Geld ist wichtiger als Wahrheit Musks Netzwerk strotzt vor Desinformationen über den Krieg

Von Dirk Jacquemien

10.10.2023

Dies ist ein echtes Bild von Gaza City.
Dies ist ein echtes Bild von Gaza City.
Keystone

Twitter galt mal als beste Quelle, um schnell an Nachrichten aus erster Hand zu kommen. Doch das X unter Elon Musk ist vor allem eine Plattform für Desinformation.

Von Dirk Jacquemien

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • X ist ein Totalausfall, wenn es um zuverlässige Informationen zum Israel-Hamas-Konflikt geht.
  • Gefälschte Bilder und Videos finden riesige Verbreitung auf der Plattform, angetrieben von vom Eigentümer Musk umgesetzten Änderungen.
  • Der empfahl seinen 160 Millionen Followern auch noch einen antisemitischen Account als Informationsquelle.

Der Arabische Frühling machte Twitter gross. In Echtzeit gab es dort Posts von Menschen vor Ort, die die Anfang der 2010er noch relativ neuen Smartphones nutzen konnten, um die Welt an den Ereignissen teilhaben zu lassen.

Seitdem galt Twitter bei grossen Nachrichtenlagen als guter Ort, um schnell informiert zu werden. Durch einen blauen Haken erkennbare, verifizierte Journalist*innen konnten hier schneller reagieren als etwa im Fernsehen.

Doch durch den neusten Konflikt wird deutlich, dass die inzwischen in X umbenannte Plattform als zuverlässige Nachrichtenquelle weitgehend ausfällt. Hauptverantwortlich dafür ist Eigentümer Elon Musk.

Mehr Reichweite gegen Bezahlung

Bewusste und unbeabsichtigte Fehlinformationen sind zwar natürlich nichts Neues auf Social Media. Doch von Musk umgesetzte Änderungen haben deren Verbreitung auf X massiv gefördert.

Da gibt es zum einen die von Musk bereits letztes Jahr umgesetzte Änderung bei der Verifizierung, die sich inzwischen jeder für 8 Dollar im Monat erkaufen kann. Der blaue Haken kommt inzwischen auch mit besserer Behandlung durch den Algorithmus, sodass Posts von solchen Nutzer*innen häufiger gesehen werden.

Wer also möglichst viel Desinformation verbreiten will, investiert inzwischen die 8 Dollar. Accounts mit blauem Haken posteten etwa Videos aus früheren Konflikten oder aus Videospielen. Bilder von zerstörten syrischen Städten wurden dabei besonders gerne als aktuelles Material aus Gaza verkauft.

Musk empfiehlt unzuverlässige Accounts

Musk trug dann auch noch in Echtzeit dazu bei, dass die Desinformation weitere Verbreitung fand. Er empfahl seinen 160 Millionen Followern zwei Accounts, die sich mit Open Source Intelligence (OSINT) beschäftigten und eine Fülle von Bildern und Videos zum Israel-Hamas-Konflikt posten.

Sauber gemacht, kann OSINT einen wertvollen Beitrag zur Berichterstattung leisten, auch viele grosse, etablierte Medien wie die BBC oder die «New York Times» haben inzwischen ganze Abteilungen, die sich mit OSINT beschäftigen.

Desinformation macht sich bezahlt

Doch die von Musk empfohlenen Accounts lassen jegliche Sorgfalt vermissen. Schon im Mai verbreiteten beide ein gefälschtes Bild einer existenten Explosion am US-Verteidigungsministerium.

Doch auf X gibt es keinerlei Anreiz, sensibles Material zu verifizieren, im Gegenteil. Denn Abonnent*innen von X Premium werden seit Neustem an den Werbeeinnahmen beteiligt, die ihre Posts generieren. Das schafft einen monetären Anreiz, möglichst spektakuläres Material zu posten, unabhängig von dessen Wahrheitsgehalt.

Nachdem sich einer der beiden OSINT-Accounts auch noch als expliziter Antisemit entpuppte, löschte Musk seine Empfehlung kommentarlos.

«Musk hilft Terroristen»

«Elon Musks Änderungen an der Plattform helfen einzig Terroristen und Kriegspropagandisten», sagt etwa Emerson Brooking vom Atlantic Council Digital Forensics Research Lab zu «Wired».

Eine klare Alternative oder Ersatz für X ist allerdings auch nicht ersichtlich. Mit Threads von Meta, dem Open-Source-Projekt Mastodon und dem von Twitter-Gründer Jack Dorsey initiierten Bluesky gibt es inzwischen drei X/Twitter-Kopien. Doch wirklich durchgesetzt hat sich noch keine von ihnen.