Am Montag nimmt die WTA Tour in Palermo nach vier Monaten ihren Betrieb wieder auf. Dennoch bleiben viele Fragezeichen, auch bei den Schweizer Spitzenspielerinnen. Das grösste besteht beim US Open.
Jil Teichmann wäre in Palermo Titelverteidigerin, und bis vor ein paar Wochen bereitete sich die 22-jährige Bielerin auch auf dieses Turnier vor. Dann passte die WTA – wie auch die ATP – die Regeln für die Weltrangliste an. Wer den gleichen Event sowohl 2019 und 2020 spielt, für den kommt das bessere der beiden Resultate in die Wertung. Teichmann könnte auf Sizilien also selbst im Idealfall keinen WTA-Punkt dazugewinnen. Also entschied sich die in Barcelona geborene Linkshänderin dazu, eine Woche später in Lexington im US-Bundesstaat Kentucky anzutreten.
Die Episode zeigt wie kompliziert die Turnierplanung in Zeiten von Corona ist. Die Unwägbarkeiten sind riesig, denn erst Ende dieser Woche will der amerikanische Tennisverband (USTA) die definitive Bestätigung für die Anlässe in Nordamerika geben. Nach Lexington steht das nach New York dislozierte Premier-5-Turnier von Cincinnati im Programm, anschliessend am selben Ort das US Open. Angesichts der unvermindert steigenden Covid-19-Zahlen in den USA freut sich aber keine Spielerin auf die Reise über den grossen Teich.
«Kein normaler Mensch reist jetzt nach Amerika», stellte Belinda Bencic am Wochenende trocken fest. Zu viele Fragen sind für die Nummer 8 der Welt offen. Eine der wichtigsten: Wie sieht es mit den Quarantäne-Anforderungen aus? In New York würden sich die Spielerinnen und Spieler in einer so genannten Blase bewegen. Wohnen in einem Hotel auf Long Island, maximal drei Begleitpersonen und ein Bewegungsradius, der sich auf das Hotel, die Tennisanlage in Flushing Meadows und die Fahrten dazwischen beschränkt. Die Einreise in die USA dürfte damit nach einem negativen Corona-Test gewährleistet sein. Doch wie sieht es bei der Rückreise nach Europa aus? Immerhin stehen direkt im Anschluss an das US Open die hochkarätigen Sandplatz-Turniere in Madrid, Rom und zum Abschluss das French Open in Paris an.
Quarantäneregeln ändern fast täglich
Wie schnell sich die Lage ändern kann, mussten Simona Halep und die Veranstalter in Palermo feststellen. Die rumänische Roland-Garros-Championne von 2017 und Wimbledonsiegerin des letzten Jahres war als Aushängeschild gedacht – bis Italien Rumänien auf die Liste der Länder setzte, aus denen Reisende in Quarantäne müssen. Es droht ein US Open mit nur wenigen europäischen Teilnehmern und umgekehrt ein French Open, bei dem kaum Amerikanerinnen teilnehmen. Können faire Wettbewerbe garantiert werden, wenn nicht alle Spielerinnen überhaupt einreisen dürfen?
Bencic lacht auf die Frage. «Das ist sicher nicht fair», findet die 23-jährige Ostschweizerin. «Aber sonst könnten wir in diesem Jahr gar nicht spielen.» Sie hat sich noch nicht entschieden, ob sie nach New York reisen wird. Sie warte weitere Informationen ab. «Im Moment habe ich einen Plan A, einen Plan B, einen Plan C und einen Plan D», meint sie mit einem Anflug von Fatalismus.
Die Tendenz spricht aber gegen das US Open. Aktuell spielt Bencic in der Schweiz Interclub, ab dem 10. August plant sie ihre Teilnahme beim WTA-Turnier in Prag – beides auf Sand. Gleich sieht das Programm der Schweizer Nummer 3, Stefanie Vögele (WTA 109), aus, während Teichmann (WTA 63), die im letzten Jahr neben Palermo auch das damals im Mai ausgetragene Turnier in Prag gewann, und Viktorija Golubic (WTA 123) auf die Events in Nordamerika setzen.
Endlich wieder Geld verdienen
Bencic konnte sich dank der Erfolge in den letzten Jahren und lukrativen Sponsorenverträgen ein finanzielles Polster schaffen, doch für die Spielerinnen der zweiten Garde geht es nicht zuletzt auch darum, endlich wieder Geld verdienen zu können. Gut 50'000 Franken Preisgeld selbst für eine verlorene 1. Runde am US Open sind ein gutes Argument, um gewisse Unannehmlichkeiten auf sich zu nehmen. Zumal bereits die gesamte lukrative Asientournee im Herbst abgesagt wurde.
Bis auf weiteres ist die Tenniswelt weit davon entfernt, zur Normalität zurückzukehren. Doch Jil Teichmann gibt sich gelassen. «Das ist unser Job, und als Tennisspielerinnen sind wir es gewohnt, uns an immer neue Umstände anpassen zu müssen.»