Tabea Schmid verfügt über ein immenses Potenzial und unterstreicht das bisher an der Handball-EM der Frauen. Die Hauptrunde will sie nun einfach geniessen.
Es läuft die 35. Minute. Kroatien ist im entscheidenden letzten Vorrundenspiel nach einem 7:16 auf 13:16 herangekommen und es gibt einen Penalty für die Schweizerinnen. Tabea Schmid schnappt sich den Ball, obwohl sie in den ersten beiden EM-Spielen in Basel in wichtigen Momenten zweimal einen solchen verschossen hat.
«Ich dachte tatsächlich daran», gibt die Kreisläuferin zu. «Aber ich brauchte den Penalty, da es mir in dieser Phase nicht gut lief.» Schmid trifft und bekommt «einen Riesenschub». Bis zum Ende schiesst sie noch drei weitere Tore, total sind es sechs und über das gesamte Turnier gesehen 21 – der viertbeste Wert. Die Schweiz gewinnt 26:22 und steht zum ersten Mal an einer EM in der Hauptrunde.
Schon einiges erlebt
Diese Szene sagt einiges über Tabea Schmid aus. Dabei ist die Ostschweizerin erst 21 Jahre alt, wobei sie schon einiges erlebt hat. Bereits mit 18 Jahren, direkt nach der Matura, ging sie nach Frankreich zum Zweitligisten Achenheim Truchtersheim. Es war keine einfache Zeit für sie, nicht nur, weil sie das erste Mal von zu Hause weg war und Mühe mit der Sprache bekundete. Denn ältere Spielerinnen im Team waren ihr nicht nur gut gesinnt. Dadurch lernte sie, «mit Leuten klarzukommen, die nicht immer das Beste für einen wollen». Die Zeit in Frankreich machte den Schritt nach Dänemark «sehr viel einfacher», sagt Schmid.
Dänemark ist ihre aktuelle Heimat. Sie spielt seit 2023 für Kopenhagen; nach dem Jahr in Frankreich kehrte sie für eine Saison zu Brühl St. Gallen zurück. «So war es für mich ein perfekter Weg», erzählt die 1,77 m grosse Schmid. «Das Niveau ist nun deutlich höher als in der Schweiz, man muss in jedem Spiel seine Leistung abrufen.» Einen grossen Unterschied gibt es auch, was die Anzahl an Krafttrainings betrifft. Zudem arbeitete sie zwischendurch mit einem Mentaltrainer zusammen, was sie als spannend empfand und ihr ebenfalls half.
Der Start bei Kopenhagen glückte ihr besser als erwartet, auch weil die Integration problemlos verlief. «Sie sind sich dort gewohnt, Spielerinnen aus dem Ausland aufzunehmen», sagt Schmid. Dann erlebte sie um Weihnachten herum eine schwierigere Phase, doch es gelang ihr, aus dieser negativen Spirale herauszukommen. In der laufenden Meisterschaft nimmt sie in der Torschützenliste mit 60 Treffern in neun Spielen den 3. Rang ein. Bei der Effektivität ist sie gar die Nummer 2 der Liga.
Handballer-Gen
Dass Schmid Handball spielt, kommt nicht von ungefähr, ihr Vater war einst Torhüter bei St. Otmar St. Gallen. Auch ihre beiden älteren Brüder üben die Sportart aus. «Wenn man mit zwei älteren Brüdern aufwächst, muss man sich immer etwas beweisen und kämpfen.» Von daher passt die Position der Kreisläuferin, bei der es rau zu und her geht, perfekt zu ihr, identifiziert sie sich voll damit.
Neben dem Handball studiert Schmid an der Internationalen Fernuni Pädagogik, sie kann sich vorstellen, später mal als Sprachlehrerin zu arbeiten. Das ist aber Zukunftsmusik. Ihr Vertrag mit Kopenhagen läuft noch bis Sommer 2027, allerdings plant sie darüber hinaus im Ausland zu bleiben.
Das hängt auch mit der positiven Entwicklung des Frauenhandballs in der Schweiz zusammen. «Man sieht nun Perspektiven, sonst wäre es schwieriger, die Motivation hochzuhalten, schliesslich muss man auch auf vieles verzichten, wenn man im Ausland spielt. Jedoch gibt es nur diesen Weg, um vorwärtszukommen.»
Schmid hofft auf viele weitere Teilnahmen an Endrunden, an einer WM waren die Schweizerinnen noch nie dabei. Zuerst einmal freut sie sich aber unglaublich auf die Hauptrunde in Wien mit den Gegnern Deutschland (Donnerstag), Slowenien (Samstag), Niederlande (Montag) und den Olympiasiegerinnen aus Norwegen (Mittwoch).
«Wir haben überhaupt nichts zu verlieren.» Zwar habe die Vorrunde definitiv sehr viel Energie gekostet, aber es habe sich gelohnt, alles hineingesteckt zu haben. «Das gibt uns sicher einen Schub.» Und wenn es zählt, wird Schmid wieder Verantwortung übernehmen.