Rechtsradikale Randalierer Mob attackiert Unterkünfte für Asylbewerber in England – Starmer: «Ihr werdet es bereuen»

dpa

5.8.2024 - 05:46

Grossbritannien: Rechtsradikale und antimuslimische Proteste nach tödlicher Messerattacke

Grossbritannien: Rechtsradikale und antimuslimische Proteste nach tödlicher Messerattacke

Der mutmassliche Täter ist laut Polizei ein 17-jähriger Brite. Seine Eltern sind aus Ruanda eingewandert. Über Soziale Medien wurde das Gerücht verbreitet, es handele sich um einen muslimischen Asylbewerber.

05.08.2024

Grossbritannien kommt nicht zur Ruhe. Wieder gibt es heftige Krawalle und Zusammenstösse zwischen Rechtsextremen und der Polizei sowie Gegendemonstranten. Vor einem mutmasslich als Asylunterkunft genutzten Hotel spielen sich verstörende Szenen ab, die den Premier auf den Plan rufen.

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  • In der nordenglischen Stadt Rotherham haben Vermummte am Sonntag versucht, ein Hotel zu stürmen, in dem sie Asylbewerber vermuteten.
  • In einer Stadt nordöstlich von Birmingham griffen Randalierer am Sonntag eine weitere Unterkunft für Asylbewerber an.
  • Viele der Angreifer waren vermummt.
  • Der britische Premierminister Keir Starmer hat den Angriff scharf verurteilt.

Grossbritannien kommt nicht zur Ruhe. Bei Protesten von Rechtsextremen ist es auch am Sonntag zu neuen Szenen der Gewalt gekommen. Im nordenglischen Rotherham versuchten teils Vermummte, ein Hotel zu stürmen, das sie für eine Asylunterkunft hielten. Bilder des Nachrichtensenders Sky News zeigten, wie Polizisten sich mühten, den Mob zurückzudrängen.

Zu sehen war, wie sich eine Kette aus Beamten mit Schutzschilden einem Hagel von Wurfgeschossen entgegenstellte. Holzstücke, Stühle, Feuerlöscher und andere Gegenstände flogen in die Richtung der Polizisten.

Ein kleines Feuer brannte, Fenster des Gebäudes waren eingeschmissen. Mindestens ein Bereitschaftspolizist wurde verletzt weggetragen. Ein Polizeihelikopter kreiste in der Luft. Letztlich gelang es den Sicherheitskräften, die Lage einigermassen unter Kontrolle zu bringen.

In einer Stadt nordöstlich von Birmingham griffen Randalierer am Sonntag eine weitere Unterkunft für Asylbewerber an. Ein Mob bewerfe das Hotel in Tamworth mit Gegenständen, berichtete der Sender Sky News.

Starmer: «Rechtsextremes Rowdytum – nicht Proteste»

Clips in sozialen Medien zeigten, wie Feuer an einem Teil des Gebäudes gelegt wurde. Dafür gab es keine offizielle Bestätigung. Die Polizei sprach von «gewalttätigen Handlungen des Banditentums», ein Beamter sei verletzt worden.

Premierminister Keir Starmer verurteilte die Ausschreitungen scharf. Es handele sich bei den Aktionen um «rechtsextremes Rowdytum», nicht um Proteste, sagte Starmer. Man werde alles Mögliche tun, «um diese Schläger zur Rechenschaft zu ziehen».

Zudem wandte sich Starmer direkt an Verdächtige und Drahtziehern hinter den Ausschreitungen. «Ich garantiere euch, dass ihr es bereuen werdet, an diesen Unruhen teilgenommen zu haben, ob direkt oder jene, die zu diesen Aktionen online aufstacheln und selbst dann wegrennen.» Es gebe keinerlei Rechtfertigung für diese Aktionen.

Schon am Samstag kam es an zahlreichen Orten in Grossbritannien zu heftigen Krawallen, die offenbar von einem tödlichen Messerangriff auf Kinder ausgelöst wurden, die im Küstenort Southport an einem Tanzkurs teilnahmen, der als Taylor-Swift-Mottoevent beworben worden war.

Drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren kamen bei der Attacke am vergangenen Montag ums Leben, acht Kinder und zwei Erwachsene wurden verletzt. Ein 17-Jähriger wurde als Tatverdächtiger festgenommen und des dreifachen Mordes sowie zehnfachen versuchten Mordes beschuldigt.

