Feiern trotz CoronaDer Eurovision Song Contest wird zum Versuchslabor
tsha
4.5.2021
Volles Risiko oder kontrolliertes Experiment? Der Eurovision Song Contest wird in diesem Jahr zum Testfeld für Grossanlässe in Pandemiezeiten.
tsha
04.05.2021, 15:24
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«Tout l'univers» – das ganze Universum: So heisst das Stück, mit dem der Schweizer Gjon Muharremaj am diesjährigen Eurovision Song Contest (ESC) den Sieg holen will. Das ganze Universum wird kaum dabei sein, wenn Muharremaj den Song unter seinem Künstlernamen Gjon's Tears in Rotterdam vorträgt, gesetzt, er schafft es denn ins Finale. Rund 180 Millionen, wie noch vor zwei Jahren, dürfte es an den Fernsehgeräten aber doch sein.
Und auch in der Ahoy-Arena in der niederländischen Hafenstadt wird Gjon nicht nur für Tontechniker und Kameraleute singen: Wie die Veranstalter vor ein paar Tagen bekannt gaben, sollen bis zu 3500 Zuschauer in die Halle gelassen werden. Eine gute Idee, inmitten der Corona-Krise?
Was nach einem gewagten Experiment klingt, ist auch eines. Im Rahmen des Programms «Fieldlab Events» wird die Ahoy-Arena, die zu einem Fünftel ihrer normalen Kapazität gefüllt wird, zum Testfeld.
Die Besucherinnen und Besucher müssen vor Betreten der Halle einen negativen Corona-Test vorweisen, der nicht älter als 24 Stunden sein darf; ein weiterer Test erfolgt fünf Tage nach der Veranstaltung. Die Zuschauer dürfen während der Veranstaltung nur sitzen, auf dem Weg zum Platz und zu den Toiletten müssen sie eine Maske tragen. Nur wer sich an diese Regeln hält, heisst es vonseiten des ESC, darf auch teilnehmen.
Hohe Infektionszahlen
Die Corona-Zahlen sind in den Niederlanden indessen hoch. Am Dienstag lag die Zahl der Neuansteckungen pro 100'000 Einwohner innerhalb einer Woche bei rund 280. Für den Nachbarn Deutschland zu hoch – das Bundesland Nordrhein-Westfalen, das an die Niederlande angrenzt, warnte seine Bürger unlängst vor unnötigen Reisen über die Grenze.
In den Niederlanden selbst sieht man die Lage etwas entspannter. Seit knapp einer Woche dürfen dort Geschäfte wieder Kunden empfangen sowie in Cafés und Restaurants die Aussenbereiche öffnen. Und nun ein Grossanlass wie der ESC? «Die Sicherheit für Besucher, Künstler und Delegationen geht vor», sagen die Veranstalter und verweisen auf die Voraussetzungen, um in die Halle eingelassen zu werden.
Überwacht wird das Experiment ESC unter anderem von Andreas Voss, Professor für Infektionskontrolle an der Radboud-Universität in Nijmegen. Im Rahmen der Fieldlab-Events-Reihe sucht Voss zusammen mit Veranstaltern und der niederländischen Regierung nach Wegen, Grossanlässe auch in Corona-Zeiten sicher durchführen zu können. Fussballspiele, Konzerte, Konferenzen und ein Festival mit mehr als tausend Besuchern fanden bereits unter Begleitung der Wissenschaftler statt.
Ermutigende Ergebnisse
Die Ergebnisse seien ermutigend, so Voss vor ein paar Wochen in einem Interview mit der Deutschen Welle. «Von den mehr als sechstausend Personen, die auf den Veranstaltungen waren, wurden nur fünf währenddessen oder in deren zeitlicher Nähe mit dem Virus angesteckt», sagte der Infektiologe. Der NZZ erzählte Voss, erste Forschungsergebnisse würden darauf hindeuten, dass Grossanlässe sicher seien, solange die Veranstaltungsorte bestuhlt und gut belüftet sind, Besucher ihre Masken tragen und sich im Vorfeld testen lassen.
Probleme gäbe es aber immer dann, wenn die Besucher die Regeln nicht mehr einhielten, etwa, wenn sie unter Einfluss von Alkohol ihre Sitzplätze verlassen. Bei Tanzveranstaltungen habe sich ausserdem gezeigt, dass sich vielfach nicht an die Maskenpflicht gehalten werde. «Da fühlten sich die Menschen frei und haben keine Masken genutzt», so Voss in der NZZ. «Das ist eine Dynamik, die entsteht, wenn man nicht einschreitet, was wir bei den Festivals mit Absicht nicht gemacht haben.»
Beim ESC in Rotterdam wollen die Forscher hinter der Fieldlab-Events-Reihe vor allem die Besucherströme überwachen. So soll herausgefunden werden, ob Abstände gewahrt werden und wie viel Kontakt das Publikum untereinander hat. Aus den gewonnenen Daten soll dann ermittelt werden, wie gross das Infektionsrisiko bei einer derartigen Veranstaltung ist.