Zwar spricht ihm eine Mehrheit der Abgeordneten der eigenen Partei das Vertrauen aus, doch sehr viele stellen sich auch gegen ihn. Der Skandal um Partys in seinem Amtssitz hat den Premier nachhaltig geschwächt.
Der britische Premierminister Boris Johnson hat am Montag ein Misstrauensvotum seiner eigenen Partei wegen der sogenannten «Partygate»-Affäre überstanden. 211 der 359 konservativen Abgeordneten hätten Johnson das Vertrauen ausgesprochen, teilte der zuständige Ausschussvorsitzende Graham Brady am Montagabend mit. 148 stimmten gegen ihn. Hätte sich eine Mehrheit gegen den Premier gestellt, hätte er sein Amt als Parteichef verloren und wäre gezwungen gewesen, auch als Premier zurückzutreten.
Seit Monaten gärt es wegen des Skandals um Politiker-Partys während der Corona-Lockdowns in Grossbritannien in der Öffentlichkeit und auch in Johnsons Partei. Auch der Premier selbst setzte sich über Regeln hinweg und feierte mit Mitarbeitern in seinem Amtssitz, während für die Briten strikte Ausgangsbeschränkungen galten, wie eine Untersuchung offenlegte. Die Polizei verhängte ein Bussgeld von 50 Pfund gegen Johnson. Damit ist er der erste Premierminister, der während seiner Amtszeit wegen eines Verstosses gegen das Gesetz eine Strafe zahlen musste. Einen Rücktrittsgrund sah der Premier darin nicht.
Um im Amt zu bleiben, brauchte Johnson eine Mehrheit der Stimmen der 359 konservativen Abgeordneten. Johnsons Büro teilte nach Bekanntgabe des Votums am Montagmorgen mit: «Der heutige Abend ist eine Möglichkeit, monatelange Spekulationen zu beenden und es der Regierung zu erlauben, einen Schlussstrich zu ziehen und weiterzumachen, sich um die Prioritäten der Leute zu kümmern.»
148 Stimmen gegen Johnson
Tatsächlich machte das Ergebnis aber deutlich, wie sehr der «Partygate»-Skandal Johnson geschadet hatte. 148 Stimmen gegen ihn wurden als klares Signal gewertet, dass die Spaltung bei den Tories tief geht – und das, nur drei Jahre nachdem Johnson die Partei zu ihrem grössten Wahlerfolg seit Jahrzehnten geführt hatte. Doch seitdem kamen der Vollzug des Brexits, die Pandemie und zuletzt die dramatisch gestiegenen Preise für Energie und Lebensmittel.
Der frühere Parteichef der britischen Konservativen, William Hague, hat Premierminister Boris Johnson zum Rücktritt aufgefordert. Der Regierungschef habe nicht mehr die Autorität, um seine Partei und das Land zu führen, schrieb der ehemalige Aussenminister in einem Kommentar für die Tageszeitung «The Times» am Dienstag.
Am Montag ging dann alles ganz schnell. Parteifunktionär Brady teilte am Morgen mit, es seien die nötigen 54 Schreiben von Parlamentsabgeordneten der Partei eingegangen, die ein Vertrauensvotum verlangten. Wenige Stunden später standen die Abgeordneten Schlange, um in einer geheimen Wahl ihre Stimmen abzugeben. Johnson selbst warb in einer Rede um die Unterstützung seiner Parteikollegen und sagte: «Ich werde euch wieder zum Sieg führen».
Der turbulente Tag war eine ernüchternde Rückkehr zur politischen Realität, nachdem die Briten in den vergangenen Tagen noch ausgiebig das 70. Thronjubiläum von Queen Elizabeth II. gefeiert haben. Aber der Ärger über Johnson kochte auch während der Feierlichkeiten hoch. Als er zu einem Gottesdienst zu Ehren der Monarchin am Freitag in die St. Paul's Cathedral kam, wurde der Premier ausgebuht.
Schon Johnsons Vorgängerin Theresa May hatte 2018 ein Misstrauensvotum ihrer Partei überstanden, ging daraus aber geschwächt hervor. Nur wenige Monate später musste sie zurücktreten. Als ihr Nachfolger setzte sich schliesslich Johnson durch.
dpa