Die russischen Tennis-Profis Daria Kasatkina und Andrej Rublev haben in einem Interview erstaunlich offen über die Politik in ihrem Heimatland geredet – und auch private Sachen nicht verheimlicht.
Der YouTube-Blogger Vitya Kravchenko besuchte in Barcelona Daria Kasatkina und Andrej Rublev. Die beiden russischen Tennis-Profis versuchen in Spanien, irgendwie in Form zu bleiben.
Denn zuletzt durften sie nicht beim Grand-Slam-Turnier in Wimbledon antreten – die Organisatoren schlossen aufgrund Russlands Angriffskrieg in der Ukraine Spielerinnen und Spieler aus Russland und Belarus aus.
«Natürlich bin ich frustriert. Alles, was ich verdiene, investiere ich in meine Tennis-Karriere – und dann darf ich meine Arbeit nicht ausüben», resümiert Rublev. Die Weltnummer 8 erläutert, er habe auch nach diplomatischen Lösungen mit den Veranstaltern gesucht. «Ich habe zum Beispiel ein gemischtes Doppel mit einem Ukrainer vorgeschlagen», so der elffache Turniersieger. «Wir wollten die Bühne nutzen, um zu zeigen, dass Krieg im Tennis keinen Platz hat.»
Der Nachwuchs wird fehlen
Rublev zeigte schon im Februar beim Turnier in Dubai seine Haltung, als er nach einem gewonnenen Match «No War» auf eine Kamera schrieb. Aber auch der 24-Jährige aus Moskau weiss, dass «die russische Regierung unsere Resultate als Propaganda» benutzt.
Er hätte seine Staatsbürgerschaft ändern können. Wenn sie weiterhin von allen Turnieren ausgeschlossen würden, sei das eine Option. Bei den Damen gewann beim Rasen-Klassiker mit Elena Rybakina eine Spielerin, die erst vor vier Jahren ihre Nationalität gewechselt hat. So konnte die gebürtige Russin als Kasachin am Turnier teilnehmen und blieb von den Sanktionen unbehelligt.
Kasatkina und Rublev denken auch an die Folgen fürs russische Tennis – vor allem die Jugend werde darunter leiden. «Für viele Junge wird die Karriere schon vorbei sein, ehe sie überhaupt gestartet hat», sagt Rublev. Es sei dort sowieso schon ein teurer Sport, meinen die beiden unisono.
Coming out als mutiger Schritt von Kasatkina
Ihre Eltern hätten gar einst ihr Haus verkauft, um ihre Karriere zu fördern, erzählt die diesjährige Halbfinalistin bei den French Open. Die Weltnummer 12 wird auf den Fall Nadya Karpova angesprochen. Die russische Fussballerin outete sich kürzlich als homosexuell. Kein einfacher Schritt in einem Land, wo kürzlich ein Gesetz zur «Anti-Homosexuellen-Propaganda» installiert wurde. Auch Kasatkin will sich nicht mehr verstecken und beantwortet die Frage, ob sie eine Freundin habe, mit einem simplen «Ja».
In Russland herrsche die Ansicht, als wolle man schwul oder lesbisch werden, was lächerlich sei. «Nichts ist einfacher, als der Norm zu entsprechen und heterosexuell zu sein. Wieso sich das Leben härter machen, speziell in Russland?», fragt die 25-Jährige. Es werde nie möglich sein, sich in ihrer Heimat Händchen haltend mit einer Freundin zu zeigen, glaubt Kasatkina. Vor nicht allzu langer Zeit, bei der Fussball-WM 2018, habe sie noch positive Anzeichen einer Annäherung an den Westen wahrgenommen, was nun natürlich vorbei sei. «Das Wichtigste ist, in Frieden mit sich selbst zu leben. Das ist das Einzige, was zählt – vergiss die anderen», hält sie fest.
Hat die Kritik möglicherweise Folgen?
Kasatkina und Rublev – die sich bereits seit der Kindheit kennen – halten nicht viel vom russischen Tennisverband RTF. «Der RTF existiert nicht für die ITF (Anm.d.Red.: Internationaler Tennis Verband», fasst Kasatkina dessen Bedeutungslosigkeit zusammen. Dabei gewann man zuletzt den Billie Jean King Cup sowie den Davis Cup. «Das war gute PR für sie», feixt Rublev.
«Wir sind Ausgestossene», macht Kasatkina die missliche Lage der beiden besten russischen Tennis-Profis klar. Doch das sei natürlich kein Vergleich mit den Dingen, welche Leute in der Ukraine erleben, wo man etwa sein Haus verliere oder andere üble Dinge erlebe. «Ein Albtraum», fasst sie die Situation in der Ukraine zusammen. Bei der Frage, ob auch sie daran denke, mit ihren Aussagen ihr Haus zu verlieren, fängt Kasatkina an zu weinen.