Bötschi fragt Bettina Bestgen«Am meisten vermisse ich die Höflichkeit der Schweizer»
Bruno Bötschi
11.7.2024
Ihre Tattoos lösten einen Shitstorm aus. blue Music-Moderatorin Bettina Bestgen spricht über das Auswandern, ihre Lieblingsbands und sagt, was sie an Open Airs nicht mag – und warum sie trotzdem immer wieder hingeht.
Bruno Bötschi
11.07.2024, 18:20
14.07.2024, 12:04
Bruno Bötschi
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Die Aargauer Journalistin Bettina Bestgen wanderte vor sieben Jahren nach Berlin aus – und hat es bis heute nicht bereut.
Den Kontakt zur Heimat hat sie in dieser Zeit nie verloren.
Für blue Music berichtet Bestgen in diesem Jahr erstmals vom Festivalsommer 2024 – also von den Open Airs in Frauenfeld, in Gampel und auf dem Gurten.
«Open Airs sind grossartig. Auf der Welt passiert so viel Krasses, umso mehr schätze ich Festivals, weil das nach wie vor kleine, heile Inseln sind», sagt Bestgen im Gespräch mit blue News.
Bettina Bestgen, ich stelle dir in der nächsten 30 Minuten möglichst viele Fragen. Und du antwortest bitte möglichst kurz und schnell. Wenn dir eine Frage nicht passt, kannst du auch einmal «weiter» sagen.
Guten Morgen, es ist 7 Uhr in Berlin und die Schweiz ruft bereits an. Ich freue mich. Schweizerinnen und Schweizer sind, im Gegensatz zu den Menschen in Berlin, einfach immer pünktlich. Ein Klischee – aber es stimmt halt. Ich meine, wir haben um 7 Uhr morgens für ein Interview abgemacht und um Punkt 7 Uhr klingelt mein Handy. Das ist Hammer.
Beide. Mit der Musik von Fanta 4 bin ich aufgewachsen und Dabu Fantastic kommen aus der Schweiz – und sind somit ein Stückchen Heimat. Zudem sah ich kürzlich die Doku «Dabu Fantastic – Ein Schweizer Musiker geht all in». Ich finde es spannend, wenn jemand die Hosen herunterlässt.
Hörst du daheim hin und wieder einen Song in Dauerschleife?
blue News-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten aus dem In- und Ausland. Er stellt ihnen ganz viele Fragen – immer direkt, oft lustig und manchmal auch tiefsinnig. Dabei bleibt bis zur allerletzten Frage immer offen, wo das rasante Pingpong hinführt.
Wie lange dauert die Dauerschleife?
Die Songs wechseln meistens im Wochentakt.
Angenommen, du reist am nächsten Samstag für vier Wochen auf eine einsame Insel und darfst dein Smartphone nicht mitnehmen. Zum Glück gibt es in deinem Beachhäuschen aber einen CD-Player: Welche drei Alben würdest du einpacken – und warum?
Auf eine einsame Insel würde ich eine «Best of»-Kompilation von Tina Turner mitnehmen und das neue «K.I.Z.»-Album «Görlitzer Park».
Und als drittes …
… müsste es noch Musik sein, die zum Überleben auf einer einsamen Insel hilft – zum Beispiel der Soundtrack vom Film «Rocky».
Warum berührt Musik die Menschen so sehr?
Musik weckt Emotionen und kann Erinnerung wachrufen. Musik kann beflügeln, glücklich stimmen, beruhigen und entspannen.
Langweilt Musik dich bisweilen?
Musik nicht, Geräusche hingegen schon.
Du berichtest heuer erstmals für blue Music vom Festivalsommer 2024 – also von den Open Airs in Frauenfeld, in Gampel und auf dem Gurten. Wieso tust du dir das an?
Open Airs sind grossartig. Auf der Welt passiert so viel Krasses, umso mehr schätze ich Festivals, weil das nach wie vor kleine, heile Inseln sind.
Du bist 1,57 Meter gross und darum – zumindest laut eigener Aussage – chancenlos an einem Open Air auf die Bühne zu sehen oder an der Bar ein Bier bestellen zu können. Ich zitiere aus einem Text von dir: «Aber an einem Festival ist es einfach nur scheisse, so klein zu sein.»
