Liebe im Alter«Mit über 60 lässt man in Sachen Sex nichts mehr anbrennen»
Von Manuel Kellerhals
4.2.2024
Wie wichtig ist Sex im Alter? Wie spricht man seine Wünsche am besten an? Und wie entsteht aus Erotik Liebe? Autorin Andrea Micus beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema und sagt: Sex mit 65 ist gar nicht so anders als mit 25.
Von Manuel Kellerhals
04.02.2024, 22:53
06.02.2024, 08:34
Manuel Kellerhals
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Nach der Pensionierung erleben viele Menschen einen zweiten Frühling – und möchten sich auch noch einmal verlieben.
Laut der Autorin Andrea Micus spielt dabei auch Sex eine grosse Rolle.
Nach der Pensionierung wollen viele Personen «es noch einmal wissen»: «Dann lässt man nichts mehr anbrennen.»
Für längerfristige Liebe reiche Erotik aber nicht aus.
Frau Micus, Sie haben lange zu dem Thema recherchiert. Welche Rolle spielt die Sexualität beim Kennenlernen im Alter?
Eine enorm grosse. Wenn man sich im Alter von über 65 Jahren verliebt, ist der Ablauf gleich wie mit 20. Es gibt eine erotische Spannung, es gibt Schmetterlinge im Bauch, es gibt weiche Knie. Das ändert sich mit den Jahren nicht. Der Unterschied ist, ob noch alles so funktioniert wie früher. Vor allem bei den Männern gibt es oft grössere gesundheitliche Handicaps – und das führt zu Versagensängsten.
Wie geht man mit diesen Ängsten am besten um?
Zur Person: Andrea Micus
Bild: zVg
Andrea Micus ist freischaffende Journalistin und Autorin. In ihrer Karriere hat sie über 40 Romane und Sachbücher geschrieben. In ihrer Arbeit interessiert sie sich «für Menschen und das, was sie bewegt». Im Jahr 2015 erschien ihr Buch «Sex Ü60 – so bewahren sie sich Lust und Liebe» im Humboldt-Verlag. Micus ist in dritter Ehe verheiratet, hat zwei Kinder und lebt im deutschen Höxter und spanischen Valencia.
Man muss komplett offen sein. Impotenz durch eine vergrösserte Prostata etwa ist ein Volksleiden, da muss man nicht lange Ausreden suchen. Umso wichtiger ist es, dass man darüber spricht. Denn Frauen in diesem Alter stecken das meist ganz gut weg. Wenn die Sexualität aber längerfristig nicht so funktioniert, wie es die Frau gern möchte, dann wird es kompliziert. Denn auch im Alter wollen sie sexuell befriedigt sein.
Von diesen gesundheitlichen Aussetzern sind vor allem Männer betroffen. Vor welchen Herausforderungen stehen die Frauen?
Sie wollen oft ihre Selbstständigkeit bewahren. Die Frauen haben Kinder, die sie grossgezogen haben. Enkelkinder, um die sie sich kümmern müssen. Sie kommen häufig aus einer Ehe, die sie vielleicht eingeschränkt hat. Wenn man dann eine Partnerschaft mit einem Mann eingeht, der vielleicht noch etwas älter ist, gehen sie das Risiko ein, dass sie auch ihn pflegen müssen. Deshalb suchen sie oft auch nur sexuelle Befriedigung.
Also sind Sexbeziehungen auch in diesem Alter noch ein grosses Thema?
Ja, aber die Dynamiken haben sich folglich geändert. Der Wunsch kommt weitaus häufiger vonseiten der Frau. Durch meine Arbeit als Ratgeber-Autorin zu diesem Thema rufen mich auch oft Menschen an, die auf der Suche nach Beziehungstipps sind. In den letzten zwei Monaten haben mich beispielsweise vier Männer angerufen, die daran verzweifeln, dass Frauen sie nur zum Sex treffen wollen. Frauen sind nicht mehr in einer devoten Stellung in der Gesellschaft. Sie haben Geld, Karriere, ein stabiles Umfeld. Eine feste Beziehung wollen sie nur eingehen, wenn alles stimmt – auf die Sexualität aber dabei nicht verzichten. Das sind sich die Männer meist nicht gewohnt.
Dating mit über 60 ähnelt also dem Dating in den 20ern?
Da gibt es sicherlich grosse Parallelen. Vor allem, dass das Kennenlernen häufig Genusssache ist. Viele ältere Personen haben eine lange Abstinenz hinter sich, etwa wegen einer leidenschaftslosen Ehe, die schliesslich in die Brüche ging. Die Menschen sind dann sexuell ausgehungert. Es folgen One-Night-Stands, Urlaubsaffären und Sextreffen über Onlineplattformen. Viele Menschen wollen sich so ein bisschen ihre Jugend zurückholen. Man hat das Gefühl: Wenn nicht jetzt, wann dann? Um die 60 ist man ja meist auch noch einigermassen fit, deshalb lässt man nichts anbrennen. Eine Änderung des Sexualverhaltens gibt es mehrheitlich erst ab 80.
Wenn er für die Paare doch Alltag ist: Wieso ist Sex im Alter immer noch ein Tabuthema in der Gesellschaft?
Durch Werbung, Filme oder Popmusik sind wir uns schöne, junge Körper gewöhnt. Wir leben in einer ästhetischen Gesellschaft, Influencer*innen zeigen ihre perfekte Welt. Da hat das als unschön Gesehene nur wenig Platz. Im Alter gibt es nun mal eine etwas andere Optik. Falten und etwas Übergewicht lassen sich nicht vermeiden. Mit dem eigenen Altern wächst aber auch das Verständnis dafür. Gleichzeitig ist es auch normal, wenn etwa mein 24-jähriger Sohn sich nicht vorstellen will, wie ältere Menschen Sex haben. Das ist einfach noch zu weit weg.
Und wie ist es für die Paare selbst? Gibt es auch da Tabus?
Meist wird ganz offen kommuniziert. Wir reden hier von der Generation der 70er-Jahre, des sexuellen Erwachens. Wenn man so viel Leben hinter sich hat, weiss man meist auch, was man will, und ist selbstbewusst. Da will man sich nicht mehr hinter veralteten Vorschriften und gesellschaftlichen Erwartungen verstecken.
Welche Schritte kann man unternehmen, wenn man nun auf der Suche nach mehr als einer Affäre ist?
Der wichtigste Rat, den ich geben kann: kommunizieren, kommunizieren, kommunizieren. Man muss sich im Klaren sein, was man will, und das auch klar artikulieren. Alles andere ist mit vielen Problemen behangen. Man muss aber auch wissen, dass der Dating-Pool dann doch nicht mehr so gross ist, wie er früher einmal war. Deshalb muss man auch offener sein für Kompromisse. Doch auch hier gilt: Gemeinsamkeit erfordert ungemeine Ehrlichkeit. Und wenn alles passt, ist Sex zwar wichtig – aber eben nicht nur. Irgendwann verfliegt die Erotik. Dann muss es genug Boden geben, um die restlichen Jahre miteinander zu verbringen.
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