Die Schweizer Handball-Nationalmannschaft überzeugt beim WM-Auftakt gegen Tschechien (17:17) in der Abwehr, in welcher Samuel Röthlisberger der unumstrittene Chef ist. Ein Portrait.
In einer Sportart, in der Tore über den Ausgang der Partie entscheiden, erhält meistens der treffsicherste Spieler am meisten Aufmerksamkeit. Nicht umsonst ist Lionel Messi (achtmal) vor Cristiano Ronaldo (fünfmal) am häufigsten zum Weltfussballer gekürt worden. Dabei geht oft vergessen, dass beide auch deshalb brillieren, weil andere für sie klaglos die «Drecksarbeit» verrichten. Nur dann kann eine Mannschaft erfolgreich sein.
Einer, der im Schweizer Team diese enorm wichtige Arbeit erledigt, ist Samuel Röthlisberger. Der Kreisläufer wird praktisch nur in der Verteidigung im Innenblock eingesetzt, hält diese zusammen. «Ich finde das eigentlich noch cool», sagt Röthlisberger im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA. «Dadurch kann ich den Fokus auf diesen Bereich legen und meine gesamte Energie dort hineinstecken. Ich bin stolz und dankbar, diese Rolle ausüben zu dürfen.»
Nur Nikola Portner erfahrener
An der laufenden WM ist seine Rolle insofern noch entscheidender, als die Offensive durch den verletzungsbedingten Ausfall von Manuel Zehnder, dem Torschützenkönig in der vergangenen Saison in der Bundesliga, an Qualität verloren hat. Doch was fasziniert Röthlisberger am Verteidigen? «Die Abwehr ist jener Ort, bei dem man das Teamwork am meisten sieht, und das ist das Schöne daran», sagt der 28-Jährige.
Was für eine Art Abwehrchef ist er? «Ich versuche, im Spiel mit Aktionen und Emotionen voranzugehen, eine gewisse Positivität mitzubringen und so die anderen zu unterstützen und zu pushen. Grundsätzlich bin ich eine ruhige Persönlichkeit, aber klar, wenn es nötig ist, sage ich etwas. Das gehört als Führungsspieler dazu.» Röthlisberger ist mit 86 Länderspielen hinter Goalie Nikola Portner (136) und zusammen mit Lucas Meister der zweiterfahrenste Spieler im Schweizer WM-Team. Sein Debüt in der Nationalmannschaft gab er am 11. Juni 2016 beim 27:19-Sieg gegen die Slowakei.
Nervenaufreibender Abstiegskampf
2017 wechselte er vom BSV Bern in die Bundesliga zu Stuttgart. Die beste Klassierung mit den Schwaben in den bisherigen sechs Saisons war der 11. Rang. In der laufenden Meisterschaft liegt das Team nach 17 Spielen auf dem 15. Tabellenplatz unter 18 Mannschaften – die letzten beiden Equipen steigen ab.
Es sei frustrierend, nervenaufreibend und sehr anstrengend, gegen den Abstieg zu spielen, sagt Röthlisberger. «Du musst psychisch immer auf einem hohen Niveau sein. Da es um jeden Punkt geht, kann jede einzelne Aktion wichtig sein.» Röthlisberger würde nur allzu gerne zu einem Topverein wechseln, «aber diese Chance habe ich bisher nicht erhalten».
Er betont aber: «Traurig bin ich darüber nicht. Ich nehme meine Situation sehr dankbar an und versuche das Beste daraus zu machen, mich als Persönlichkeit und als Spieler zu verbessern.» Ein weiteres Ziel von ihm ist, «den Verein endlich mal voranzubringen und weiter oben mitzuspielen.» Sehr schön findet er, dass mit Lenny Rubin und Lukas Laube zwei Landsleute ebenfalls bei Stuttgart tätig sind. Wohnen tut er zusammen mit seiner Freundin in Waiblingen, das etwa zehn Kilometer nordöstlich von Stuttgart liegt.
Sozusagen Schicksal
Zum Handball ist Röthlisberger per Zufall gekommen. In Herzogenbuchsee gab es im Sommer im Rahmen des Ferienpasses die Möglichkeit, in verschiedenen Sportarten zu schnuppern. Röthlisberger wollte im Fussball und Tennis mittun, jedoch war letzteres ausgebucht. Daraufhin meldete ihn die Mutter neben Fussball im Handball an. Die Sportart packte ihn sofort, worauf er sich dem TV Herzogenbuchsee anschloss. Es war also quasi Schicksal? «Das kann man so sagen.»
Mit seiner Postur von 198 cm und 105 kg passt Röthlisberger perfekt zum Handball. Eine Einzelsportart wäre für ihn nicht in Frage gekommen. «Ich finde es cool, als Mannschaft etwas zu erleben und zu erreichen. Der Umgang mit Menschen ist für mich sehr wichtig, es ist schön zu wissen, dass jeder wichtig sein kann.» Im Mittelpunkt zu stehen, braucht er nicht.