Interview mit Suzi Quatro«Meine Schwestern schickten mir eine Kassette, auf der sie über mich lästern»
Von Marlène von Arx, Los Angeles
1.7.2020
Zoff unter Schwestern: Der Dokumentarfilm «Suzi Q» reisst alte Wunden in der Familie der Rock-Pionierin Suzi Quatro wieder auf.
Es sei bei ihr in Essex (GB) 19:30 Uhr und sie gönne sich jetzt ein Glas Champagner, deklariert Suzi Quatro gleich zu Beginn des Videochat-Interviews und prostet in die Computer-Kamera. Die amerikanische Rock-Pionierin, die über 50 Millionen Platten verkauft hat, hat ja auch einiges zu feiern: Am 3. Juni wurde sie 70 Jahre alt und am 1. Juli organisiert der Verleiher des Dokumentarfilms «Suzi Q» ein Online-Screening-Event mit ihr und Spezialgästen aus dem Film, der zwei Tage später auf VOD/DVD erhältlich sein wird. Aber es gibt auch Dinge im Leben der «If You Can't Give Me Love»-Sängerin, die sie traurig stimmen …
Der Dokumentarfilm «Suzi Q» macht keinen Hehl daraus: Ihre Schwestern Patti, Arlene und Nancy haben es Ihnen bis heute nicht verziehen, dass Sie die Schwestern-Band The Pleasure Seekers verlassen haben und solo durchgestartet sind …
… ich habe mir überlegt, sie aus dem Film herauszuschneiden, aber sie haben das Recht auf ihre Gefühle. Also haben wir sie drin gelassen. Es ist ein Film über mein Leben. Da gehört das rein.
Sie waren ja nicht dabei, als Ihre Schwestern für «Suzi Q» interviewt wurden. Welche Reaktionen haben Sie inzwischen von ihnen bekommen?
Ich habe gar nichts gehört. Keine Reaktionen auf den Film, keine auf meine Weihnachtskarten oder zu meinem 70. Geburtstag.
Sie wurden also richtig ausgegrenzt? Wie überwindet man so etwas?
Das werde ich nie überwinden. Es hat mich fast umgebracht, als ich als junges Mädchen alleine in London war und sie mir zu Thanksgiving eine Audio-Kassette schickten, auf der sie über mich lästerten. Irgendwie hat mich das aber auch angespornt, denn von da an war mir sonnenklar: Ich bin wirklich allein auf mich gestellt.
Sehen Sie kein Happy End für die Quatro-Familie?
Ich mag das Wort Eifersucht nicht, aber ein gewisser Groll wird es wohl immer geben. Ich kann nicht verstehen, dass sie sich nie auch nur zu einer kleinen Anerkennung durchringen konnten. Meinen 60. und 65. Geburtstag habe ich in meiner Heimatstadt Detroit gefeiert, mein Bruder und zwei Schwestern waren da, die älteste nicht, da sie nicht reist. Mein Bruder spielte etwas auf dem Piano und meine Schwestern waren zu Tränen gerührt und applaudierten, was das Zeug hielt. Mir haben sie noch nie Applaus gespendet. Wieso? Er machte auch sein eigenes Ding. Was ist der Unterschied? Dass ich es geschafft habe? Ich erwarte keine Zugabe-Rufe. Mir würde ein kurzes Schulterklopfen schon reichen.
Der Rest der Welt spendet Ihnen seit Ihrem Durchbruch in den Siebzigerjahren Applaus. Ihre aktuelle Tour wurde coronabedingt auf 2021 verschoben. Hätten Sie gedacht, dass Sie mit 70 noch auf der Bühne stehen würden?
Absolut! Das kam wie aus der Pistole geschossen, nicht? [lacht]. Musik ist meine Berufung. Ich liebe meinen Job. Ich habe 56 Jahre lange mein Handwerk gepflegt und verfeinert, wieso soll ich nicht weiter machen? Wer bestimmt diese Regeln? Ich bestimme sie!
Nutzen Sie jetzt die Zeit wie viele Entertainer, mal Hausfrau zu spielen und Ihre Liebsten zu bekochen?
Mein Mann und ich haben zwei Wohnsitze – ich lebe hauptsächlich in Essex und er in Hamburg. Wir waren also seit dem Lockdown über zwei Monate getrennt, weil wir nicht reisen konnten. Aber ich habe vor Kurzem eines meiner drei Standard-Menüs, ein Pasta-Gericht, für meinen Sohn gekocht. Es ist mir prompt angebrannt. Es war so lustig, ich liess 20 «Suzi’s Rezepte»-T-Shirt mit mir und dem verbrannten Pott drauf drucken. Aber hey: Ich spiele Bass, seit ich vierzehn bin. Wann hätte ich kochen lernen sollen?