Und trotzdem: Ich habe noch an keinem Open Air einen schlechten Tag erlebt.
Was macht Open Airs unvergleichlich schön?
Gegenfrage: Was gibt es Schöneres, als gemeinsam mit Freundinnen und Freunden an einem lauen Sommerabend draussen einer Band zuzuhören, deren Songs du mitsingen kannst?
Erhoffst du dir als Moderatorin von blue Music, öfters im Backstage mit Stars und Sternchen abhängen zu können?
Überhaupt nicht.
Der österreichische Rapper Yung Hurn machte dir 2017 am Open Air Frauenfeld während des Interviews ein spezielles Kompliment: «Ich mag es, wie du stinkst.» Hat dich das gestört?
(Lacht laut) Jesses Gott, wer das ganze Interview anschaut und den Kontext dazu versteht, der hätte noch ganz andere Fragen.
Welche?
Zum Beispiel, was war mit Yung Hurn los, als ich ihn interviewt habe? Ich denke, der Rapper wird von vielen unterschätzt. Sein Benehmen während Interviews ist wahrscheinlich nur eine Masche. Ich bin überzeugt, dass viel mehr in diesem Menschen steckt.
Welche*r Musiker*in hat dich während des Interviews verzaubert?
Vor ein paar Jahren konnte ich am St. Galler Open Air Samuel T. Herring, Sänger der Synth-Pop-Band Future Islands, interviewen. Kurz bevor er ankam, hiess es, Herring sei müde und hässig und ich solle für ein kurzes Gespräch besorgt sein. Kaum sass der Musiker mir gegenüber, haben wir einfach nur noch gelacht.
Sagte Samuel T. Herring irgendwann auch noch etwas Kluges?
Es wurde ein schönes Interview. Herring liess sich auf meine Fragen ein und gab einige tiefgründige Antworten.
Klingt fast so, als wären nicht die Musiker*innen das Problem, sondern das Management. Stimmt’s?
Managements machen einfach ihren Job. Sie wollen die Musiker schützen und werden so irgendwann zu Löwenmamis. Aber kaum sitzt der Künstler vor dir, merkst du: Das Löwenbaby ist total herzig und zahm.
Wie viele Erfahrungen hast du mit klassischen Knopfdruck-Persönlichkeiten, also von Musiker*innen, deren Lächeln immer nur dann an springt an, wenn die Kamera läuft?
Das passiert ab und zu, was mich aber nicht weiter stört. Ich treffe einen Musiker für ein Interview und habe nicht geplant, dass wir danach Freunde werden. Ich bin zufrieden, wenn ein Künstler während eines Gespräches performt. Wenn man danach zusammen lachen kann, ist das schön, aber diese Branche ist halt auch kein Wunschkonzert.
Gibt es noch andere Backstage-Episoden von Open Airs, die du erzählen kannst?
Wie gesagt: Das ist nicht der Ort, wo ich mich an Open Airs rumtreibe. Arbeite ich als Moderatorin an einem Festival, bin ich meistens in einem Container und mache mit Musikerinnen und Musikern Interviews oder ich bin auf dem Gelände und mache mit Besuchern Quatsch für lustige Videos. (lacht).
Und wenn du an einem Open Air nicht am Arbeiten bist?
Während der Konzerte findest du mich vor der Bühne.
Sind die Zeiten von Sex, Drugs und Rock'n'Roll im Backstage endgültig vorbei?
Möglicherweise kann ich dir nach dem diesjährigen Festivalsommer mehr darüber erzählen (lacht).
Wie viele Interviews mit Musiker*innen hast du bisher abgebrochen?
Keines.
Wie viele von deinen Gegenübern wollten das Gespräch mit dir – aus welchen Gründen auch immer – nicht zu Ende führen?
Niemand. Mein Ziel ist, Interviews möglichst auf Augenhöhe zu führen und niemanden in irgendeine Ecke zu drängen. An Open Airs passiert es aber immer wieder, dass Interviews kurzfristig verschoben werden oder ich nur zehn Minuten Zeit habe, um mich auf ein Gespräch mit einer Sängerin oder einem Sänger vorzubereiten.
