Experte im Gespräch «Bewegung und Sex sind wichtige Faktoren für Glück»

Von Sulamith Ehrensperger

18.1.2021

Nicht nur Langlaufen, auch Glück kann man trainieren. 
Nicht nur Langlaufen, auch Glück kann man trainieren. 
Bild: Keystone

Was tun, wenn die Stimmung im Keller ist? Was fast sofort Glücksgefühle verursacht und wie man Glück erlernen kann – ein Gespräch mit Glücksforscher Stefan Klein.

Hatten Sie heute einen richtig entmutigenden Wochenstart? Kein Wunder, denn heute ist «Blue Monday» (blauer Montag), der offiziell deprimierendste Tag des Jahres. Der britische Psychologe Cliff Arnall hat den Begriff erstmals geprägt. Er fand heraus, dass die meisten Menschen am dritten Montag des Jahres schwarz sehen. Berechnet wird der blaue Montag mithilfe eines mathematischen Gleichungssystems.

Das ist aber kein Grund zu zweifeln, denn auch fürs Glücklichsein gibt es eine Formel. Glücksforscher Stefan Klein kennt sie: 

Herr Klein, Sie haben zwei Bücher über die Wissenschaft vom Glück geschrieben. Sind Sie seither glücklicher?

Ich wäre blöd, hätte ich das Wissen aus meinen Recherchen nicht selbst genutzt. Deswegen habe mich von gewissen Illusionen verabschiedet und mir bestimmte Gewohnheiten angeeignet.

Verraten Sie mir, welche?

Ich messe mich weniger an anderen und denke weniger darüber nach, was andere über mich denken. Ich habe gelernt, leichter mit negativen Gefühlen wie Wut oder Trauer umzugehen. Und ich bewege mich mehr. Ich weiss nun, dass ich glücklicher bin, wenn ich den guten Momenten Aufmerksamkeit schenke.

Haben Sie herausgefunden, was Glück nun ist?

Glück ist ein Signal, das die Natur erfunden hat, um uns zu zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Mit Glücksgefühlen werden wir verlockt, Dinge zu tun, die gut für uns sind. So lernen wir, welche Situationen wir suchen und schaffen sollen. Negative Gefühle funktionieren genau umgekehrt – beispielsweise bringt uns die Angst dazu, Gefahren zu vermeiden.

Zur Person: Stefan Klein 
Porträt Stefan Klein, Autor und Wissenschaftler
Bild: Andreas Labes

Stefan Klein ist Physiker, Philosoph und der erfolgreichste Wissenschaftsautor deutscher Sprache. Er wandte sich dem Schreiben zu, weil er «die Menschen begeistern wollte für eine Wirklichkeit, die aufregender ist als jeder Krimi». Sein Bestseller «Die Glücksformel» machte den Autor auch international bekannt. Mit dem Thema beschäftigte er sich auch in «Die Ökonomie des Glücks». Sein 14. Buch erscheint in Kürze: «Wie wir die Welt verändern».

Gibt es eine Art Glücks-Gen?

Die Mechanismen, die solche Emotionen hervorrufen, und die Weise, wie wir sie ausdrücken, sind uns angeboren. Wir wissen, dass unsere genetischen Anlagen unsere Gefühle sehr stark bestimmen. Darin liegt der tiefere Grund dafür, dass Glücksempfinden in unterschiedlichen Lebenslagen sehr ähnlich ist. Ein gutes Essen geniessen, Sex haben oder eine Arbeit erfolgreich abschliessen – es ist immer dieselbe Melodie der Freude, nur die Orchestrierung unterscheidet sich. Neurobiologisch betrachtet, gibt es eigentlich nur zwei Grundformen des Glücks. Die eine ist das Begehren, die andere das Geniessen.

Kann man Glück lernen?

Wir alle sind von Natur aus dafür eingerichtet, Glück zu empfinden. Jeder kann dies trainieren. Zum Beispiel, indem wir uns gezielt in Situationen bringen, in denen wir wahrscheinlich Glück empfinden werden. Mit Üben können wir beeinflussen, wie wir bestimmte Situationen erleben. Durch dieses Training verändert sich das Gehirn. Entscheidend dabei ist, dass diese Veränderungen durch Wiederholen zustande kommen. Das bedeutet: Indem wir trainieren, bestimmte Situationen auf eine bestimmte Art und Weise zu erleben, können wir das Gehirn umgestalten. Wenn Sie das üben, wird es Ihnen mit der Zeit immer leichter fallen, Gefühle wie Freude zu erleben.

Dann besteht also für Griesgrame und Miesepeter noch Hoffnung. Wie aber funktioniert das Glücklichwerden in der Praxis?

Sie können beispielsweise lernen, Ihre negativen Emotionen zu kontrollieren. Wenn Ihnen jemand einen Parkplatz vor der Nase wegschnappt, ärgern Sie sich. Viele glauben, es sei eine gute Idee, Wut so richtig rauslassen, weil sie sich so entlädt. Doch das stimmt nicht. Tatsächlich passiert etwas anderes, wenn Sie sich aufregen. Schreien Sie Ihr Gegenüber an, bekommen Sie den Parkplatz trotzdem nicht. Sie sind jedoch länger im Zustand der negativen Emotion geblieben, als es notwendig war. Dadurch haben Sie Ihren Körper mit Stresshormonen überschüttet – und die Wahrscheinlichkeit gesteigert, dass Sie beim nächsten Parkplatz-Zwischenfall wieder einen Wutausbruch bekommen. Viel besser ist es, diese negative Emotion wahrzunehmen und danach zur Tagesordnung überzugehen. Denken Sie einfach an die nächste Chance oder an etwas ganz anderes.

Verdränge ich so nicht einfach meine Wut?

