Kommentar Trumps Angriff ist für die NFL auch eine grosse Chance 

Von Luca Betschart

9.6.2020

Engagierten sich zuletzt für mehr Gleichbehandlung von Schwarzen: NFL-Chef Roger Goodell (links) und Tom Brady, Quarterback bei den Tampa Bay Buccaneers.
Engagierten sich zuletzt für mehr Gleichbehandlung von Schwarzen: NFL-Chef Roger Goodell (links) und Tom Brady, Quarterback bei den Tampa Bay Buccaneers.
Bild: Getty

Wohl zum ersten Mal gibt Roger Goodell, Chef der National Football League, einen Fehler im Kampf gegen Rassismus zu – und wird von Donald Trump dafür scharf kritisiert. Wieso das auch eine Chance sein kann.

2016 sorgt der amerikanische Quarterback Colin Kaepernick mit seinem Protest gegen Ungleichbehandlung von Schwarzen für viel Aufsehen. Beim Abspielen der Nationalhymne der Vereinigten Staaten kniet sich Kaepernick demonstrativ hin. «Ich werde mich nicht hinstellen und stolz auf eine Flagge sein, die für ein Land steht, das Schwarze und andersfarbige Menschen unterdrückt», bekennt er sich damals zu seiner Aktion – und sorgt damit für Kontroverse.

Zahlreiche Spieler und ganze Teams leisten dem Protest Folge, demgegenüber zeigt sich Präsident Donald Trump erzürnt. In einer Rede verlangt er 2017, Klubbesitzer sollen protestierende Spieler rauswerfen – Kaepernick beleidigt er unter der Gürtellinie. Der damalige Quarterback der 49ers kann danach nicht auf die Rückendeckung der Liga zählen. Obwohl er zu den besten seines Fachs gehört, erhält er nach der Saison 16/17 keinen neuen Vertrag mehr – bis zum heutigen Tag findet er keinen neuen Verein. Kaepernick wirft den Teambesitzern Ende 2017 die systematische Ausgrenzung seiner Person vor. 

Vor dem Hintergrund der jüngsten Ereignisse in den USA wird in diesen Tagen auch die Diskussion um Kaepernicks Protest neu aufgerollt. Nachdem die Gewalt nach dem Tod von Georg Floyd in zahlreichen US-Städten eskaliert, betont Trump, nichts gegen friedlichen Widerstand zu haben – doch ist Kaepernicks Protest nicht genau das?

Trump kritisiert Brees' Sinneswandel 

Offenbar nicht für den amerikanischen Präsidenten, der seine Position in dieser Thematik aufs Neue unmissverständlich klarmacht. Auslöser ist ein Interview von Drew Brees, Spielmacher bei den New Orleans Saints, in welchem er Kaepernick für seine Proteste kritisiert. «Ich werde nie einer Meinung sein mit jemandem, der respektlos gegenüber der Flagge der Vereinigten Staaten von Amerika oder unseres Landes ist», sagt Brees – und erntet für sein Statement einen Shitstorm.

Daraufhin zeigt sich der 41-Jährige aber einsichtig und rudert zurück. Nach Gesprächen sei ihm klar geworden, dass es bei den Protesten nicht um die amerikanische Flagge gehe. Für Donald Trump allerdings ist Brees' Sinneswandel wohl vor allem ein Zeichen der Schwäche: «Ich denke, er ist wirklich einer der grössten Quarterbacks», richtet er sich auf Twitter an Brees. «Aber er hätte seine ursprüngliche Haltung über das Ehren unserer wunderschönen amerikanischen Flagge nicht zurücknehmen sollen.»



Brees kontert die Kritik des US-Präsidenten umgehend. Man müsse aufhören, über die Flagge zu sprechen und damit beginnen, den wirklichen Problemen Aufmerksamkeit zu schenken. «Wir müssen die Probleme anerkennen, Lösungen finden und diese dann in die Tat umsetzen. Die schwarze Gemeinschaft kann das nicht allein tun», sendet Brees eine Botschaft mit Signalwirkung. 

Erstmals bezieht auch die Liga Stellung

Im Unterschied zu 2016 bezieht am Samstag auch Roger Goodell, Chef der National Football League, mit einem deutlichen Statement Stellung. «Wir, die NFL, verurteilen Rassismus und systematische Unterdrückung von Schwarzen», schreibt er auf Twitter.

Zudem gibt Goodell diesbezüglich wohl zum ersten Mal ein Fehlverhalten zu: «Wir, die NFL, geben zu, dass es falsch war, unseren Spielern nicht früher zugehört und sie ermuntert zu haben, sich zu äussern und friedlich zu protestieren.» Dazu hatten zuletzt nicht nur die grössten afroamerikanischen Spieler gehört, auch die hellhäutigen Tom Brady und Aaron Rodgers bekannten mit veröffentlichten Bildern Farbe.

So scheint es, als dass die jüngsten Entwicklungen in den USA auch in der NFL für ein Umdenken sorgen – und zwar nicht nur bei den Spielern. Trump dagegen beharrt auf seiner Ansicht. «Könnte es im Entferntesten möglich sein, dass Roger Goodell in einer interessanten Erklärung zu Frieden und Versöhnung andeutete, dass es für Spieler okay wäre, sich während der Nationalhymne hinzuknien, oder nicht zu stehen, und damit unser Land und unsere Flagge nicht zu respektieren?», hinterfragt der Präsident.

Er lässt Goodell damit keinen Spielraum für Interpretationen. Doch genau so gibt Trump dem NFL-Chef die Gelegenheit, zu seinem Wort zu stehen. Es ist auch die Chance auf Wiedergutmachung.

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