Die Welt von Sprinter Alex Wilson ist völlig aus den Fugen geraten. Gegenüber «blue Sport» äussert er sich zum Wirbel um seine Europarekord-Zeit von 9,84 Sekunden über 100 Meter und nimmt auch zu den Doping-Anschuldigungen Stellung.
Knapp zwei Tage sind vergangen, seit Alex Wilson bei einem kleinen Meeting in Marietta bei Atlanta mit unfassbaren 9,84 über 100 Meter gestoppt wurde. Diese Zeit bedeutet Europarekord, mit dieser Zeit ist der 30-jährige Basler mit jamaikanischen Wurzeln die Nummer 2 in der Jahresweltbestenliste.
Seit heute Mittag ist Wilson zurück in der Schweiz und sagt: «Ich bin immer noch schockiert, wenn ich ehrlich bin. Von so etwas wagte ich nicht einmal zu träumen und plötzlich geschieht es. Darüber muss ich nochmals ein paar Nächte schlafen.»
«Ich habe die optimalen Bedingungen ausgenutzt»
Doch von vielen Seiten gibt es Zweifel an seiner Zeit. Die Homologation steht noch aus und es wurde mehrfach der Verdacht geäussert, dass an diesem kleinen Meeting etwas mit der Zeitmessung oder der Startanlage schiefgelaufen sein könnte. «Das ist nicht mein Problem, sondern jenes der Veranstalter und jener Leute, die diese Zeit infrage stellen», sagt Wilson dazu cool.
Auch wenn er seine Zeit von 9,84 selber nicht glauben konnte, so weiss er aber mit Bestimmtheit, dass er sehr schnell unterwegs war: «Ich wusste, dass ich hier 10,0 laufen kann, denn diese Bahn ist sehr schnell, dazu blies der Wind von hinten und ich hatte sehr schnelle, neue Spikes unter den Füssen. Ich habe die optimalen Bedingungen einfach ausgenutzt.»
Die Zweifel an seiner Zeit sind derzeit jedoch nicht die einzigen Sorgen von Wilson. Nach einem Bericht des «Tages-Anzeiger» wird der beste Schweizer Sprinter in die Doping-Ecke gedrängt, weil er auf einem Video mit dem wegen Doping-Vergehen lebenslang gesperrten Trainer und Ex-Läufer Raymond Stewart zu sehen ist.
«Jemand will mir Schaden zufügen»
Wilson nimmt zu den Anschuldigungen Stellung: «Das stimmt natürlich nicht, wie kann man mir so etwas vorwerfen? Dieses Video wurde bereits im April gemacht und nun, aus dem Nichts, taucht es plötzlich auf und wird an Antidoping Schweiz und an die Wada geschickt. Das heisst für mich: Jemand will mir Schaden zufügen.»
Wilson erklärt sich weiter: «Er ist nicht mein Trainer, sondern war einfach da und gab uns nach einem kurzen Gespräch während zehn Minuten Tipps. Das war alles und das kann man auch nicht als Training bezeichnen. Zuvor und danach habe ich ihn nie wieder gesehen. Es war einfach blöd, dass mein Trainer dieses Video mit Stewart gepostet hat.»
Der Sprinter zieht sogar bereits eine erste Bilanz aus der ganzen Sache: «Für mich ist das eine gute Lektion, ich habe viel daraus gelernt. Ich muss jetzt sehr gut aufpassen, denn jemand will mich aus dem Verkehr ziehen. Das bedeutet, dass ich nun zum Beispiel auch sehr gut auf meine Getränke aufpassen muss.»
An Olympia sind die 200 m das grosse Ziel von Wilson
Noch diese Woche will Wilson an die Olympischen Spiele nach Tokio abfliegen. Doch wird er nach dem Wirbel der letzten Tage den Fokus überhaupt auf das Wesentliche legen können? Er bejaht, «aber es ist wichtig, dass ich in dieser Situation ein starkes Team um mich habe.»
Und trotz der 9,84 über 100 Meter, die weiterhin neben seinem Namen stehen, sind in der japanischen Metropole die 200 Meter sein grosses Ziel. Über diese Distanz glänzte er in Marietta ebenfalls in 19,89 (Schweizer Rekord, Nummer 6 auf der Jahresweltbestenliste).
Wilson sagt dazu: «Ich bin ehrlich, ich bin kein 9,80-Läufer über 100 Meter. Ich habe da einfach einen Supertag erwischt. Ob ich das wiederholen kann, weiss ich nicht. Aber eine 19,80er-Zeit über 200 Meter kann ich schon morgen wiederholen, das weiss ich.»