«Völlig neue Dimension» Geld für Influencer gegen Fake News zur Corona-Impfung

twei

4.6.2021

Instagram oder Youtube werden von Influencern mittlerweile auch genutzt, um sinnhafte Botschaften an ihre Follower zu geben.
Instagram oder Youtube werden von Influencern mittlerweile auch genutzt, um sinnhafte Botschaften an ihre Follower zu geben.
Archivbild: Christin Klose/dpa-tmn

Fake News in sozialen Medien sind nichts Neues. Doch nun sollen in der Corona-Pandemie Influencer gezielt Stimmung gegen Impfstoffe machen – zumindest, wenn es nach den mutmasslich russischen Drahtziehern geht.

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Eigentlich waren soziale Medien als Verbindungsglied zu alten Freunden oder fürs Knüpfen neuer Kontakte konzipiert, doch längst sind Twitter, Facebook und Co. auch zum Sammelbecken kruder Ideen verkommen.

Fake News werden über unzählige Kanäle in Massen verbreitet, ersonnen ebenso von der anonymen Masse wie von prominenten Stimmen – man erinnere sich nur an den Ex-Präsidenten der USA, Donald Trump. Schon bei seinem Wahlsieg 2016 verstand es Trump, soziale Medien triumphal zu nutzen – selbst wenn er sich dafür der zweifelhaften Mechanismen der digitalen Manipulation bedienen musste.



Auch in der Corona-Pandemie offenbarte sich das gefährliche Potenzial jener Dienste, die als Multiplikator von Verschwörungstheorien rund um Covid-19 wirken: Schon seit einigen Monaten wird dort bedenkliche Stimmungsmache gegen Corona-Impfstoffe betrieben – insbesondere Vakzine westeuropäischer und US-amerikanischer Hersteller.

Wie das deutsche Redaktionsnetzwerk «netzpolitik.org» in Zusammenarbeit mit dem ARD-Magazin «Kontraste» aufdeckte, erreichte die Tragweite von Desinformationskampagnen nun eine neue Ebene.

Spuren führen nach Russland

Demnach werden mittlerweile gezielt erfolgreiche Influencer kontaktiert, um für eine finanzielle Gegenleistung Falschinformationen über den Impfstoff von Biontech/Pfizer zu verbreiten. Drahtzieher hinter der lancierten Fake-News-Kampagne ist eine Agentur in der britischen Hauptstadt London. Die Auftraggeber vermutet man in Russland. Das überrascht kaum: Schon bei Trumps Wahlsieg 2016 waren die Indizien ähnlich.

Zahlen eines aktuellen Reports von Facebook untermauern derlei Vorwürfe gegen Moskau. Laut des kürzlich veröffentlichten Berichts «Combating Influence Operations» enttarnte Facebook in den Jahren 2017 bis 2020 ganze 23 Desinformationsnetzwerke, die aus Russland kommen. Diese Akteure nutzen darüber hinaus auch andere Netzwerke wie etwa Instagram, YouTube und Telegram für ihre Zwecke.

Wie die Drahtzieher hinter der Kampagne vorgehen, machten unter anderem Schilderungen des Journalisten Mirko Drotschmann klar, der den YouTube-Kanal «MrWissen2go» betreibt. Mitte Mai twittert er den Screenshot einer Mail, die er erhalten hatte. Darin wird er dazu aufgefordert, gegen eine Bezahlung einen Link zu verbreiten «mit angeblichen Daten eines Hacks zu Todesfällen bei Biontech-Impfungen», wie Drotschmann dem WDR schilderte.

«Das ist eine völlig neue Dimension»

Drotschmann sei überrascht gewesen, «wie plump diese Anfrage war«, so der YouTuber im Gespräch mit «netzpolitik.org». «Man hat gemerkt, dass die Agentur sich überhaupt nicht über die Person informiert hat, die sie angeschrieben hat.» Solche Anfragen seien generell nichts Neues, aber: «Dass man Geld angeboten bekommt, um Falschnachrichten zu verbreiten, ist eine völlig neue Dimension.»

Nicht alle kontaktierten Influencer gehen allerdings so reflektiert an die Sache heran. Der indische YouTuber Ashkar Techy, der immerhin 500'000 Follower hat, teilte ebenso ein Video über eine vermeintlich dramatische Anzahl an Todesfällen im Zusammenhang mit der Biontech-Impfung wie der brasilianische Influencer Everson Zoio.

«Die Dreistheit dieser neuen Kampagne, die sich an YouTuber richtete, hat mich erstaunt», sagt der Cybercrime-Experte Danny Rogers von der New York University dem «Tagesanzeiger». Bislang habe man vor allem drei Trends beobachtet: einerseits Aktionen, die geopolitische Ziele verfolgen, andererseits Bestrebungen, mit Falschinformationen Geld zu verdienen und drittens Kampagnen, die dem politisch rechten Milieu zuzuordnen sind.

Subtile Tricks gegen den Algorithmus

Zwar haben YouTube und Co. zuletzt nach Kräften versucht, ihre Algorithmen anzupassen, um seriöse Quellen bei Suchergebnissen nach oben wandern zu lassen, doch die Desinformationsnetzwerke haben sich schnell angepasst.

Es sei ein subtiler Gedankengang, YouTuber und andere Influencer vor den Karren zu spannen, findet David Broniatowski, Professor am Massachusetts Institute of Technology: «Das eröffnet ganz neue Zielgruppen. Ich schaue beispielsweise ein Video über Make-up, und plötzlich kommt noch eine Botschaft zum Impfen.»



Um die Vorgaben der sozialen Medien zu umgehen, bekamen die  Influencer extra Anweisungen: Sie sollten Begriffe wie «Werbung» oder «gesponsertes Video» vermeiden. Dazu der Appell: «Tun Sie so, als hätten Sie die Leidenschaft und das Interesse an diesem Thema. Präsentieren Sie das Material als Ihre eigene, unabhängige Sichtweise.»

Fake-News-Kampagnen auch in der Schweiz ein Problem

Finanziell versprechen Desinformationskampagnen gute Gewinne. Laut des Berichts «The Business of Anti-Vax» vom NGO Center for Countering Digital Hate (CCDH) werden in der Impfgegner-Industrie jährlich mindestens 36 Millionen Dollar umgesetzt. Ausgangspunkt der Bewegung sind oft die USA, aber Danny Rogers warnt: «Wir beobachten einen konstanten Strom extremistischer Inhalte nach Europa.»

Auch in der Schweiz hat man bereits Erfahrung mit Fake News gemacht, wie die Kommunikationswissenschaftlerin Edda Humprecht von der Universität Zürich dem «Tagesanzeiger» bestätigt. Es habe vermehrt Versuche gegeben, «Desinformationen zu den Impfungen auf Social Media zu verbreiten». Der finanzielle Aspekt steht hierzulande allerdings nicht im Fokus.

Dafür sei der Markt in der Schweiz zu klein, wie die Forscherin erläutert: «Bei uns geht es vor allem um Gruppen, die aus ideologischen oder politischen Gründen handeln.» Themen-Schwerpunkte seien die Aversion gegen Eliten, Impfskepsis und Verschwörungstheorien. Ein beliebter digitaler Raum für den Austausch solcher Gruppen ist demnach Telegram.