Openair Frauenfeld
Das Openair Frauenfeld findet vom 11. bis 13. Juli 2024 statt. Zum diesjährigen Line-up gehören Nicki Minaj, Playboi Carti, 21 Savage, Gunna und Apache 207. Und die gute Nachricht für alle jene Musikfans, die diesmal nicht nach Frauenfeld pilgern können: blue Music überträgt die besten Konzerte live im Stream. Alle Infos zum Openair Frauenfeld gibts hier.
zVg
Was machst du in diesem Fall?
Beim ersten Mal, als das passiert ist, dachte ich: «Fuck!» Heute machen mich solche Situationen kaum mehr nervös. Denn für solche Fälle habe ich immer ein paar allgemeine Fragen zum Festival vorbereitet. Und dann google ich die Musikerin oder den Musiker noch kurz, um ihr oder ihm drei, vier spezifische Fragen stellen zu können. Interviews an Open Airs dauern selten mehr als zehn Minuten.
Wie oft haben deine Fragen dein Gegenüber zu Tränen gerührt?
(Lacht laut) Das habe ich noch nie geschafft, was aber okay ist.
Welche*r Künstler*in hatte deinetwegen zuletzt einen Lachanfall?
Das schaffe ich immer wieder – etwa während des Interviews mit Dan Aykroyd. Irgendwann meinte der Schauspieler, ich würde bei ihm ähnliche Gefühle auslösen wie seine Nichte. Das war herzig.
Der Sommer 2024 war in der Schweiz bisher arg verregnet. Als erfahrene Open-Air-Gängerin schreckt dich das nicht ab. Ich erinnere mich noch gut an deine Regen-Reportage vom nassen Open Air St. Gallen 2017.
(Lacht schallend)
Hast du noch feuchtere Situationen erlebt?
Diese Antwort tönt wahrscheinlich nach 0815, aber ich mag Hudelwetter. Ich bin bei Regen und Schnee auch schon auf Island gewandert und fand das geil.
Falls die äusseren Bedingungen in der Schweiz in den nächsten Wochen nass bleiben sollten: Was muss Mensch unbedingt einpacken, also neben Regenponcho und Gummistiefeln, wenn sie oder er an ein Open Air fährt?
Das Allerwichtigste ist: Alle Kleider zusätzlich in Plastiksäcke verpacken. Für mich gibt es nicht Schlimmeres, als am Morgen aufzustehen und in halb feuchte, stinkende Kleider steigen zu müssen.
Was darf sonst noch in deinem Open-Air-Gepäck unter keinen Umständen fehlen?
Eine Tube Sonnencreme, ein Hut und genügend Geld – und falls wirklich Regen angesagt ist, ausreichend warme Kleider.
Stellst du dir gelegentlich die Sinnfrage?
Natürlich – aber das würde den Rahmen dieses Interviews sprengen. Falls du das mit mir zusammen besprechen willst, holen wir uns jetzt am besten eine Flasche Wein und dann kann es mit dem Philosophieren losgehen.
Wann zuletzt eingeschüchtert gewesen von der grossen, weiten Welt?
Das bin ich hin und wieder – und finde das auch nicht schlecht.
Verschlechtert oder verbessert sich das Zusammenleben von Frauen und Männern gerade?
Oh Gott! Ich gebe mir immer viel Mühe, auch kleine Verbesserungen zu schätzen. Gleichzeitig bin ich oft gefrustet, dass es mit Gleichberechtigung nach wie vor so schleppend vorwärtsgeht.
Was macht einen Menschen attraktiv?
Ehrlichkeit und Loyalität.
Was ist Schönheit?
Ich mag es, wenn ich in den Augen meines Gegenübers Abenteuerlust erkennen kann.
Welcher Teil deines Körpers ist dir bis heute fremd?
Welches ist das letzte Tattoo, dass du dir stechen liesst und welche Bedeutung hat es?
Ich habe keine Ahnung, welches das Neuste ist.
Wieso lässt du dir Tattoos stechen?
Viele Menschen erwarten immer eine tiefgründige Antwort auf diese Frage. Die habe ich aber schlichtweg nicht. Ich lasse mir Tattoo stechen, weil sie mir gefallen. Mehr ist da nicht.
