Wham!-Doku Ohne diesen Mann wäre George Michael nie Weltstar geworden

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

7.7.2023

Blick in die Vergangenheit: George Michael und Andrew Ridgeley sind Wham! Netflix hat eine Doku über die legendäre Boygroup um Frontmann George Michael produziert.
Blick in die Vergangenheit: George Michael und Andrew Ridgeley sind Wham! Netflix hat eine Doku über die legendäre Boygroup um Frontmann George Michael produziert.
Bild: Cr. Courtesy of Netflix © 2023/dpa

Alle bewundern George Michael. Niemand erinnert sich an seinen besten Freund und Partner bei Wham!, Andrew Ridgley. Dabei wäre «Yog» ohne ihn nie ein Popstar geworden. Behauptet jedenfalls die TV-Doku «Wham!».

Von Hanspeter «Düsi» Künzler, London

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Netflix zeigt die neue Doku «Wham!». Mit Archivaufnahmen und Interviews lassen George Michael und Andrew Ridgeley ihre Karriere mit Wham! und ihren Weg von besten Freunden zu Popikonen Revue passieren.
  • Die britische Popgruppe Wham! wurde 1981 gegründet. George Michael veröffentlichte im Herbst 1987 sein erstes Soloalbum «Faith». Der Start einer steilen Karriere im Pop-Business.
  • George Michael starb an Weihnachten 2016 im Alter von 53 Jahren an Herzversagen.

Mensch, wie wir damals Wham! gehasst haben.

Schon das Ausrufezeichen in ihrem Namen war ein guter Grund, sie auszulachen. Die superengen Shorts erst recht, ganz zu schweigen von den Frisuren und den Federbällen, die sie am Konzert live aus den Unterhosen ins Publikum spedierten.

Die Lieder? Zum Vergessen! Oder: «Wake me up when they’re gone gone».

Wir, das waren die Ex-Punks und New-Wave-Fans, die damals die coolen Londoner Musikclubs bevölkerten. Natürlich nahmen wir uns alle furchtbar wichtig.

Zum Autor: Hanspeter «Düsi» Künzler
Bild: zVg

Der Zürcher Journalist Hanspeter «Düsi» Künzler lebt seit bald 40 Jahren in London. Er ist Musik-, Kunst- und Fussball-Spezialist und schreibt für verschiedene Schweizer Publikationen wie blue News und die NZZ. Regelmässig ist er zudem Gast in der SRF3-Sendung «Sounds».

40 Jahre später führe ich mir die brandneue «Wham!»-Doku auf Netflix zu Gemüte, und es überkommt mich leise aber deutlich ein schlechtes Gewissen.

Die Geschichte, die hier erzählt wird, ist bemerkenswert. Und zwar nicht nur darum, weil Georges «Sidekick» darin fast schon die Hauptrolle übernimmt.

Auch darum, weil sie eine Popwelt porträtiert, die in ihrer begeisterungsfähigen Naivität und Spontaneität meilenweit vom stromlinienförmigen Kalkül der heutigen Vermarktungsmethoden entfernt liegt.

Dank David Bowie in der Schule kennengelernt

Andrew Ridgley war zwölf, Georgios Kyriacos Panayiotou («Yog») elf, als letzterer – ein rundlicher Knirps mit Brille, dickem Lockenschopf und linkischen Manieren – der Schulklasse vorgestellt wurde.

«Wer will sich dem Neuling annehmen?», fragte der Lehrer, und die Hand von Ridgley flog spontan in die Höhe. Sofort entdeckten die beiden, dass Musik sie verband, allen voran Elton John und David Bowie.

Nur durfte Yog daheim keine Platten auflegen, denn die Eltern befürchteten, dass diese einen schlechten Einfluss auf ihn ausüben könnten. Zum Leidwesen seines eigenen Vaters kümmerte sich Ridgley wenig um elterliche Gebote.

Schulische Überlegungen hätte von dem Moment an in seinem Leben keine Rolle mehr gespielt, erklärt Ridgley. Seine einzige Ambition habe darin bestanden, mit Yog eine Popband zu gründen.

George Michael: «Ohne dich hätte ich es nicht tun können»

Ein problematisches Unterfangen, denn von einer Band stand selbstverständlich auch nichts im Karriereplan geschrieben, den der strenge Papa für seinen Sprössling ins Auge gefasst hatte.

Aber allen Widrigkeiten zum Trotz blieben die beiden Teenager unzertrennlich. Und beim Abschiedskonzert von Wham! am 28. Juni 1986 vor 70'000 Fans in Wembley umarmte George Michael seinen Freund und sagte zu ihm: «Ohne dich hätte ich es nicht tun können.»

«Wham!», die Doku, zeigt, dass es keine hohle Floskel war. Wie der am Weihnachtstag 2016 verstorbene Michael im zitierten Archivmaterial immer wieder betont, war es Ridgley gewesen, der ihn unermüdlich bestärkt habe in all seinen Absichten.

