Casper Ruud ist ein ausserordentlicher Profi. Zum einen, weil er aus dem Tennis-Entwicklungsland Norwegen kommt, zum andern, weil er von seinem Vater trainiert wird. Das Duo harmoniert prächtig.
Auf der Frauentour würde Casper Ruud kaum herausstechen. Sein Tennis ist ebenso wenig spektakulär wie sein Auftreten. Und dass eine Spielerin vom eigenen Vater trainiert wird, ist da gang und gäbe. Unter den Männern fällt der 23-Jährige aus Oslo aber auf, weil er so normal ist.
Aus Norwegen kommen vor allem Langläufer, Skifahrer, Biathleten, Leichtathleten und ja, auch ein Weltklasse-Fussballer. Nicht bekannt ist das skandinavische Land – ganz im Gegensatz zum Nachbarn Schweden – für Tennisspieler der Spitzenklasse. Als ein gewisser Christian Ruud in den 1990er-Jahren die Nummer 39 der Welt wurde, die Achtelfinals am Australian Open erreichte und nicht weniger als zwölf Challenger-Titel – aber keinen auf der ATP Tour – gewann, war das für die kleine Nation am Polarkreis das Höchste der Gefühle. Gegen Grössen wie Lasse Kjus, Björn Dählie oder Ole Einar Björndalen war damit aber nur wenig Staat zu machen.
Sechs Monate Sand, sechs Monate Hartplatz
Dann kam Casper Ruud, der Sohn von Christian, und der setzte Norwegen fast aus dem Nichts auf die Tennis-Weltkarte. In der Schweiz ist der einstige Sandspezialist als ATP-Turniersieger von Gstaad (zweimal) und Genf schon länger ein Begriff. Nun macht er sich auf, die Spitze des ATP-Rankings zu erobern. Fünf Spieler hatten zu Beginn des US Open die Chance dazu, zwei blieben in den Viertelfinals noch übrig. Nach seiner erstmaligen Qualifikation für die Halbfinals in New York bleibt Ruud im Rennen. Nächster Prüfstein am Freitag: Karen Chatschanow, der überraschend in fünf Sätzen den Wimbledon-Finalisten Nick Kyrgios ausschaltete.
Ruuds rasanter Aufstieg kommt nicht völlig aus dem Nichts. 2021 hatte er fünf (kleinere) Turniere gewonnen, bei den Grand Slams aber enttäuscht. Deshalb lautete das oberste Ziel für das laufende Jahr: bei den grossen Events besser spielen. Der Anfang in Australien missglückte mit einer Knöchelverletzung kurz vor Turnierbeginn gründlich, doch am French Open gelang Ruud mit der Finalqualifikation der Durchbruch. Die grössten Fortschritte machte er aber auf Hartplatz, wie bereits der Finaleinzug in Miami im April unter Beweis stellte.
Völlig fremd war ihm das Spiel auf Hartplatz aber nie. «In Norwegen spielen wir im Sommer sechs Monate auf Sand», erklärt Casper Ruud. «Aber die Winter sind lang, und da spielen wir sechs Monate in der Halle auf Hartplätzen.» Seit frühester Kindheit immer an seiner Seite: Vater und Coach Christian.
Tennis und Golf als gemeinsame Interessen
Unter Druck gesetzt sei er aber nie geworden, betont der Filius. «Mein Vater war noch recht jung, als ich geboren wurde, und wir liebten es zusammen zu spielen. Hauptsache mit Ball – Tennis, Fussball, Golf.» Mit etwa zwölf Jahren habe er sich für das Tennis entschieden, und seither lebe er eigentlich das Leben eines Profis. Ruud gilt als äusserst diszipliniert und fleissig. Auch da hat der Vater geholfen. «Ich kenne das Leben als Profisportler aus eigener Erfahrung und konnte Casper da viel mitgeben», erzählt Christian Ruud.
Als Casper 16-jährig war, engagierten die Ruuds den Spanier Pedro Rico als Coach. Als dieser zweieinhalb Jahre später nicht mehr in der Lage war, zu allen Turnieren mitzureisen, musste eine neue Lösung her. «Es war ein gutes Alter, um als Vater ein wenig in den Hintergrund zu treten», blickt Christian Ruud zurück. «Als ich einen neuen Coach suchte, sagte Casper aber, dass er mich gerne wieder als Coach hätte.» Seither sind die beiden ein perfekt funktionierendes Vater-Sohn-Duo, das drauf und dran ist, den Tennis-Olymp zu erobern.
Friktionen gibt es kaum, denn die beiden teilen die selben Interessen: Tennis und Golf. Der Erfolg gibt ihnen recht.
sda