Falschmeldungen im Internet

Falschmeldungen im Internet über die Identität des jungen Mannes fachen offenbar die Wut unter Anhängern ultrarechter Ideologien an. So kursieren etwa Gerüchte, wonach es sich bei dem mutmasslichen Täter um einen Muslim und Asylbewerber handele. Laut der Polizei wurde er in Wales geboren, seine Eltern stammen aus Ruanda.

Angaben zu seiner Religionszugehörigkeit lagen nicht vor. Verdächtige unter 18 Jahren werden eigentlich im Königreich nicht identifiziert, doch ordnete der zuständige Richter überraschend an, dessen Namen zu nennen, um unter anderem der Verbreitung von falschen Informationen entgegenzuwirken.

Ein Rechtsextremer attackiert vor dem Holiday Inn Express in Rotherham Polizisten mit einem Stuhl. (4. August 2024) 
Ein Rechtsextremer attackiert vor dem Holiday Inn Express in Rotherham Polizisten mit einem Stuhl. (4. August 2024) 
Bild: Keystone/Danny Lawson/PA via AP

Doch ebbten die Krawalle nicht ab. An zahlreichen Orten spielten sich am Samstag Szenen der Gewalt ab – von der nordirischen Hauptstadt Belfast über Liverpool im Nordwestengland bis Bristol im Südwesten. Die Merseyside Police meldete etwa, dass sich rund 300 Personen an Ausschreitungen in Liverpool beteiligt hätten.

Das Erdgeschoss der Spellow Lane Library Hub – ein vor allem für Bedürftige errichtetes Bibliotheks- und Gemeindezentrum – sei verwüstet und Brand gesteckt worden. Randalierer hätten dann Feuerwehrleute daran zu hindern versucht, das Feuer zu löschen. Ein Geschoss sei auf den Wagen der Einsatzkräfte geworfen und dabei eine Heckscheibe zertrümmert worden.

Der Bürgermeister des Grossraums Liverpool, Steve Rotheram, sprach später von einer Attacke, die nicht nur dem Gebäude, sondern «unserer Gemeinschaft an sich» gegolten habe. Es sei «eine Beleidigung für jene Familien, dich noch trauern und die Überlebenden, die noch damit ringen, den Angriff vom Montag zu verarbeiten».

Angriffe von mysteriösen ultrarechten Gruppen organisiert

Es gab Dutzende Festnahmen, Polizisten wurden verletzt. Es kam auch zu Zusammenstössen zwischen Ultranationalisten und Gegendemonstranten, die gegen Rassismus protestierten. Es dürfte weitere Festnahmen geben, zumal die Behörden noch Aufnahmen von Überwachungskameras, Material von Körperkameras von Beamten sowie Inhalte in sozialen Medien prüften.

Für Sonntag war mit weiteren Protesten gerechnet worden. Die Vize-Vorsitzende des Polizeiverbands von England und Wales, Tiffany Lynch, warnte, dass Beamte von ihrer Routinearbeit abgezogen würden und dadurch Kapazitäten für Ermittlungen zu anderen Verbrechen fehlten.

Viele Kundgebungen wurden laut der Polizei über das Internet von mysteriösen ultrarechten Gruppen organisiert, die mit Parolen wie «Genug ist genug», «Rettet unsere Kinder» und «Stoppt die Boote» für Unterstützung warben.

Auch Nigel Farage, der im Juli als Chef der rechtspopulistischen Partei Reform UK erstmals ins Parlament gewählt wurde, wird vorgeworfen, mit seiner Rhetorik die hitzige Atmosphäre indirekt zu befeuern. Zwar verurteilte er die Gewalt, hielt der Regierung aber zugleich vor, sie auf «einige ultrarechte Schläger» zurückzuführen. «Die extreme Rechte ist eine Reaktion auf Furcht, (...), die von zig Millionen Menschen geteilt wird», erklärte er.

Starmer betonte indes, Menschen wegen ihrer Hautfarbe ins Visier zu nehmen, sei rechtsextrem. «Die Menschen in diesem Land haben ein Recht darauf, sich sicher zu fühlen.»

dpa