Kampf gegen geteilte PasswörterNetflix vergrault und verschreckt ehrliche Kunden
Von Dirk Jacquemien
1.6.2022
Netflix will bald gegen das Teilen von Passwörtern vorgehen. In Peru tut der Streaming-Dienst das bereits — und sorgt für Chaos und Verwirrung.
Von Dirk Jacquemien
01.06.2022, 11:52
01.06.2022, 14:02
Dirk Jacquemien
Noch in diesem Jahr soll es auch Schweizer Abonnent*innen von Netflix nicht mehr möglich sein, ihre Passwörter mit haushaltsfremden Personen zu teilen. Der Streamingdienst ist stark ins Straucheln geraten und hofft so, die eigenen Abo-Zahlen wieder etwas aufzubessern.
Doch wie genau das Teilen von Passwörtern unterbunden werden soll, ist noch unklar. Denn die technische Umsetzung ist alles andere als trivial. In Chile, Costa Rica und Peru testet Netflix die neue Härte bereits. Wer den Account mit anderen Haushalten teilt, muss eine Extragebühr zahlen, so die Theorie. Doch wie «Rest of the World» berichtet, läuft es dabei alles andere als rund.
Um festzustellen, ob ein und derselbe Account von verschiedenen Haushalten verwendet wird, hat Netflix eine Reihe von Möglichkeiten. Es kann zum Beispiel die verwendeten Geräte oder die IP-Adressen verfolgen.
Doch dabei besteht die Gefahr für Falsch-Positiv-Meldungen. Was passiert, wenn du zu Hause Netflix auf dem Fernseher schaust, aber dann in den Ferien auf dem Tablet? Was passiert, wenn du Netflix über das heimische WLAN schaust, aber die Tochter im Kinderzimmer über das Mobilfunknetz? Diese klare Nutzung im selben Haushalt könnte für Netflix wie Passwort-Teilen aussehen. Kurzum, das Potenzial, aufrechte Kund*innen durch Überhärte zu verschrecken, ist gross.
Das weiss auch Netflix und hat sich daher für den ersten Versuch dieser neuen Praxis für sein Gesamtgeschäft eher unwichtige Märkte in Lateinamerika ausgesucht. In Peru kostet das Netflix-Abo beispielsweise umgerechnet 6.50 Franken im Monat.
Uneinheitliches Vorgehen
Peruanische Nutzer*innen wurden allerdings nicht vorab vom Unternehmen informiert, dass es nun das Teilen von Passwörtern unterbinden werde, wie «Rest of the World» schreibt. Stattdessen bekommen scheinbar willkürlich einzelne Nutzer*innen das neue Netflix-Vorgehen zu spüren.
Carlos Luque aus der Hauptstadt Lima beispielsweise teilt seinen Netflix-Account mit seiner Freundin, seinen Eltern und seinem Bruder, die alle in unterschiedlichen Haushalten wohnen. Das dürfte ein klarer Verstoss gegen die Netflix-Regeln sein, aber gegen ihn ging das Unternehmen bisher nicht vor.
Anders bei Gabriela A., ebenfalls aus Lima. Zwei ihrer Freunde, die ihren Netflix-Account mitbenutzen, bekamen Warnmeldungen angezeigt. Doch diese liessen sich einfach wegklicken und der Account konnte vorerst ungestört weiterverwendet werden. Andere Nutzer*innen hatten jedoch nicht so viel Glück. Doch als sie mit dem neuen Vorgehen konfrontiert wurden, kündigten viele einfach anstatt die verlangte Extragebühr zu entrichten.
Erwischt hat es offenbar allerdings auch vertragstreue Kund*innen. Eine Mitarbeiterin des Netflix-Kundendiensts, die anonym mit «Rest of the World» sprach, erklärte das Vorgehen, wenn Abonennt*innen anrufen und sich beschweren, dass Personen aus ihrem Haushalt den Account nicht mehr nutzen können.
Der Kundendienst solle in diesen Fällen einen «Verifikations-Code» herausgeben, mit dem die Nutzung weiter möglich wäre, so die Anweisung aus der Netflix-Chefetage. Ehrliche Nutzer*innen jedoch dazu zu zwingen, erst bei Netflix anrufen zu müssen, um ihr bezahltes Abo weiter zu nutzen, dürften auf Dauer nicht zur Kundenzufriedenheit beitragen.
Netflix hat also noch einiges an Arbeit vor sich, damit sein Durchgreifen gegen das Passwort-Teilen nicht nach hinten losgeht. In gewisser Weise rächt sich nun, dass der Streaming-Pionier lange so tolerant war. Andere Streaming-Anbieter verhängten schon von Beginn an etwa Beschränkungen bei der Anzahl der erlauben Geräte.