeden Fall bestimmter und dickköpfiger, wenn es um die Umsetzung der eigenen Wünsche geht. Ich finde, das hat was.

Die Idee, mit einer Band auf Tour zu gehen, klingt wie die späte Erfüllung eines Jugendtraums?

Nein, es ist mehr als das. Es ist eine Tätigkeit, die mich glücklich macht. Ich spiele jeden Tag Gitarre. Während dieser Zeit kann ich an nichts anderes Denken. Da ist das Kopfkino ausgeschaltet. Andere suchen diesen Zustand in der Fotografie oder der Malerei. Bei mir war es immer die Musik, ich habe immer Musik gemacht. Nur die Entscheidung, mit eigenen Texten, eigenen Songs und einer Band auf Tour zu gehen, die kam relativ spät. Es war ein wichtiger Schritt, und ich geniesse ihn jeden Tag. Wenn ich weiss, dass wir um das Wochenende herum ein paar Konzerte spielen, habe ich schon am Mittwoch wegen der Vorfreude eine Pfütze auf der Zunge.

Ist es nicht schwer, sich als prominenter Moderator aus dem Fernsehen plötzlich in der Rolle des intimen Songwriters zu outen?

Wir haben vor vier Jahren schon mal ein Album gemacht, da fiel es mir noch schwer. Man lernt aber dazu, auch die Musik ist ein Handwerk. Klar ist es für die Leute im ersten Moment vielleicht ungewohnt. Da habe ich mich als Talker im Fernsehen lange Jahre mit anderen Menschen beschäftigt, jetzt erzähle ich meine eigenen Geschichten. Auch zwischen den Songs erzähle ich von mir. Die Kritiken aber sind überall gut. Das freut uns als Band natürlich ungemein, denn als Fernsehkerl wird man im Musikklub ja per se erst mal kritisch gesehen.

Mit «beckground tv» betreiben Sie eine recht umtriebige Produktionsfirma für Reportagen, aber auch Unterhaltungsformate wie gegenwärtig «WM Kwartira» in der ARD. Ist denn das Fernsehen für Sie noch ein Medium mit Zukunft?

Oje. Haben Sie Zeit? Um diese Frage zu beantworten, müssten wir uns eigentlich für ein langes Gespräch zusammensetzen. Na klar habe ich viele Ideen dazu, aber genauso viele Fragen. Nur eine Sache: Meine Kinder, 21 und 24 Jahre alt, ignorieren das lineare Fernsehen komplett. Auch viele Leute, die noch eine ganze Ecke älter sind, tun dies mittlerweile. Ich bin mir ziemlich sicher, keiner dieser Menschen wird irgendwann zum linearen Fernsehen zurückkehren oder sagen: «Mensch, lass mal gucken, was heute Abend bei ARD, ZDF oder RTL kommt!» Wir müssen deshalb Wege finden, das klassische Fernsehen völlig neu aufzustellen. Die Leute wollen ihr eigener Programmdirektor sein. Diese Entwicklung wird uns in den nächsten Jahren rasant überrollen - und wir müssen uns ihr stellen. Trotzdem werden gute Inhalte wichtig bleiben. Nur die Frage, wie wir sie an den Mann und die Frau bringen, das ist derzeit schwer in Bewegung.

«Beckmann trifft ...» läuft ab 9. Juli montags um 23 Uhr auf NDR. Geplant sind vorerst fünf Folgen. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendungen bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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