Carey Mulligan «Sexuelle Übergriffe in Komödien? Da ist nichts Lustiges dran»

Von Marlène von Arx, Los Angeles

12.5.2021

Fertig lustig: Sexuelle Übergriffe sollen nicht mehr als witzige Pointen in Hollywood-Filmen dienen, dafür will Carey Mulligan mit der provokativen schwarzen Komödie «Promising Young Woman» sorgen. Ein Interview.

Von Marlène von Arx, Los Angeles

‹Promising Young Woman› klagt kulturelle Normen an, was Anmache und sexuelle Übergriffe im Ausgang betrifft – ein Thema, das Ihnen nahegeht?

Ja, die Filmemacherin Emerald Fennell und ich sind beide um die 35 Jahre alt und mit den gleichen Filmen und TV-Shows aufgewachsen. Was in unserem Film abgeht, ist nicht neu. Man hat es schon zig Mal gesehen, aber wir zeigen es aus einem anderen Blickwinkel. Sexuelle Übergriffe sind nicht akzeptabel. Wir sind hoffentlich an einem Punkt angekommen, wo sie nicht mehr in Komödien als Pointen verwendet werden. Denn da ist nichts Lustiges dran.

Wie meinen Sie das?

Da sitzt ein Typ an der Bar und quatscht ein betrunkenes Mädchen an, weil er denkt, dass sei nun seine Chance, seine Jungfräulichkeit zu verlieren. Dieses Komödien-Szenario gab es in so vielen Filmen, mit denen ich gross geworden bin. Solche und ähnliche Szenen passieren ja auch im wirklichen Leben täglich. Wenn ich zurückdenke: Ich habe manchmal auch mitgelacht und es lustig gefunden. ‹Promising Young Woman› regt sicherlich zum Überdenken der eigenen Haltung an.

Sie spielen in ‹Promising Young Woman› also eine Art personifizierte Karma-Retourkutsche?

Ja, Cassie hat etwas von einem Rache-Engel, weil das Leben ihrer Freundin, der man nicht glaubte, zerstört wurde: Nun bietet sie Wiedergutmachung und Strafe an.

Dazu gibt es einen poppigen Soundtrack …

Diese leichten Momente braucht es, weil das Thema ja ziemlich heavy ist. Bevor ich Emerald traf, schickte sie mir eine Playlist. Da war ‹Boys› von Charli XCX und zwei Versionen von Britney Spears ‹Toxic› drauf. Die sind jetzt im Film.

Hat Cassie auf Sie abgefärbt?

Tja, ich konnte vorher lange Fingernägel nicht ausstehen. Wegen ihr stehe ich nun plötzlich auf Maniküre! Ich war sehr traurig, als man mir die Nägel und die Haarverlängerungen nach dem Dreh abnahm. Und obwohl ich normalerweise meistens schwarze Kleider trage, habe ich mir plötzlich ein paar pinke Outfits gekauft. Aber sonst: Meine Umgebung würde es nicht tolerieren, wenn ich jeden Tag deprimiert und wütend nach Hause käme. Deshalb lasse ich meine Arbeit bei der Arbeit und wechsle nach Feierabend in die Daheim-Zone.

Sie sind auch eine Produzentin des Films. Werden Sie bald auch selber Regie führen?

Oh Gott, das glaube ich nicht. Aber wer weiss, was in zehn, fünfzehn Jahren ist. Regie ist nicht meine Leidenschaft. Vielleicht werde ich eines Tages ein Theaterstück inszenieren. Aber eigentlich will ich nicht hinter den Vorhang oder auf den Monitor schauen.

Der Film hat den Oscar für das beste Drehbuch gewonnen, aber das vergangene Jahr war nicht einfach für die Kino-Branche. Wie sehen Sie die Zukunft für solche Indie-Filme wie ‹Promising Young Woman›?

Ich bin nicht sicher, dass Indie-Filme momentan überleben können. Zurzeit werden hauptsächlich die grossen Filme gemacht, die sich das zusätzliche Covid-Sicherheitskonzept-Budget leisten können. ‹Promising Young Woman› wurde mit einem Mini-Budget in 23 Tagen gedreht. Wir fingen also sehr klein an und deshalb hatte ich auch keine hohen Erwartungen. Aber der Film setzte sich durch. Ein wirklich guter Film kann also auch jetzt noch ein Publikum finden. Ich glaube, Filme werden tendenziell vereinfacht und man unterschätzt das Publikum oft. Das hat Emerald nicht gemacht. ‹Promising Young Woman› provoziert eine Konversation und das scheint anzukommen.

Wie haben Sie das Pandemie-Jahr persönlich überstanden?

Ganz gut. Es war so ein schwieriges Jahr für viele Leute, für mich war es indes ein gutes Jahr. Es war schön, dass ich nicht unterwegs sein musste – auch nicht für Interviews – und zu Hause bei der Familie sein konnte. Ich arbeite ja auch sonst nicht sehr viel. Mehr als einen Film pro Jahr mache ich eigentlich nicht. Meine Kinder sind ja noch so klein. Diese Zeit kriegt man nicht zurück. Und jetzt bekam ich eine richtig konzentrierte Dosis davon.

Will heissen?

Wir mussten uns immer Neues einfallen zu lassen, um die Kids zu unterhalten – ohne das Haus zu verlassen. Und nicht nur sie, sondern auch uns Eltern. Über Monate! Das kann schon monoton werden, dafür habe ich jetzt auch besondere Erinnerungen an diese Phase in ihrem jungen Leben. Immerhin sind wir nicht in der Stadt und haben Platz draussen. Und das Wetter war sogar gut!

Konnten Sie den Kindern denn in dieser Zeit auch etwas anhaltend Wichtiges mit auf den Weg geben?

Sie sind noch sehr klein, erst drei und fünf Jahre alt. Wir versuchen ihnen erstmal beizubringen, fair, mitfühlend und lieb zu sein. Diese Eigenschaften sind wichtige Grundsteine fürs spätere Leben.

«Promising Young Woman» läuft ab 13. Mai im Kino