Kolumne am Mittag Mit Popstar Neneh Cherry in der Schule 

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

10.3.2021

Heute wird Neneh Cherry 57 Jahre alt. Ihre furchtlose Pionierarbeit ebnete den selbstbewussten Chart-Stürmerinnen von heute den Weg. Der Kolumnist traf sie mehrmals am Elternabend seiner Tochter.

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

An einem Samstag in den mittleren Nullerjahren war es, da schleppte ich mich widerwillig zum nahen Schulpausenplatz, um den Flohmarkt der Kinder mittels Portemonnaie zu unterstützen. Unversehens fand ich mich in der Präsenz eines Popstars wieder.

In Jeans und T-Shirt gekleidet kauerte Neneh Cherry vor dem Stand einer 7-Jährigen, begutachtete mit Kennerblick deren Angebot und kaufte ein Puzzle, das sie garantiert nicht brauchte, einfach, um dem Mädchen eine Freude zu bereiten.

Wir plauderten noch ein bisschen über Kinder, Lehrer und Quartierklatsch und gingen unserer Wege. Meine Stimmung war nicht wiederzuerkennen: Neneh Cherry gehört zu dem Schlag Menschen, die in ihrem Fahrwasser einfach nur gute Laune zurücklassen.

«Als die Kamera auf ihren achtmonatigen Bauch schwenkte»

Und noch eine unvergessliche Erinnerung: Die hochschwangere Neneh Cherry im hautengen Latex-Minirock, wie sie in der britischen Hitparaden-Show «Top of the Pops» ihren wegweisenden Hit «Buffalo Stance» live zum Besten gibt.

Der Aufritt war eine Sensation. Schwangere Bäuche waren zu der Zeit am Fernsehen höchstens in speziellen Frauenprogrammen zu sehen, das Stillen in der britischen Öffentlichkeit in den Augen vieler eine obszöne Provokation.

«Wichtig sei nur das, was man selber höre und fühle. Ein Falsch oder ein Richtig gibt es nicht»: Neneh Cherry.
«Wichtig sei nur das, was man selber höre und fühle. Ein Falsch oder ein Richtig gibt es nicht»: Neneh Cherry.
Bild: Keystone

Ganze Bücher seien darüber geschrieben worden, wie David Bowies «Top of the Pops»-Auftritt mit «Starman» den kulturellen Horizont einer ganzen Nation erweitert habe, schrieb die Journalistin Helen Brown in der Financial Times:

«Weniger oft hört man, wie Neneh Cherry einen ähnlichen Effekt ausübte auf die jungen Frauen, die sie im Dezember 1988 in dieser Show sahen. Als die Kamera auf ihren achtmonatigen Bauch schwenkte, hörten wir laut und deutlich das Klirren zerschlagener gläserner Decken.»

«Okay, mach es so, wie Du willst»

Neneh Cherry fegte wie ein Wirbelwind durch die britische Punkszene. Als Schwedin genoss sie dort so etwas wie Narrenfreiheit. Die Tochter einer schwedischen Kunstmalerin und eines Musikers aus Sierra Leone war fünfzehn Jahre alt, als sie ihren Stiefvater, den amerikanischen Jazz-Trompeter Don Cherry, auf einer Englandtournee begleitete.

Bei dieser Gelegenheit lernte sie die Musikerinnen der Punkband The Slits kennen und blieb gleich da. Wenig später trat sie als Sängerin der fulminanten Jazz-Punk-Band Rip Rig & Panic auf den Plan, deren Alben zu den grossen Schätzen jener kühnen Experimentalzeit gehören. Ich war ein Fan, mein Interview mit der Band war eines der ersten überhaupt.

Die Männer machten auf supercool und schleuderten Dartspfeile an meinen Ohren vorbei an die Wand. Neneh Cherry war der ruhende Pol und erzählte mir, was sie von ihrem berühmten Vater gelernt hätte: «Er vermittelte uns ein vorurteilsloses Verhältnis zur Musik.» Wichtig sei nur das, was man selber höre und fühle. Ein Falsch oder ein Richtig gebe es nicht.

Er habe sich die grösste Mühe gegeben, ihr Dinge am Klavier zu zeigen. «Aber wenn ich es nicht sogleich erfasste, wurde ich gleich zornig. Er nahm es gelassen und sagte: «Okay, mach es so, wie du willst.»

«Die Idee lag auf der Hand»

Die zweite Hälfte der 1980er Jahre war eine ungemein wichtige Phase im britischen Pop-Schaffen. Im Gegensatz zu den USA waren die britischen Musikmedien nicht nach Stil getrennt. Die Kinder von Einwanderern aus Jamaika waren mit derselben Pop-, Rock-, Soul-, Blues- und Reggae-Musik aufgewachsen wie ihre Freunde mit englischer, indischer oder irischer Kinderstube.

Im April 1989 erschien das Debütalbum des Londoner Klub-Kollektivs Soul 2 Soul, zwei Monate später folgte «Raw Like Sushi» von Neneh Cherry. Diese beiden Alben zeigten, was möglich war, wenn all die verschiedenen Einflüsse in denselben Topf geworfen wurden.

«Raw Like Sushi» (mit «Buffalo Stance») landete auf den vordersten Hitparaden-Rängen. Wenig später erschien dann auch noch «Blue Lines», das Debut-Album von Massive Attack aus Bristol, das gemeinhin als erster Meilenstein in der Geschichte des Trip Hop erachtet wird.



Neneh Cherry und ihr Ehemann Cameron McVey fungierten als Arrangeure und Produzenten dieses Albums. Weitere musikalische Höhepunkte folgten, nicht zuletzt die Single «7 Seconds», ein Welthit, der in den französischen Charts 16 Wochen lang Platz eins besetzte und den Cherry zusammen mit der senegalesischen Wunderstimme Youssou N’Dour eingespielt hatte.

Es ist typisch für diese trotz ihres Erfolges unkompliziert und aus Liebe, nicht Kalkül, musizierende Künstlerin, dass die Partnerschaft mit N’Dour nicht auf dem Reissbrett eines schlauen Managers entstanden war: «Wir hatten gemeinsame Freunde», sagte sie. «Man begegnete sich immer wieder, die Idee lag auf der Hand.»

Auch ich begegnete Neneh Cherry immer wieder. Manchmal im Plattenfirmenbüro zum Interview, manchmal beim Elternabend in der Londoner Schule, wo wir alle begeistert die gesanglichen Darbietungen unserer Töchter beklatschten.

Ihre Tochter heisst Mabel und schaffte es mit dem Debütalbum «High Expectations» auch in die Schweizer Charts. Meine ist noch am Üben.

Zur Autor: Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Kuenzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussball-Spezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».


Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.

Zurück zur Startseite