Sie waren die Vorreiterin für Frauen in der Rockmusik. Wie setzten Sie sich gegen die Machos durch?
Ich ging nie Kompromisse ein und hatte immer eine gute Nase für Bullshit. Ich weiss innerhalb von wenigen Sekunden, ob jemand ein guter oder schlechter Typ ist. Und ich habe eine grosse Klappe. Ich bin 1,57 m gross und nehme es problemlos mit jedem 2-Meter-Typen auf. Aber ich war ja in allem eine Aussenseiterin: Ich mochte keine langen Haare, obwohl gerade Hippies angesagt waren. Und ich war nie auf Drogen, denn mein Vater sagte immer, dass es egal sei, ob man für zehn Leute in einer Bar oder 10'000 in einer Arena spielt: Die Leute haben bezahlt, dich zu sehen und da geht man nicht besoffen oder stoned auf die Bühne. [ihr Glas hebend] Erst nach der Show trinke ich ein Glas Champagner.
Joan Jett trat in Ihre Fussstapfen und überflügelte vor allem in Ihrem Herkunftsland USA Ihren Erfolg. Welche Beziehung haben Sie zu ihr?
Beziehung ist vielleicht etwas viel gesagt, aber ich kenne sie schon ewig und wir werden uns auch wieder treffen. Ich mag sie. Sie hat im Dokumentarfilm Nettes über mich gesagt. Sie war mein grösster Fan in L.A., bevor sie eine Band gründete. Ich fand es gut, dass sie das tat, denn so konnte sie die Bewunderung auf eine gesunde Weise ausleben.
Sie haben zwei Kinder grossgezogen und sind heute Oma. Waren Sie in Ihren Augen eine gute Mutter oder bereuen Sie, viel unterwegs gewesen zu sein?
Ich bereue prinzipiell nie etwas! Ich glaube schon, dass ich eine gute Mutter war und die Kids gut erzogen habe. Mein damaliger Mann und ich waren gemeinsam auf Tour. Als die beiden Kinder kamen, schlossen sie sich einfach an, bis sie schulpflichtig wurden. Ich glaube nicht, dass sie darunter gelitten haben. Als wir einmal zu Hause einen Fotoshoot hatten und ich mich deswegen in die Lederklamotten stürzte, sagte meine Tochter: «Bist du heute Suzi Quatro?» Sie kannten den Unterschied. Klar vermissten sie mich manchmal. Als ich sie aber um die 40 herum fragte, ob ich mit dem Touren aufhören und zu Hause bleiben sollte, meinten beide sofort, nein, das Touren gehöre doch zu meinem Leben.
Die vielen Touren führten Sie auch in die Schweiz. Welche Erinnerungen kommen da auf?
Sauberkeit! Bis zur Sterilität! Zürich gefällt mir wahnsinnig gut. Obwohl es eine Stadt ist, fühlt es sich an wie ein Dorf. Wie heisst das Hotel da am Wasser? Der Storchen, oder? Anyway, wir haben auch Freunde in der Schweiz, die wir besuchen. Das hat sich ergeben, weil mein Mann Swatches sammelt … und ich habe dafür 800 Sonnenbrillen!
Tragen Sie die alle?
Nein, ich habe welche aus den Zwanzigerjahren. Die trage ich nicht, da sie zu kostbar sind.
Im März haben Sie mit Ihrem Sohn Richard Tuckey das Album «No Control» herausgegeben – wogegen Sie sich angeblich lange gesträubt haben. Weshalb?
Weil ich immer wollte, dass meine Kinder sich selbst sind und nicht ein Anhängsel von mir. Meine Tochter hat eine wunderbare Jazz-Stimme, mein Sohn ist Gitarrist. Er ist zwar stolz auf mich, aber er erzählt nie jemandem auf Anhieb, dass ich seine Mutter bin. Er war hartnäckig und sagte: Mom, ich muss mit dir jetzt Songs schreiben! Ich bin froh, haben wir es gemacht. Er weiss, wie er die Suzi Quatro aus mir herauslockt. Aber es ist nicht einfach mit ihm im Studio. Er weiss, was er will und kämpft dafür. Von wem er das wohl hat?