Film Bagger als visuelles Element für eine berührende Familiengeschichte

sda

24.1.2025 - 11:00

Der Regisseur Piet Baumgartner hat in die Familiengeschichte über Sprachlosigkeit nach dem Tod der Tochter eigene Erlebnisse aus seiner Jugend einfliessen lassen. "Bagger Drama" ist zum ersten Mal in der Schweiz an den Solothurner Filmtagen zu sehen.
Der Regisseur Piet Baumgartner hat in die Familiengeschichte über Sprachlosigkeit nach dem Tod der Tochter eigene Erlebnisse aus seiner Jugend einfliessen lassen. "Bagger Drama" ist zum ersten Mal in der Schweiz an den Solothurner Filmtagen zu sehen.
Keystone

«Bagger Drama» ist der erste lange Spielfilm von Regisseur Piet Baumgartner. An den 60. Solothurner Filmtagen feiert der Film Schweizer Premiere und ist zudem für den Prix de Soleure nominiert. Was ihm selbst der Film bedeutet, dazu Baumgartner im Gespräch.

Keystone-SDA, sda

Eine Familie hat die Tochter bei einem Unfall verloren. Von der Sprachlosigkeit in der Familie, von Schmerz und Verlust, aber auch von möglichen Neuanfängen erzählt der Film «Bagger Drama». Es sei sein «bislang persönlichstes Projekt» gewesen, sagt der 41-jährige Schweizer Regisseur Piet Baumgartner gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Schweizer Premiere feiert der Film in Solothurn am publikumsträchtigen Samstagabend in der grossen Reithalle mit Platz für knapp 1000 Menschen. «Ein Ritterschlag für uns», sagt der Seeländer, der zurzeit dank eines Atelierstipendiums für ein halbes Jahr in London arbeitet und lebt. Bei der Weltpremiere am Filmfestival von San Sebastian hat «Bagger Drama» den Regiepreis gewonnen. «Dadurch hat der Film ungeahnten Schub bekommen.»

Autofiktionale Geschichte

Die Geschichte sei autofiktional. Sie basiere auf Erfahrungen und Erlebnissen in seiner eigenen Jugend und sei damit auch von seiner Familie inspiriert. «Wir haben nicht gelernt, über Gefühle, Sex, Liebe und uns zu reden», sagt er. «Einfach vorwärts, machen», sei die Haltung gewesen. Doch natürlich habe er sich beim Drehbuch auch künstlerische Freiheiten erlaubt.

Besonders wichtig ist Baumgartner: «Der Film ist keine Abrechnung mit meiner Heimat, meiner Geschichte oder meinen Verwandten.» Vielmehr helfe diese Arbeit, zu verstehen. «'Bagger Drama' ist ein wenig wie eine Therapie.»

Im Film kommen Baggerfahrer und queere Menschen zusammen. Der Austausch unterschiedlicher Welten ist Baumgartner ein Anliegen. «Ich bin selber auch ein Stück weit in einer 'Kulturblase' gefangen. Deshalb bin ich froh um meine Freunde ausserhalb der Branche.»

Menschen interessieren ihn. Ihre Motivation, ihre Ängste, ihre Bedürfnisse, ihre Wünsche. Das zeigte sich bereits bei «The Driven Ones» (2013). In seinem Dokumentarfilm begleitete er Studierende der HSG (Universität St. Gallen). Die Hochschule war über das Porträt der «Getriebenen» nicht amüsiert.

Auf Umwegen zum Film

Aufgewachsen ist Baumgartner in einem Dorf, «SVP-dominiert, keine 150 Einwohnerinnen und Einwohner». Es sei klar gewesen: «Du übernimmst einmal das KMU des Vaters.» Doch das wollte er nicht und suchte nach Alternativen.

Zuerst lernte er Maschinenzeichner. «Die Erleuchtung hatte ich bei einem kleinen Fernsehsender im Berner Seeland», erinnert er sich. Viehschauen und Jass-Abende habe er dort filmen können – und es habe viel Raum gegeben, um auszuprobieren. Nach Stationen als Videojournalist, besuchte er mit Mitte 20 Filmschulen in Zürich und Warschau. Arbeiten an Theatern folgten. Sein Stück über die frühere Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf am Theater Neumarkt wurde ausgezeichnet.

Trotz Erfolgen schwingt bei ihm Existenzangst weiterhin mit. «Kulturarbeit ist schlecht bezahlt», sagt Baumgartner. «Deshalb arbeite ich wohl 120 Prozent.» Mitleid will er dafür aber nicht. Indem er mitmache, sage er ja zu den Spielregeln. «Und ich habe alle Freiheiten der Welt.»

Neben dem starken Teil, der sich um die Familie dreht, und der das Herz des feinsinnigen und eindringlichen Films ist, punktet «Bagger Drama» mit seinen Bildern. Das Optische ist Baumgartner wichtig. Als das Drehbuch stand, habe er «ein visuelles Element» gesucht, um seine Geschichte zu erzählen. Gefunden hat er es in diesen riesigen Maschinen. Ein Grund war sicher auch der grosse Erfolg eines Musikvideos, das er 2015 mit ebensolchen Baggern realisierte und das für viel Aufsehen sorgte.

Tanz der Bagger

Technik fasziniert den Filmschaffenden. «Da, wo ich herkomme, ist Technik verbunden mit dem Glauben an den Fortschritt. Manchmal hat das fast schon religiöse Züge», so Baumgartner. Sie meinten, dass sich mit und dank ihr alles bewältigen und richten lasse, sogar die Folgen des Klimawandels. «Gleichzeitig hat Technik auch etwas Poetisches. Bagger können auch tanzen.» Dies ist im Film im Ballett zu sehen, das die Bagger aufführen.

Auf dem Set zeigt sich der Regisseur nicht als Anhänger von Improvisation. Er probt vor Drehbeginn intensiv. «Ein Drehort mit all den Maschinen, dem Zeitdruck und den Menschen ist ein zu unmenschliches Umfeld, um von Gefühlen zu erzählen. Damit sich die Schauspielerinnen und Schauspieler emotional öffnen mögen, braucht es Sicherheit und Vertrauen.» Das gelinge mit dem gemeinsamen Üben und ausführlichen Besprechungen im Vorfeld.

In England schreibt Baumgartner zurzeit parallel an zwei Theaterstücken und zwei Filmideen. Zuerst kommen jetzt aber die 60. Solothurner Filmtage. Baumgartner mag die neue Crew um Direktor Niccolò Castelli. «Ich spüre einen Aufschwung, eine Frische. Ich fühle mich abgeholt vom Programm. Das war nicht immer so.»

Wie die Menschen in Solothurn wohl auf «Bagger Drama» reagieren? Baumgartner gesteht, dass er im Vorfeld einige schlaflose Nächte hatte. Denn: «Es sind meine Familie und meine Freunde. Es ist das schwierigste Publikum.»

*Dieser Text von Raphael Amstutz, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.