Was tat mehr weh: das Stechen all deiner Tattoos oder der Shitstorm wegen deiner Tattoos im Jahr 2017 nach deinem Interview in der TV-Sendung «Glanz&Gloria» mit Bundesrat Alain Berset?
Diese Gefühle sind komplett unterschiedlich – und deshalb nicht vergleichbar.
Der Kolumnist René Hildebrand schrieb nach deinem Berset-Interview auf persönlich.com: «Sorry, aber eine so überladen ‹bemalte› Moderatorin lässt man nicht an einen Bundesrat ran.» Was hat diese Kritik bei dir ausgelöst?
Ich war gottenfroh, dass mir Nik Hartmann, er war damals beim SRF mein Götti, und Mona Vetsch noch am gleichen Tag geschrieben haben und mir beigestanden sind. Sie meinten, dass die Situation für mich wahrscheinlich nur schwierig auszuhalten sei. Trotzdem solle ich mich ruhig verhalten und dazu nicht äussern. Im Nachhinein bin ich Mona und Nik dankbar, denn natürlich spürte ich anfänglich den Drang, etwas sagen zu müssen.
Später hast du dich doch noch auf Facebook geäussert.
Das tat ich aber erst, nachdem Bundesrat Berset mir als Zeichen der Solidarität auf Twitter gefolgt ist.
In solchen Situationen höre ich gerne Musik, die reinhaut. Am liebsten von Bands, bei denen du glaubst, es haut dir gleich das Gehör weg – also gerne ballernder Techno oder hässiger Hip-Hop.
Welche Musik hörst du, wenn du krank im Bett liegst?
Dann schaue ich mir lieber Netflix-Serie oder eine Doku an.
Ohh, dann höre ich keine Musik, sondern würde in der Schweiz anrufen.
Du lebst seit sieben Jahren in Berlin. Was trieb dich in die Ferne?
Ein Jobangebot. Ich weilte damals einige Wochen in Berlin und hatte nicht die Absicht, noch länger dort zu bleiben und die Schweiz, meine Wohnung und mein Umfeld zu verlassen. Nach dem Angebot ging ich jedoch nochmals in mich und fragte mich irgendwann: Wieso eigentlich nicht?
Wie oft hast du es schon bereut, nach Berlin auszuwandern?
Keine Sekunde.
Was vermisst du am meisten in Berlin?
Oh Gott! Am meisten vermisse ich die Höflichkeit der Schweizer, die schöne Natur und dass gewisse Dinge ohne viel Aufsehen einfach funktionieren.
Was ist geiler in Berlin?
So allgemein gesagt, habe ich das Gefühl, dass Berlin die Menschen kreativer macht. Für mich fühlt sich diese Stadt jeden Tag wie Disneyland an. Gleichzeitig funktioniert vieles in der Stadt nicht. Es ist zudem ein rauer Ton spürbar, der nicht schön ist. Und man muss sich viel Mühe geben, dass die Stadt einen nicht verschluckt.
Was hilft gegen das Verschlucken?
Schweizer Disziplin (lacht).
Weisst du schon, was du am 1. August machen wirst?
Ich denke, ich werde die «Schwarzer Heidi» in Berlin besuchen. Das ist ein Schweizer Restaurant, wo es unter anderem wunderbare Rösti zu essen gibt.
Hättest du Lust, einmal am Nationalfeiertag der Schweiz eine Rede zu halten?
Da gibt es andere Menschen, die das besser können und mehr zu sagen haben als ich.
Falls dich der Gemeindepräsident von Lengnau AG, also dort, wo du aufgewachsen bist, fragen würde, ob du die 1.-August-Rede halten würdest, …
… dann würde ich antworten, dass ich schon eine ganze Weile nicht mehr dort war und zudem die letzten sieben Jahre nicht mehr in der Schweiz gelebt habe und es deshalb wahrscheinlich besser wäre, ich würde in Berlin eine Rede halten.
Aber wenn die in Lengnau niemand anders als dich finden würden, …
… dann würde ich es machen.
Was würdest du den Schweizer*innen in diesem Jahr in deiner 1.-August-Rede mitteilen?
Haltet durch, der Sommer 2025 wird sicher wieder besser (lacht).
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zVg
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