Die Klimastreik-Bewegung macht immer wieder mit zivilem Ungehorsam auf sich aufmerksam. Nicht nur rechtlich ist dies heikel, es könnte auch die Unterstützung in der Gesellschaft untergraben.
Von Lia Pescatore
12.05.2021, 23:30
13.05.2021, 09:17
Lia Pescatore
Seit Mittwoch stehen mehrere Klimaaktivisten in Zürich vor Gericht. Die neun Angeklagten waren an einer Blockade des Eingangs der Credit-Suisse am Zürcher Paradeplatz beteiligt, die im Juli 2019 stattfand. Mit Velos, Blumentöpfen und Absperrgittern ausgerüstet blockierten mehrere Dutzend Klimaaktivisten, darunter Mitglieder von Greenpeace, Schüler der Klimastreik-Bewegung und Aktivistinnen vom Kollektiv Climate Justice, den Eingang. Gleichzeitig fand eine ähnliche Aktion vor der UBS in Basel statt.
Den Angeklagten wird Nötigung und einigen zusätzlich Hausfriedensbruch vorgeworfen. Vor Gericht sprach die Staatsanwaltschaft am Mittwoch von einem «Theater», das an jenem Vormittag gespielt worden sei. Die Angeklagten schwiegen mehrheitlich zu den Anschuldigungen.
Es ist nicht das erste Mal, das Klimaaktivisten vor Gericht stehen, doch vermehrt sind es auch Anhänger der Klimastreik-Bewegung, die anfangs vor allem mit friedlichen Protestumzügen für Aufmerksamkeit sorgten. Die Corona-Pandemie verunmöglichte diese aber, neue Konzepte mussten her. Das Thema Klima rückte in den Hintergrund – doch trotzdem schaffte es die Bewegung vergangenen Herbst auf sich aufmerksam zu machen. Sie besetzten für mehrere Tage den Bundesplatz, alleine wegen dieser Aktion kam es zu Dutzenden Festnahmen.
Solidarisiert hat sich die Bewegung zudem mit Besetzungsaktionen wie jener im deutschen Hambacher Forst, wo sich Klimaaktivisten während Jahren für die Erhaltung eines kleinen Waldstückes einsetzen und teilweise auch Gewalt eingesetzt wird. Die Kampagne wurde vom deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz als linksextremistisch beeinflusst bezeichnet.
Jurist: Ein Klimanotstand gibt es rechtlich nicht
Auch dieses Jahr will die Klimastreik-Bewegung voll auf das Mittel des zivilen Ungehorsams setzen. So heisst es in der Strategie, welche sie Anfang dieses Jahres veröffentlicht hat: «Um eine Atmosphäre der Veränderung zu fördern, braucht es nun massenhaften kollektiven Ungehorsam.» Als Grund wird häufiger der Klimanotstand genannt. So sagte zum Beispiel eine Klimastreikende im Gespräch mit der Republik, «bis ein mögliches Klimagesetz nach unseren Vorstellungen in der Verfassung stünde, würden Jahre vergehen. Zeit, die wir nicht mehr haben. Das hätte man vor 30 Jahren angehen müssen».
Rechtlich sehe die Schweizer Verfassung einen Klimanotstand nicht vor, sagt Patrice Martin Zumsteg, Dozent für öffentliches Recht an der ZHAW. «Die Schweizer Verfassung schützt strafrechtliche Handlungen nicht, nur weil jemandem der rechtliche Weg zu lange dauert», sagt er. Es bräuchte vielmehr eine unmittelbare Gefahr, etwa für Leib und Leben, um strafrechtliche Handlungen rechtfertigen zu können, wie zum Beispiel auch für die Rechtfertigung der Notwehr. «Die Bedrohung durch die Klimaveränderung steht jedoch nicht unmittelbar bevor, es wird vielmehr je nach Verlauf noch mehrere Generationen dauern, bis die Bedrohung wirklich greifbar ist.»
Mehrere kantonale Gerichte entschieden aber anders. So sprach das Genfer Kantonsgericht im Oktober 2020 einen jungen Aktivisten frei, nachdem er ein CS-Gebäude mit abwaschbarer Farbe verschmiert hatte. Das Gericht machte den rechtfertigenden Notstand geltend.
In einem anderen Fall im Waadt wurden hingegen der Freispruch von angeklagten Klimaaktivisten, die in einer CS-Filiale Tennis spielten, in zweiter Instanz wieder aufgehoben. Patrice Martin Zumsteg ist sich sicher, dass schlussendlich das Bundesgericht darüber entscheiden wird, inwieweit die Klimaveränderung zivilen Ungehorsam rechtfertigen kann. «Es ist allgemein bekannt, dass die Klimabewegung vermehrt zu solchen Aktionen greift, da wird das Bundesgericht eine einheitliche Rechtsprechung durchsetzen wollen», sagt Zumsteg.
Für Zumsteg ist jedoch auch klar: Die Verfassung sieht den politischen Weg über Initiative und Referendum vor, um Ziele wie die der Klimabewegung durchzusetzen. Beim CO₂-Gesetz hätten Klimaaktivisten ja auch das Referendum unterstützt.
Wie radikal ist zu radikal für die Bevölkerung?
Mit dem vermehrten Einsatz von zivilem Ungehorsam würde sich die Klimabewegung rechtlich eher ins Abseits manövrieren. «Die Rechtsprechung ist ganz klar. Wer bei Demonstrationen zu rechtswidrigen Mitteln greift, kann sich nicht auf die Versammlungs- und Meinungsfreiheit berufen», sagt Zumsteg. Wenn es während Demonstrationen häufiger zu Ausschreitungen komme, könnte sich dies negativ auf zukünftige Bewilligungen auswirken.
Nicht nur rechtlich könnte die Strategie ziviler Ungehorsam negative Folgen haben. So sagt die Umweltpsychologin Oriane Sarrasin zum «Blick», dass aufmerksamkeitserregende Aktionen zwar das Bewusstsein für ein Thema ändern würden. «Aber wenn sie zu radikal oder gar gewalttätig sind, wird das Ziel nicht erreicht», warnt sie.
Für Sozialanthropologin Simone Gretler Heusser ist die Grenze nicht einfach zu ziehen. So gehe der Erfolg von Organisationen wie Greenpeace genau auf ihre radikalen Aktionen zurück, erklärt sie dem «Blick». Wichtig sei, dass die Bewegung den Bezug zur Bevölkerung nicht verliere und den Dialog fördere.
Nächste Aktion schon in den Startlöchern
Am 21. Mai plant der Klimastreik bereits die nächste Aktion, einen weiteren «Strike for Future», sich beteiligen werden auch mehrere Gewerkschaften, unter anderem die Unia. Mehrere Grossdemonstrationen seien geplant, die meisten davon seien auch bewilligt, teilte die Bewegung am Montag an einer Medienkonferenz mit.
Doch wie weit wird der zivile Ungehorsam in knapp zwei Wochen gehen? Der Klimastreik hält auf seiner Webseite fest: «Alle Aktionen sind non-violent», also gewaltfrei. Bei Sachbeschädigungen ist der Verhaltenskodex jedoch nicht so absolut, es heisst: «Weiterhin sollen Sachbeschädigungen vermieden werden.»