Wenn Sie trainieren, sich damit nicht lange aufzuhalten, werden Sie mit der Zeit Ihre Wut immer besser kontrollieren können. Das heisst nicht, die Emotion zu unterdrücken – Sie nehmen sie ja wahr. Aber Sie lernen, schneller wieder davon loszukommen – und werden sich besser fühlen.

Was braucht es noch, um glücklicher zu sein?

Zum Glück gehört auch die Körperwahrnehmung. Darum sind Bewegung und Sex wichtige Faktoren, die guten Gefühlen den Weg bereiten. Sport etwa setzt Hormone frei, Endorphine und wahrscheinlich auch Serotonin. Tätigkeit ist ein Schlüssel zum Glück. Wir glauben ja häufig, Glück sei, alle Viere von sich zu strecken. Das ist falsch. Wir sind nicht für das träge Leben gemacht. Unser Gehirn bestraft uns dafür regelrecht mit negativen Gefühlen der Abgespanntheit, der Gereiztheit und der Unlust.

Faulenzen macht also gar nicht glücklich.

Das heisst nicht, dass es nicht guttun kann, einmal auszuspannen, wenn man sich angestrengt hat. Es heisst aber wohl, dass ein ständiges Faulenzen, beispielsweise vor dem Fernseher, nicht zu guten Gefühlen führt. Gute Gefühle bekommen Sie vor allem, wenn Sie sich Ziele setzen und auch versuchen, sie zu erreichen. Dabei entsteht Lust, die Lust des Begehrens, des Wollens, die Lust auf das Neue. Neurobiologisch gesehen sind die Mechanismen für Lust und Neugierde dieselben. Bei all dem ist es weniger wichtig, was Sie tun. Hauptsache, Sie tun etwas, das Ihnen Spass macht.

Trägheit macht uns also unglücklicher. Was noch?

Auch schwierige, unveränderbare Lebensbedingungen machen Menschen unglücklich, Krankheit etwa. Dennoch: Die Lebensumstände haben weniger mit der Gemütslage zu tun, als man meinen möchte. Oft kann man bei Menschen, die eine schwere Krankheit haben oder ein schweres Familienschicksal, ganz Erstaunliches beobachten: Sie haben trotz ihres Schicksals die Fähigkeit zum Glück nicht verloren. Sie können sich an kleinen Dingen freuen, etwa an menschlichen Begegnungen, an Wahrnehmungen. Umgekehrt gibt es Leute, die ganz ohne äusseren Anlass so unglücklich sind, dass das Leben für sie eine einzige Qual ist. Solche Menschen leiden unter Depressionen.

Menschen tun viel fürs eigene Glück. Dennoch scheinen sie nicht glücklicher damit zu werden.

Dem liegt eine Verwechslung von Glück und Zufriedenheit zugrunde. Zufriedenheit ist im Gegensatz zu Glück kein Gefühl. Sie ist die Folge eines Urteils und entsteht, wenn wir über unser Leben nachdenken. Dabei machen wir uns Massstäbe zu eigen, die in hohem Masse von unserer Kultur geprägt sind. Glück dagegen wird von allen Menschen weltweit gleich empfunden. Es findet, wie alle Gefühle, in der Gegenwart statt. Sie sagen: Ich bin jetzt glücklich. Zufriedenheit entsteht im Rückblick. Der Vergleich mit früheren Lebenslagen und mit anderen spielt eine wichtige Rolle dabei. Wenn ich Sie frage: «Sind Sie mit Ihrem Leben zufrieden?», werden vor Ihrem inneren Auge sehr viele Dinge vorbeiziehen, die Sie bewerten. Erst dann werden Sie zu einem Schluss kommen.

Geben Sie uns ein Beispiel.

Wenn Sie beispielsweise den Mann Ihres Lebens gefunden haben und mit ihm eine Familie gründen, empfinden Sie durchaus momentanes Glück. Aber sobald Sie sich an die neue Situation gewöhnt haben, werden Sie unzufrieden.

Man muss sich also immer neue Ziele setzen. Das dürfte in der Berufswelt leichter sein als im Privatleben. Meinen Partner kann ich ja nicht ständig wechseln.

Das ist in der Tat der Weg, den viele Leute wählen – und immer nur mit vorübergehendem Erfolg. Sie haben aber eine Alternative dazu. Sie können im Vertrauten Neues entdecken, an ihrem Partner neue Züge erkennen, ihre Umgebung genauer wahrnehmen, neue Freunde gewinnen, ohne dass sie gleich ihr Leben umkrempeln müssen. Ob privat oder beruflich, es kommt nicht nur darauf an, dass Sie bestimmte Dinge tun, sondern auch, dass Sie bestimmte Dinge vermeiden.

Welche?

Ich selbst habe gelernt, weniger auf andere zu schielen. Sich zu vergleichen ist eine der grössten Fallen auf dem Weg zum Glück. Eine andere Falle sind falsche Erwartungen. Zu hohe Erwartungen sind genauso wenig hilfreich wie zu niedrige. Denn die Natur hat die Erwartung erfunden, um uns zur Aktivität anzuregen. Unrealistisch hohe Erwartungen aber führen oft zu unnötigen Enttäuschungen. Eine weitere Falle: Sich zu sehr von äusseren Einschätzungen und Lob abhängig zu machen. Das Lob von anderen haben wir nicht selbst in der Hand. Was wir nicht in der Hand haben, können wir nicht kontrollieren. Das bedeutet Stress für uns – und der ist oft genug Grund für Niedergeschlagenheit.

Ist es schwierig, das Glück zu erlernen?

Nein, es ist vor allem eine Sache der Übung. Wir alle tragen alle Anlagen zum Glück in uns.

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