Wimbledon-Blog Der Weg eines Zwergs mit Kontrabass nach Wimbledon

Aus Wimbledon: Roman Müller

1.7.2018

Roger Federer nach dem verwerteten Matchball gegen Marin Cilic im Wimbledon-Final 2017.
Roger Federer nach dem verwerteten Matchball gegen Marin Cilic im Wimbledon-Final 2017.
Bild: Getty Images

Er ist unser Mann in Wimbledon: Roman Müller berichtet in den kommenden zwei Wochen vom grössten, wichtigsten, ältesten und überhaupt bedeutendsten Tennis-Turnier der Welt. Hier auch in Form eines Blogs. 

Es war schätzungsweise 1987, als ich mit meinem Paps erstmals auf einem Tennisplatz stand. Mit nigelnagelneuer Ausrüstung. Er hatte seinen zentnerschweren Holzschläger aus den Siebzigerjahren durch einen grossflächigen, moderneren ersetzt. Bei ihm sah das cool aus. Ich sah eher aus wie ein hilfloser Zwerg mit einem Kontrabass. Aber das war egal. Das Spiel mit dem gelben Filzball – mein Paps hatte auch noch weisse davon – hat mich sofort gepackt.

Nach etwas «Bittibätti» durfte ich ins Tennistraining zu Herr Rousseau. Mit viel Ehrgeiz, mässigem Talent und wenig Disziplin schlug ich Ball um Ball, feilte recht erfolglos an meiner doppelhändigen Rückhand und versuchte meinen Vorbildern Agassi, Edberg, Rosset und Co. nachzueifern bis Herr Rousseau am Ende der Einheit mit seinem flämischen Akzent mich zum «Bellä sahmle» aufforderte. Natürlich spielte ich auch mit Freunden, Simä oder Baumi etwa.

Aber was ich genauso liebte wie das Spielen, war das Zuschauen am TV. Schon als kleiner Knirps fieberte ich wie irre mit. Vor allem mit den Schweizern Rosset und Hlasek, besonders in den Jahren 91 und 92. Im Herbst 1991 gewann Jakob Hlasek die Swiss Indoors gegen John McEnroe, im Sommer gewannen Hlasek/Rosset das Doppelturnier der French Open. Beim sensationellen Olympiasieg Rossets in Barcelona gegen den heimischen Sandhasen Jordi Arrese musste ich so laut aus dem Fenster jauchzen, dass meine Nachbarn vor Angst erstarrten. Und dann war da noch das Supplement Ende Jahr, als die Schweiz im Davis-Cup-Final dem besten Team aller Zeiten um Pete Sampras, Jim Courier, Andre Agassi und John McEnroe gegenüberstand und um ein Haar die Sensation schaffte. Nie war eine Schweizer Niederlage ehrenvoller.

Der Wimbledeon-Coup 2001

Wenige Jahre später war ich bereits ein Teenager und gerne im Ausgang. Mein Kumpel stellte mir vor der Disco eine gewisse Diana vor – ein ruhiges aber sympathisches Mädchen – und erzählte mir, dass sie einen Bruder habe, der «recht gut Tennis spielt und dass der wahrscheinlich bald Profi wird». Als dieser «recht gute Tennispieler» mit Namen Roger, der sogar noch aus meinem Nachbardorf Münchenstein stammte, es tatsächlich zum Profi schaffte, wurde meine Leidenschaft für den Tennissport neu entfacht.

Seine Karriere verlief steil. Innerhalb von zwei Jahren schaffte er es in die Top 30. Unvergessen: Seinen ersten Final verlor dieser Roger in Marseille ausgerechnet gegen meinen alten Helden Marc Rosset und weinte danach wie ein Schlosshund, weil er dachte, dass diese Chance, ein Turnier zu gewinnen, vielleicht nie wieder kommen würde. Denkste! Mein Dorfnachbar schaltete in Wimbledon 2001 den Überspieler Pete Sampras aus, der dort seit unfassbaren 31 Spielen nicht mehr verloren hatte. In der nächsten Runde war aber Tim Henman etwas überraschend Endstation. Roger musste nach Hause fahren.

Turniersieg um Turniersieg, Rekord um Rekord

Das tat er auch. Und danach schlenderte er mit ein, zwei Freunden in einer lauen Sommernacht durch Basels belebte Steinenvorstadt. Praktisch unbemerkt. Nur ich hab mich, leicht angetrunken, vor ihn gestellt und in etwa folgende weisen Worte gewählt: «Roger, das hesch du super gmacht. Super Wimbledon gsi. Mach einfach so wytter, denn gwünnsches sicher emol!». Er hat mich ziemlich schräg angeschaut, sich artig bedankt und ist dann weiter seinen Weg gegangen. Seither habe ich kaum ein Spiel von ihm verpasst, bin zig- oder hunderte Male mitten in der Nacht aufgestanden, selbst um mir seine Erstrundenspiele gegen israelische Qualifikanten und usbekische Wild-Card-Inhaber anzuschauen. Bekanntlich gewann er Turnier um Turnier, brach Rekord um Rekord und entwickelte sich zu einer der grössten Persönlichkeiten, die der Sport oder vielleicht sogar die Weltgeschichte an sich je hervorgebracht hat.

Warum ich das alles erzähle? Weil ich Ihnen damit meine riesige, langjährige Passion für den Tennissport verdeutlichen will. Und ich will damit verdeutlichen, wie unglaublich glücklich, stolz und voller Vorfreude ich bin, dass ich in den nächsten zwei Wochen vom schönsten, wichtigsten und legendärsten Tennisturnier der Welt berichten darf. Zum ersten und sehr wahrscheinlich auch zum letzten Mal in meinem Leben.

Und wer versucht dort, seinen – und ich kann das kaum fassen – neunten Wimbledon-Titel einzuheimsen? Genau: Mein Dorfnachbar, der noch recht gut Tennis spielen kann.


Über den Autor
Roman Müller arbeitet seit bald 20 Jahren als Sportjournalist. Er ist seit früher Kindheit mit dem Tennissport verbunden. Als Spieler hat er es nie über R8 herausgebracht, trotz seiner gefürchteten Vorhand und wohl auch wegen kaum vorhandener Trainingsdisziplin. Als Tennisfan ist er jedoch als N1 einzustufen. Er ist stolzer Besitzer von 36 Roger-Federer-Caps, die er nicht sammelt, sondern trägt und somit natürlich befangen ist, was das Thema RF anbelangt. Seine Lieblingsfarben sind Violett und Grün, seine Lieblingszahlen 15, 30 und 40.

Das war im Frühjahr 2013, als ich schon einmal in Wimbledon war. Wenige Monate später sass Turnier-Sieger Andy Murray auf diesem Platz und beantwortete die Fragen der Journalisten.
Das war im Frühjahr 2013, als ich schon einmal in Wimbledon war. Wenige Monate später sass Turnier-Sieger Andy Murray auf diesem Platz und beantwortete die Fragen der Journalisten.

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