Schwingerkönig Wicki, die Ausnahme unter den Topfavoriten

plh, sda

30.8.2022 - 07:00

Joel Wicki tritt seine Regentschaft als König an
Joel Wicki tritt seine Regentschaft als König an
Keystone

Joel Wicki ist wie sein Vorgänger Christian Stucki ein König aus dem Volk, auch wenn er als König über allen thront. Auch mit seinen Leistungen in Pratteln thront er über allen.

Ein halbes Stockwerk unter dem hohen Favoriten Samuel Giger war die Auswahl an erstklassigen Schwingern und Anwärtern auf den Königstitel sehr breit, breiter als an allen Eidgenössischen Festen der letzten 30 Jahre. Viele Junge, von denen man am Eidgenössischen 2019 in Zug noch keine Notiz genommen hat, sind in der relativ kurzen Zeit nach dem schwingfestfreien Pandemie-Jahr 2020 an die Spitze gestossen. Werner Schlegel, Damian Ott, Adrian Walther und Michael Ledermann lauten die Namen.

Dazu stossen zwei Schwinger, die ebenfalls noch jung sind, aber in Zug schon auftrumpften: Fabian Staudenmann und Nick Alpiger. Ebenfalls in dem Kreis ist Matthias Aeschbacher. Der Emmentaler war nie so stark wie in dieser Saison, in der er 30 Jahre alt wurde.

Schon vor dieser Saison wusste man, wer – den dauerhaft verletzten Christian Stucki eingerechnet – auf jeden Fall um den Königstitel mitreden würde: Samuel Giger, Armon Orlik, Pirmin Reichmuth und Joel Wicki.

Jeder schlägt fast jeden

Dies ergibt genau ein Dutzend Schwinger, von denen jeder den andern, manchmal sogar den Hors-Catégorie-Schwinger Samuel Giger, auf den Rücken legen kann. Wer aus dieser riesigen Gruppe an ausnehmend starken Schwingern als König hervorgeht, verdient das höchste Lob. Wenn er überdies die acht Gänge ohne eine Niederlage hinter sich bringt, muss das Lob einem Ritterschlag Platz machen.

Vier der acht Gänge hatte Joel Wicki gegen einen aus dem dreckigen Dutzend zu absolvieren. Er besiegte Matthias Aeschbacher zweimal, mit Adrian Walther im Anschwingen und mit Fabian Staudenmann im 7. Gang stellte er. In den vier Gängen musste er ein paar heikle Momente überstehen, aber besiegen liess er sich nicht.

Als weiterer der genannten Topathleten kam nur der Kilchberger Sieger Fabian Staudenmann um eine Niederlage herum. Der junge Berner Mittelländer hatte ebenfalls keinen leichten Parcours, denn er musste sich Samuel Giger, Pirmin Reichmuth (den er bezwang) und Joel Wicki entgegenstellen.

Von all den erstklassigen Schwingern per Ende 2022 ist Joel Wicki mit seinen 183 Zentimetern am kleinsten. Das bedeutet, dass er die klaren Vorteile, die die bis zu zwei Meter Langen mitbringen, mit eigenen Vorteilen wettmachen muss. Er tut es mit einer unbändigen Kraft und dem Nutzen aus einem etwas tieferen Schwerpunkt. So gesehen, ist Wicki ein Schwingerkönig, der nicht mit dem Strom schwimmt.

Berner immer noch da

Die Berner Schwinger schienen nach ihren besten Jahren kargen Zeiten entgegenzugehen, als die Könige Matthias Sempach und Matthias Glarner von Verletzungen zum Rücktritt gezwungen wurden, als Christian Stucki im hohen Schwingeralter an Krücken ging und als weitere Schwinger ihrer Goldenen Generation wie Simon Anderegg, Willy Graber und Florian Gnägi in die Jahre kamen.

Aber im BKSV hat man es verstanden, die Goldene Generation durch eine neue Generation abzulösen, die sich in Zukunft eventuell als noch goldener erweisen wird. Schon in Pratteln war der mannschaftliche Auftritt beeindruckend. Die Berner nahmen 17 Kränze mit. Die Nordostschweizer (10) und die Innerschweizer (7) brachte es ebenfalls auf 17 Kränze – aber zusammengezählt.

Die Zahl von sieben Kränzen muss die Schwinger aus der Zentralschweiz alarmieren. Sie können nicht erwarten, dass die beiden Spitzenkräfte Joel Wicki und Pirmin Reichmuth an künftigen Anlässen eidgenössischer Prägung – in einem Jahr folgt das Unspunnenfest in Interlaken – immer aufs Neue als Einzelkämpfer die Kohlen aus dem Feuer holen. Es braucht eine breite Phalanx, die Reichmuth und Wicki den Rücken freihält. Eine solche fehlt und ist zurzeit nicht in Sicht.

plh, sda