Kolumne am Mittag Die wundersame Wiederkehr von Karl Klammer

Von Dirk Jacquemien

12.8.2021

Öffentlich entlassen: Diese Erniedrigung musste sich der aufrichtige Clippy 2001 ausgerechnet von Bill Gates und Jeff Bezos, zwei deutlich suspekteren Persönlichkeiten, gefallen lassen.
Öffentlich entlassen: Diese Erniedrigung musste sich der aufrichtige Clippy 2001 ausgerechnet von Bill Gates und Jeff Bezos, zwei deutlich suspekteren Persönlichkeiten, gefallen lassen.
Bild: Getty Images

Karl Klammer war seiner Zeit voraus und wurde ein frühes Opfer der Cancel Culture. Doch knapp zwei Jahrzehnte nach seiner Säuberung steht Clippy vor der Rehabilitation.

Von Dirk Jacquemien

Ob Siri oder Alexa: Persönliche Assistenten sind in der digitalen Welt nicht mehr wegzudenken. Doch dem wirklichen Pionier in diesem Bereich, dem Neil Armstrong der persönlichen Assistenten, wurde nie der Respekt zuteil, der ihm zusteht.

Ich rede natürlich von Clippy, in der deutschen Übersetzung Karl Klammer genannt, dem stets gut gelaunten Assistenten von Microsoft Office, der Nutzer*innen in schwierigen Momenten fragte, «Brauchen Sie Hilfe?». Für dieses selbstlose Hilfsangebot wurde er beleidigt und diffamiert. 

Doch was hatte Karl getan, um so schäbig behandelt zu werden? Verkaufte er Nutzerdaten nach Nordkorea? Dinierte er mit Jeffrey Epstein? Nein, er sei einfach nur «nervend», Microsoft-Mitarbeiter*innen bezeichnen ihn sogar intern als «TFC», kurz für «the fucking clown».



Aber anstatt als Mobbing-Opfer vom Unternehmen in Schutz genommen zu werden, wurde er 2001 auf einer Konferenz in aller Öffentlichkeit gefeuert, während ihn Microsoft-Pate Bill Gates und 10-Minuten-Astronaut Jeff Bezos auch noch erniedrigen.

Andere Microsoft-Assistenten sind Rassisten

Doch in den Jahren danach holte das Karma zu Microsoft auf. Während die erwähnten Siri und Alexa für Konkurrenzunternehmen ein riesiger Erfolg wurden, konnte sich die Windows-Assistentin Cortana nie wirklich durchsetzen.

In Windows 11 wird Cortana daher noch nicht einmal mehr einen Platz in der Taskleiste bekommen – gesäubert wie einst Clippy.

Andere Versuche Microsofts, persönliche Assistenten zu entwickeln, scheiterten noch kläglicher. Einen von künstlicher Intelligenz angetriebenen Chatbot namens Tay musste Microsoft 2016 nach weniger als einem Tag wieder abschalten, weil Tay rassistische Beleidigungen von sich gab und den Holocaust leugnete.

Karl bekommt endlich Respekt

Langsam aber sicher merkt daher auch Microsoft, was für ein Kleinod es mit Karl Klammer in seinem Portfolio hat. Auf seinem Twitter-Profil versprach Microsoft, dass es das Büroklammer-Emoji durch ein Bild von Clippy ersetzen würde, wenn der Tweet 20’000 Likes bekomme.

Es wurden 175’000 Likes — ein klarer Beweis dafür, dass das Volk Karl liebt. Nach viel zu langer Zeit im digitalen Exil ist Clippy also endlich rehabilitiert. Nachdem Karl so viel Unrecht widerfahren ist, stehen wir alle nun in der Pflicht zu fragen:

«Wie können wir dir helfen, Clippy?»

Regelmässig gibt es werktags um 11:30 Uhr und manchmal auch erst um 12 Uhr bei «blue News» die Kolumne am Mittag – sie dreht sich um bekannte Persönlichkeiten, mitunter auch um unbekannte – und manchmal wird sich auch ein Sternchen finden.