SRF-Serie «Neumatt» Koksende Städter, Kuhflüsterer und ein Hof ohne Hoffnung

Von Carlotta Henggeler

2.10.2021

Die neue SRF-Serie «Neumatt» greift ein hoch brisantes Thema auf: Die hohe Suizidrate unter Bauern. Ein guter Ansatz, der leider verwässert wird. Schade eigentlich.

Von Carlotta Henggeler

Der Plot von «Neumatt» ist schnell erzählt. Der introvertierte Landwirt Kurt (Paul Kaiser) packt sein Leben auf dem Hof nicht mehr und schlittert – ohne einer Menschenseele davon zu erzählen – ins finanzielle Elend. Heute reicht es nicht mehr, ein guter Bauer zu sein, Tier und Natur zu lieben und viel zu schuften. Ein moderner Landwirt ist heute ein Unternehmer mit Visionen. Sonst geht man unter. 

Peu à peu dreht sich die Schuldenspirale. Die Situation ist düster und Kurt  sieht nur noch einen Ausweg: den Selbstmord

Seine drei schockierten Kinder erfahren erst allmählich von der dramatischen Finanzlage. Doch wer soll «Neumatt» vor dem Aus retten?

Sohn Michi (Julian Koechlin) ist Finanzberater in Zürich. Mit chicem Loft in Zürich-West, viel Koks, Kohle und Affären. Homosexuellen Affären. Work-Life-Balance hält er für Weicheier-Schnickschnack. Er träumt davon, noch reicher und mächtiger zu werden. Michis Schwester Sarah (Sophie Hutter) ist Fitnesscenter-Besitzerin, ebenfalls mit Geldsorgen und einer kratzbürstigen Teenager-Tochter. Einzig Küken Lorenz (Jérome Humm) lebt noch auf dem Hof und will ihn eigentlich übernehmen. Doch der Jüngste im Bunde steckt mitten in der Bauern-Ausbildung und hat eine Lernblockade. 

Noch ist nicht mal die Beerdigung organisiert, da taucht schon die Gemeindepräsidentin (Judith Hofmann) auf und will einen Deal für den Hof abschliessen. Da beginnt der Geschwister-Zoff. Soll man für 3 Millionen Franken das Land verkaufen, die Familientradition aufgeben, verkaufen – um damit dem Finanzkollaps zu entkommen? 

Gutes Drehbuch, aber …

Der Plot bietet viel dramaturgischen Zündstoff und ist in sich stimmig. Die Drehbuchschreiber überfrachten die Story aber leider mit zu vielen Klischees und Kitsch.

So prangert Kurts Witwe Katharina (Rachel Braunschweig) an der Beerdigung an, dass es heute als Bauer nicht mehr reiche, sieben Tage die Woche zu schuften und sich um Hof und Tiere zu kümmern. Man interessiere sich nicht dafür, warum der Schweizer Käse teuer sei, sondern kaufe lieber den günstigen aus dem Ausland. Kritische Worte, doch wirken sie etwas zu aufgesetzt, übers Ziel geschossen.

Dann sind noch die Stadt-Land-Vorurteile. In Zürich eilt das koksende Finanzmonster Michi seinem Abgrund entgegen. Derweil Brüderchen «Lolo» auf dem Neumatt'schen Hof der Kuhflüsterer spielt und jungfräulich-tollpatschig der ersten Liebe entgegenfiebert. Derweil die naive Schwester Sarah mit ihrem Leben zwischen dem fast-konkursiten Fitnesscenter und ihrer Rolle als überforderte Alleinerziehende kämpft. Puh!

Ach ja, dann ist da noch Hof-Mami Katharina, die mit dem Milchbauern und Chor-Kollegen eine Liebelei hat. Die, mindestens bis Folge fünf, keiner mitbekommt. In einem kleinen Kaff, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen, ist das wohl eher unwahrscheinlich.

Und trotzdem bleibt man kleben. Ich will das Neumatt'sche Drama zu Ende schauen. Die Schauspieler*innen überzeugen und ich will natürlich das Happy End sehen. Wetten, dass es eines gibt? 

«Neumatt» ist auf SRF und Online zu sehen.