Der ihm nicht nur bedingungslose Unterstützung zusagte, als er sich kurz nach dem Dreh vom «Club Tropicana»-Video bei ihm und der Begleitsängerin Shirley Holiman als schwul outete, sondern auch dann, als die Trennung von Wham! angesichts der Soloerfolge von George Michael unausweichlich wurde.

«Ich lebte im Moment», sagt Ridgley. «Ich hatte nie das Gefühl, dass ich Musik zum Finden meiner Bestimmung brauchte. Yog dagegen brauchte die Musik, um seinen Charakter zu entdecken.»

Wham! so unbedeutend wie Sesamkörner auf Hamburger

Warum mir der Genuss von Wham! ein schlechtes Gewissen verpasst hat? In der Arroganz unserer Jugend liessen wir damals ironischerweise vollkommen ausser Acht, dass es die Pflicht jeder neuen Generation ist, sich gegen die Vorlieben und Gepflogenheiten der älteren Generationen zu wehren.

Im Internetzeitalter, wo Musikfans jederzeit Zugang zu jeder Musikepoche haben, werden Altersunterschiede vom Musikgeschmack weit weniger stark reflektiert. Damals waren die Grenzen aber noch messerscharf gezogen.

Frühe Songs enthielten dem Zeitgeist entsprechend noch so etwas wie Sozialkommentar («I am! a man! Job or no job/You can't tell me that I'm not« rappen sie im «Wham Rap»). Kurze Zeit wurden sie deswegen sogar von den «kritischen» Musikmedien ernsthaft diskutiert.

Mit «Club Tropicana» zogen sie plötzlich andere Fahnen auf. «Es ist eine Spur Eskapismus in der Szene zu erkennen», erklärte der gerade 20 Jahre alt gewordene George Michael, «wir wollen etwas anderes als schreiende Punks». Eine solche Aussage fanden wir natürlich nur dämlich.

Aus der heutigen Sicht muss ich sagen: Mit ihrer Gegenbewegung zum Punk folgten Wham! und allerhand geistesverwandte Eskapologen bloss einem Naturgesetz.

«Eines Tages werden sie selber merken, wie dumm sie sind»

Und sowieso: Die Haltung war das gute Recht von zwei höflichen Strizzis, die die geniale Idee hatten, den Frust junger Menschen mit dadaistisch angehauchtem Nonsens zu kontern. Stattdessen mussten die Boys Sprüche lesen wie «eines Tages werden sie vielleicht selber merken, wie dumm sie sind».

Ridgley, dessen Beitrag an den Sound und den Liederkatalog von Wham! auf den ersten Blick nicht so leicht erkennbar ist, geriet noch heftiger unter die Räder.

In Grossbritannien wurde sein Name ein Synonym für totale Überflüssigkeit. Etwa so: «Sesamkörner sind der Andrew Ridgley der Garnierungen: Ein Hamburger würde falsch aussehen ohne, aber niemand weiss warum.»

Im Gegensatz zu Michael, der zugab, dass ihn die Häme schmerzte, scheint sie Ridgley gelassen genommen zu haben, selbst dann, als sein einziges Soloalbum nicht einmal die Top 100 knackte, und dann, als seine Autorennfahrerkarriere in den Heuballen landete.

Diese Doku basiert auf Ridgleys vor vier Jahren publizierten Autobiografie. In einem schwärmerischen Artikel in der Times hat der einstige Wham!-Manager Simon Napier-Bell – er arbeitet selber gerade an einem Wham!-Film – bestätigt, dass der Film den Sachverhalt ausgezeichnet wiedergebe.

Nur eine Frage wird nicht beantwortet: Was an Yog war es, das Andrew Ridgley damals in der Schulbank sogleich aufstrecken liess?

Die TV-Doku «Wham» läuft auf Netflix.


Mehr Videos aus dem Ressort

Bastian Baker über die Frauen: «Annina, was erzählst du für einen Seich»

Bastian Baker über die Frauen: «Annina, was erzählst du für einen Seich»

Bastian Baker trat gestern am Montreux Jazz Festival auf. Ein Gespräch mit dem Westschweizer Musiker über seine spezielle Beziehung zu Festivalgründer Claude Nobs, das Älterwerden und sein Image als Frauenversteher.

02.07.2023

Tom Odell: «Ich hoffe, der schlimmste Tag meines Lebens ist hinter mir»

Tom Odell: «Ich hoffe, der schlimmste Tag meines Lebens ist hinter mir»

Tom Odell und sein Pino verzauberten das Publikum in Montreux. Ein Gespräch mit dem Singer-Songwriter über seine Panikattacken und sein bereits 2013 veröffentlichtes Liebeslied «Another Love», dass durch die Proteste im Iran wieder zum Hit wurde.

30.06.2023