Dank seiner Karriere als Footballstar steigt O. J. Simpson in die High Society auf und fällt tief. Im Prozess gegen den mutmasslichen Doppelmörder spielt seine schwarze Hautfarbe eine Hauptrolle.
Im Juni 1994 sitzen alleine in den USA 95 Millionen Menschen gebannt vor den Fernsehschirmen. Der Begriff «Reality TV» war erst bei ein paar wenigen PR-Experten angekommen, doch die TV-Zuschauer werden live Zeugen einer 90-minütigen Verfolgungsjagd in den breiten Strassen von Los Angeles. In einem weissen Ford Bronco sitzt der ehemalige Football-Superstar und Filmschauspieler O. J. Simpson und flüchtet vor der Polizei. Er wird wegen des Doppelmordes an seiner Ex-Frau Nicole Brown und deren Bekannten Ron Goldman gesucht.
Als Orenthal James – dafür steht das O. J. – am 9. Juli 1947 in San Francisco zur Welt kam, war diese noch eine andere. Die Schwarzen waren zwar gut genug gewesen, auf den Schlachtfeldern Europas und im Pazifik gegen die menschenverachtende Ideologie der Nazis und der Japaner und für den «American Way of Life» zu kämpfen, zuhause waren sie von gleichen Rechten aber noch weit entfernt. Simpson wächst mit der alleinerziehenden Mutter in einer Überbauung mit Sozialwohnungen auf. Als junger Teenager gehört er einer Street Gang namens «Persian Warriors» an und wird dreimal verhaftet. Eine Jugend, wie sie für viele schwarze Amerikaner Normalität ist.
Simpsons Ausweg ist der Football. Mit seinem Tempo, seiner Wendigkeit und seiner Ballsicherheit wird er zu einem der besten Running Backs der Geschichte. Der 1,85 m grosse Modellathlet gewinnt die Auszeichnung als bester Universitätsspieler des Landes. Und als er nach elf Saisons mit den Buffalo Bills und den San Francisco 49ers zurücktritt, ist er der zweiterfolgreichste Ballträger der NFL-Geschichte.
Simpson gilt als aufbrausend und eifersüchtig
Vor allem aber wird der charismatische Simpson dank zahlreicher Werbeverträge sowie Film- und TV-Rollen reich. In Europa ist er vor allem durch seine Auftritte als trotteliger Detective Nordberg, der bevorzugt unter einem Bus oder Auto hängen bleibt und mitgeschleift wird, in den drei «Nackte Kanone»-Filmen bekannt. Der Wohlstand bekommt ihm aber nicht gut.
Simpson bewegt sich in Sphären, von denen die meisten Schwarzen nur träumen können. Er lässt sich von der Jugendliebe und Mutter seiner drei Kinder scheiden und heiratet die Nachtclub-Kellnerin Nicole Brown, weiss und blond. Doch er gilt als aufbrausend und eifersüchtig. Mehrere Male muss die Polizei wegen Meldungen häuslicher Gewalt ausrücken. Als sich Brown von Simpson trennt und scheiden lässt, nimmt das Unheil seinen Lauf.
Am 13. Juni 1994, kurz nach Mitternacht, werden vor Browns Apartment die blutigen Leichen von Brown und Goldman gefunden. Schnell gilt O. J. Simpson als Hauptverdächtiger, und als DNA-Untersuchungen ergeben, dass ein Handschuh am Tatort und das Gegenstück in Simpsons Haus Blut der Opfer drauf haben, scheint der Fall klar.
Die Hautfarbe als entscheidender Faktor
Doch der Star kann sich ein «Dream Team» von Anwälten leisten. Schätzungen gehen davon aus, dass Simpsons Verteidigung zwischen drei und sechs Millionen Dollar kostete. In der Regel sind Schwarze in den USA bei Prozessen durch schlecht bezahlte und schlecht ausgebildete Pflichtverteidiger vertreten und werden entsprechend öfter und härter bestraft. Nicht so bei O. J. Simpson. Er profitierte sogar von seiner Hautfarbe.
Erst zwei Jahre zuvor hatte der Freispruch von vier Polizisten, die den Schwarzen Rodney King verprügelt hatten, zu schweren Ausschreitungen in Los Angeles geführt. Nun spielten Simpsons Anwälte die Rassenkarte aus. Sie konnten beweisen, dass der Polizist, der die wichtigsten Beweise gefunden hatte, ein bekannter Rassist war und säten so Zweifel. Die Geschworenen kamen im sogenannten «Prozess des Jahrhunderts» zu einem überraschenden Freispruch, der von Schwarzen als Meilenstein gefeiert wurde.
Simpson entging so zwar einer wohl lebenslangen Haftstrafe, glücklich wurde er aber nicht mehr. Ein Zivilgericht, wo das Urteil im Gegensatz zum Strafgericht nicht «ohne jeglichen Zweifel», sondern nur als «wahrscheinlich» gefällt werden muss, sprach den Familien von Brown und Goldman 33,5 Millionen Dollar Entschädigung zu. Simpson hat zwar nur einen Bruchteil davon bezahlt und zog nach Florida, einen der wenigen Staaten, in denen ein Haus oder die Rente nicht gepfändet werden kann. Zwischen 2008 und 2017 sass er aber wegen eines Raubüberfalls in Las Vegas (er behauptete, er habe nur Erinnerungsstücke zurückholen wollen, die ihm gestohlen wurden) im Gefängnis.
Auf dem Football-Feld umdribbelte O. J. Simpson seine Hindernisse mit scheinbarer Leichtigkeit, im richtigen Leben gelang ihm dies nicht. Gemäss einer Umfrage von 2015 glaubten mittlerweile auch 57 Prozent der Schwarzen, dass er schuldig war.
SDA