«Bin zum ersten Mal frei»Querschnittsgelähmt nach Unfall: Emotionales Interview mit Vogel
pat/dpa
10.9.2018
Nach einem Trainingsunfall im Juni ist die deutsche Bahnrad-Olympiasiegerin Kristina Vogel querschnittsgelähmt. In einem emotionalen Interview hat sie erstmals darüber gesprochen.
Wie Kristina Vogel mit dem Schicksalsschlag umgeht, ist gleichermassen beeindruckend wie inspierend. Mit dem «Spiegel» hat Vogel erstmals über ihre Querschnittslähmung gesprochen. Natürlich sei es «Scheisse», denn sie sei jetzt Rollstuhlfahrerin und nicht mehr Fussgängerin. Natürlich hätte sie nicht dieses Schicksal gewählt, wenn sie eine Wahl gehabt hätte. «Aber ich denke mir halt, je schneller ich die Situation akzeptiere, wie sie ist, desto schneller kann es wieder bergauf gehen.» Es bringe sie nicht weiter, wenn sie sich frage, warum es gerade sie getroffen habe. Unter die Haut geht, wenn man die Weltmeisterin und Olympiasiegerin sagen hört: «Zum ersten Mal in meinem Leben muss ich nichts, ich kann. Diese Situation möchte ich geniessen. Im Grunde genommen bin ich zum ersten Mal frei.» Welch starke Frau, ein Vorbild für uns alle. Wir wünschen Vogel nur das Beste!
Kristina Vogel ist querschnittsgelähmt. Ihr Rückenmark ist am siebten Brustwirbel durchtrennt. Was das bedeutet, erläutert der Leiter der Sektion Experimentelle Neurorehabilitation in der Klinik für Paraplegiologie am Uniklinikum Heidelberg, Rüdiger Rupp.
Was bedeutet eine Querschnittslähmung am siebten Brustwirbel?
Bei einer Querschnittlähmung wird das Rückenmark, das innerhalb der Wirbelsäule verläuft, geschädigt. Dabei werden die Nervenverbindungen zwischen Gehirn und jenen Muskeln, die unterhalb der Verletzung liegen, unterbrochen. Eine Verletzung im siebten Brustwirbel heisst, dass die Beine gelähmt sind. Aber auch Blase und Darm können nicht mehr willkürlich gesteuert werden.
Welche therapeutischen Möglichkeiten gibt es?
Das hängt entscheidend davon ab, wie viele Nervenbahnen im Rückenmark unterbrochen sind. Je weniger Gewebe geschädigt ist, desto grösser ist die Aussicht auf eine Erholung von Funktionen. «Bei einer kompletten Durchtrennung ist die Chance sehr gering», sagt Rupp. Ursächliche Therapien, bei denen man die Nervenfasern im Rückenmark wieder zum Wachsen anregt, gebe es in diesem Fall derzeit nicht. «Allerdings ist das Rückenmark nur in den wenigsten Fällen wirklich komplett durchtrennt. Oft sind noch einzelne Nervenfasern erhalten.»
Was bedeutet das?
Erhaltene Teile des Rückenmarks können wieder Funktionsgewinne ermöglichen. Das kann aber mehrere Monate dauern und ist auch eine Frage des Trainings. «Das Rückenmark ist nicht nur eine Art Kabel, das das Gehirn mit den Muskeln verbindet, sondern es ist ein Teil des Gehirns und kann sich reorganisieren», sagt Rupp. Wichtig beim Training sind Therapien am Laufband, etwa mit Exoskeletten, die die Bewegungen der Patienten unterstützen. «Inzwischen ist die Technik so weit, dass die Bewegungsabsicht durch Elektroden am Gehirn erfasst wird, und das Exoskelett setzt diese Bewegung um», sagt Rupp. «So können wir Patienten aktiver in die Therapie einbinden. Das ist ganz wichtig. Denn wer nicht trainiert, gewinnt definitiv keine Funktion zurück.»
Wo steht die therapeutische Forschung derzeit?
Zurzeit laufen klinische Studien, bei denen man versucht, das Nervenwachstum im Rückenmark wieder anzuregen. In Heidelberg soll Anfang nächsten Jahres eine Studie beginnen, bei der ein Antikörper ins Rückenmark gegeben wird. Der soll dafür sorgen, dass Nerven wieder zum Spriessen angeregt werden. In den USA laufen Studien mit Stammzellen. Möglich ist, dass Patienten damit wieder unterhalb der Verletzung etwas spüren können. «Aber dass Menschen in den nächsten zehn Jahren dadurch unabhängig vom Rollstuhl werden können, ist nach aktuellem Stand unwahrscheinlich», sagt Rupp.
Haben Spitzensportler eine bessere Prognose als andere Menschen?
«Sportler haben generell keine grösseren Chancen auf Funktionsgewinne», sagt Rupp. Letztlich hänge die Prognose von sehr vielen individuellen Faktoren ab.
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